Improschule
Fokus des Monats
Hier nehmen wir immer zu Monatsbeginn einen Aspekt aus dem komplexen Gebilde Impro genauer unter die Lupe. Möge es Euch und uns inspirieren!
Dezember
Über die Stille
geschrieben von Michael Wolf
Es ist jetzt die stille Jahreszeit angebrochen.
Und manches Mal wünschte ich, Sie würde den Schleier der Stille auch über die Improbühne legen. Leider wird dort immer wieder zu viel geredet.
Wie sagt man über Leute, die nicht glaubhaft wirken: Sie reden sich um Hals und Kopf oder um Kopf und Kragen.
Deshalb sollten wir nur reden, wenn wir was zu sagen haben!
Also ihr Lieben: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Eine fröhliche Weihnachten euch allen.
Und besinnliche Stunden der Stille!
Michael leitet am 14./15.12. ein Schnupper-Wochenende und Anfang des kommenden Jahres die Montagsklasse für Anfänger sowie das Wochenend-Special für Fortgeschrittene »Komm mach mir eine Szene!" am 18./19.01.« Buchbar über unseren Kursplan.
Ein Fokus außer der Reihe:
Zum Innehalten und Gedenken an SteffiLiebe Impro-Spielenden, Stefanie Winny, Impro-Spielerin bei Foxy Freestyle, Kollegin, Mutter, Ehefrau, Tochter, Freundin…, vor über zwanzig Jahren eine unserer ersten Impro-Schülerinnen, ist in der vergangenen Woche gestorben. Wir trauern um sie und um alles, was nicht mehr mit ihrer Fröhlichkeit durchdrungen werden kann. Sie lässt uns baff vor Staunen zurück; bis zuletzt hatte sie die Gabe, in allem und jedem ein Spiel zu finden, Freundlichkeit zu verschenken und Schabernack. Es bleibt viel hier von ihr. Wir wünschen ihrer Familie und ihren Impro-KollegInnen alle Kraft der Welt, Zusammenhalt, Liebe, Zeit und Zuversicht. Im letzten Jahr hat Steffi für uns einen Fokus des Monats geschrieben. Hier ist er noch einmal für Euch: |
»DIE AU-JA-TRAMPOLIN-REAKTION AUF DAS FIESESTE ANGEBOT DEINES LEBENS«
geschrieben von Stefanie Winny
Seit über zwanzig Jahren spiele und unterrichte ich Improtheater. Ich habe mit Autisten und mit PTSD-Patienten gearbeitet. Ich dachte, ich wüsste alles über das Prinzip »Au ja!«
Und dann bekam ich Anfang des Jahres ganz überraschend den gefürchtetsten Impro-Kollegen des Universums, und nun musste ich »Au ja!« zu diesem miesen Angebot sagen: »Sie haben nur noch wenige Wochen zu leben. Knochenmetastasen. Aggressiver Tumor.«
In einer Impro-Story wollen wir miterleben, wie die Figur emotional reagiert. Rächt sie sich? Versöhnt sie sich? Verändert sie die ganze Welt?
Aber in diesem Game bin ich Spielerin und Figur gleichzeitig. Plötzlich sieht man alles anders. Was ist noch zu tun? Aufgeben? Oder aufräumen und genießen? Es hatte mich voll erwischt. Ich brach zusammen. Konnte nichts mehr essen, nicht mehr denken. In Gedanken sah ich meine Familie im Sommer ohne mich am Küchentisch sitzen und war fassungslos. Nach ein paar Tagen Schockstarre und Nahrungsverweigerung war ich auf einem Klassentreffen und merkte, wie ich dort durch den Szenenwechsel plötzlich das Büfett leerfutterte und lachen konnte.
Da verstand ich: Wenn mein Leben eine Impro-Szene wäre, dann sollte ich erstmal dieses fiese Angebot annehmen: »Ich bin chronisch krebskrank mit unsicherer Überlebenschance.« Ja, genau.
Und jetzt legte ich mein UND dazu, das ist der aktive Part. Informieren. Recherchieren. Nachfragen. Ich nahm die Chemotherapie nicht als Gift, sondern als Aufräumhilfe und Neustart dankbar an und vertrug sie bestens.
Im November die Siegesnachricht: Die Metastasen sind gestoppt und deutlich zurückgegangen. Aber die Nachricht entpuppte sich als Scheinsieg.
Also ab ins nächste Level: Rettungsstelle, Epilepsie, Sprachausfall.
Ich hörte: »Oh weh. Mindestens 13 Hirnmetastasen. Das kann man leider nicht bestrahlen. Das lindert man nur noch palliativ.«
Während ich das hörte, dachte ich: Bis heute früh war ich doch gefühlt kerngesund, habe Sport gemacht, ich bin aktiv und happy.
Und nun: Statt Verzweiflung und Angst war nur diese Gewissheit da, dass alles gut wird.
Auch nach diesem Angebot gab es einen Szenenwechsel: Neue Recherche und Beratung. Und so ging es wieder gut weiter mit neuen Behandlungsmöglichkeiten und bester Versorgung und Betreuung.
Ganzhirn-Bestrahlung – ein Wort, das sich für viele krass anhört. Aber für mich waren die fünfzehn Termine ein Energie-Gewinn.
Das gelebte Au Ja hat mir so viel Kraft gegeben, weil ich es in solchen Situationen wirklich spüre. Es gibt nicht die eine Reaktion auf ein Angebot. Schlimme Angebote können einen runterziehen und lähmen. Nimm sie wahr. Aber bewahre einen kühlen Kopf für die Suche nach neuen Möglichkeiten.
Heute spüre ich das Au ja so sehr in mir, dass ich nachts aufwache vor Freude auf den nächsten Tag, auf die Familie, die Freunde. Ich habe eine nie vorher dagewesene Energie entwickelt für neue Projekte und für die Vernetzung der Kräfte meiner Freunde und Kollegen. Alte Probleme und Konflikte sind verschwunden. Jeglicher Groll über alltägliche Kleinigkeiten erscheint lächerlich. In den letzten Monaten habe ich Menschen miteinander vernetzt, Freundschaften erneuert, kranke Menschen motiviert.
Ich wünsche dir, dass du vor solchen Schicksalsschlägen gewappnet bist. Sie werden kommen. Aber sie können dich extrem stark machen. Aus der heftigsten Katastrophe kannst du wie auf dem Trampolin eine riesen Energie erzeugen.
Als Improspieler:innen wollen wir gemeinsam etwas schaffen und uns vernetzen und inspirieren. Und dem Publikum von dieser Freude etwas abgeben.
2024
geschrieben von Karin Werner
Die meiste Zeit toleriere ich eine gewisse Unordnung oder nennen wir es mal positiv eine „Lebendigkeit“ unserer Wohnung. Wenn mich allerdings etwas aufwühlt, durcheinander bringt, beängstigt, wie auch immer, ist es mir ein Bedürfnis die Wohnung aufzuräumen. Ich stelle eine äußere Ordnung, eine Struktur her. Die Wäsche wird gewaschen, das Geschirr soll im Schrank sein, der Staub weg und am Schluss am besten noch Blumen auf den Tisch. Durchatmen und schon lässt auch das innere Chaos nach.
Eine Zeit lang finde ich das cool. Alles hat seinen Platz, ich versuche die schöne Ordnung, die schöne Struktur zu erhalten und dann, was soll ich sagen, dann wird es eben wieder „lebendiger“.
Fürs Improvisieren, speziell bei Langformen gibt es ja auch großartigen Strukturen an die man sich halten kann. Mal mehr mal weniger ausformuliert geben sie den wilden Ideen einen Rahmen, mir als Spielerin oft eine Sicherheit.
Vor einigen Wochen haben wir uns mal wieder an eine Heldenreise gewagt. Das ist ein sehr konkreter Plan. Die verschiedenen Stationen der Heldin/des Helden, die dazu gehörenden Figuren, die zu erwartende Entwicklung des Hauptcharakters und „ach nee, da ist ja immer noch nicht Schluss, das muss ja noch DAS… und dann sollte DER wieder auftauchen…“ Puhhhh!
Die Aufgabe für mich besteht darin, bei dieser Gratwanderung den Punkt zu finden, der es mir möglich macht, in diesen Vorgaben frei zu spielen, im Moment zu sein, intuitiv zu reagieren. Kurz, mich zu lösen von einem MUSS. Eine strenge Regel kann genauso wie absolute Freiheit etwas Erdrückendes haben. Natürlich besteht das Risiko, dass es durcheinander geht, die schöne Struktur sich plötzlich auflöst. Aber ich bin ja nicht allein. Einer von uns Vieren fängt den Schlenker wieder ein und setzt den Helden, die Heldin wieder auf den Pfad. Wie beruhigend!
Um den zugegebener Maßen etwas schrägen Wohnungsvergleich wieder aufzugreifen: Es könnte sein, dass in meiner persönlichen Heldenreise eigentlich Aufräumen der nächste Schritt wäre. Aber die Sonne scheint. Ich muss leider raus und die Bude bleibt „lebendig“.
geschrieben von Leon Düvel
Ich freue mich immer wieder in meinen Klassen, vor allem an den Schnupper Wochenenden, zu sehen, wie die Teilnehmenden in unsere Impro-Welt eintauchen und ihren Alltag vergessen. Ich erlebe jedes Mal aufs Neue, wie sie erst skeptisch sind und dann anfangen, die Angebote der Mitspielenden anzunehmen und groß zu machen und weniger zu bewerten. Z.B. in der Einwort- Geschichte oder dem gemeinsamen Erlebnis, zwei großartigen Impro-Übungen. Ich nehme Menschen wahr, die die anderen wertschätzen, die sich freuen „Fehler“ zu machen und ihre Scheu verlieren. Die beginnen, miteinander zu spielen. Und nicht mehr zu Allem nein sagen, sondern die Ideen der anderen weiterspinnen. Das „Ja genau, und“ Prinzip begreifen.
Nach dem Workshop bekomme ich oft das Feedback, dass sie genau das mitnehmen werden. Für ihr Leben abseits von Bühne und Theater. Sie erkennen den Wert der Zusammenarbeit ohne Bewertung. Und die grenzenlose Freiheit, die dahintersteckt.
Dann war der Kurs ein Erfolg, ich habe sie mit dem Impro-Virus angesteckt und sie tragen diese Ideen in die Welt hinaus. Ein bisschen mehr Offenheit und Achtsamkeit. Ein bisschen mehr die Kontrolle abgeben. Und Geschichten erfinden, die neue Narrative hervorbringen.
Improv- is it!
(*)
Der Titel bezieht sich auf Community Dance und den Dokumentarfilm Rhythm is it! (you can change your life in a dance class) über die Arbeit von Royston Maldoom. Hier gibt es viele Parallelen zum Improtheater in Bezug auf künstlerische Arbeit mit Profis und Nicht-Profis und die Veränderungen, die in unseren Klassen stattfinden können. Sehr zu empfehlen, genauso sein Buch Community Dance.
geschrieben von Inbal Lori
Seit Jahren mühe ich mich damit ab, meinen Schüler*innen die 3-Satz-Plattform-Übung zu erklären, und sie mühen sich im Gegenzug damit ab mich zu verstehen. Ich glaube nicht, dass es eine einfache Übung ist. Es ist eine ziemliche Herausforderung, sich darin zu üben, in nur 3 Sätzen zu klären, wer wir sind, wo wir sind und was wir tun. Du musst konkrete Titel, Ortsnamen, Objektnamen usw. verwenden.Du musst auf Wörter wie „hier“, „dies/es“, „er/sie“ verzichten. Und dich stattdessen festlegen und die Dinge benennen: Wo ist „hier“? Was ist „dies“? Wer ist „sie/er“?
Ich denke keineswegs, dass jede Impro-Szene mit diesen 3 Sätzen, die alles auf den Punkt bringen, beginnen MUSS. Wirklich nicht, aber in manchen Fällen sollte man diese Technik anwenden, und ich denke, wenn man nicht in der Lage ist, all das Genannte problemlos mit 3 Sätzen zu definieren, wird man auch Schwierigkeiten haben, es mit 10 zu schaffen.
Aber was hat das jetzt mit KI zu tun?
Nun, in letzter Zeit habe ich mich dabei ertappt, wie ich zu meinen Schüler*innen sagte: „Prompt it!“ So, als ob das Publikum und Dein*e Partner*in eine KI wären. Als Improvisationskünstler*innen erschaffen wir mit Worten imaginäre Welten, und heute tun Millionen von Menschen auf der ganzen Welt dasselbe - sie verwenden Worte, damit die KI das richtige Bild erzeugen kann, das sie anstreben.
Wenn Du vor deinem Computer sitzt und versuchst, die KI dazu zu bringen, genau das Bild zu erzeugen, an das Du denkst, wirst Du Dich fragen: „Was sind die wenigen Wörter, die in meiner Beschreibung vorkommen müssen, damit die KI nicht etwas völlig Seltsames und Unbeholfenes erzeugt?“
Angenommen, Du versuchst ein Ölgemälde von 2 Chihuahua-Hunden auf einer Wasserrutsche zu erstellen, die Spaß haben. Wenn Du „2 Chihuahuas“ „Wasserrutsche“, „Spaß haben“, „Ölgemälde“ nicht erwähnst, wirst Du auf keinen Fall etwas bekommen, das dem entspricht, was Du Dir vorgestellt hast. Und natürlich kannst Du nach dem ersten Entwurf noch Änderungen vornehmen, um den Text klarer und reichhaltiger zu gestalten.
Das Gleiche gilt für eine Impro-Szene: Wenn Du keine spezifischen Worte verwendest, wird dein*e Partner*in oder das Publikum nicht verstehen, welche Realität Du auf der Bühne zu erschaffen versuchst, und ich wage zu behaupten, dass Du dir manchmal selbst nicht ganz sicher bist.
Zum Beispiel:
A: Wow! Das ist die beste Wasserrutsche in diesem Park!!
B: Ich bin so froh, dass Chihuahua-Hunde wie wir darauf rutschen dürfen!!
A: OMG, macht das Spaß!!
Wer: 2 Chihuahuas
Wo: Wasserrutsche?
Was: Spaß haben!!!!
Es ist wirklich so einfach.
Wenn Du diese Übung vertiefen möchtest, schreib mir gern eine Mail (inbalori@gmail.com), und ich schicke Dir den Link für einen Online-Kurs inklusive einer Anleitung und einer Übung, die Du ausprobieren kannst.
Weiter unten findest Du auch die Definitionen von:
„Ausstattung“ (engl. „endowment“) und „Prompting“
Und natürlich: mein unglaubliches KI-generiertes Ölgemälde von 2 Chihuahuas auf einer Wasserrutsche!
Viel Spaß!!!
Ausstattung/Endowment
In der Improvisation ist „Ausstattung“ (engl. „endowment“) eine Art von Angebot, bei dem Du deinen Szenenpartner*innen Eigenschaften, Einstellungen oder Verhaltensweisen zuordnest, die sie dann in eurer Szene übernehmen. Endowment ist ein Zeichen für gute Zusammenarbeit, indem du deinem Improvisationspartner*in bestimmte Eigenschaften gibst, die er beim Aufbau einer gemeinsamen Szene übernehmen soll.
Prompting
Ein Teleprompter, auch bekannt als Autocue, ist ein Anzeigegerät, das den Sprecher mit einem elektronischen visuellen Text einer Rede oder eines Skripts beim Sprechen unterstützt. Die Verwendung eines Teleprompters ist vergleichbar mit der Verwendung von Stichwortzetteln.
Souffleur (engl. „Prompter“)
Ein*e Souffleur*in im Theater ist eine Person, die den Schauspieler*innen Hinweise gibt, wenn sie ihren Text vergessen oder es versäumen, sich auf der Bühne dorthin zu bewegen, wo sie ...
Soufflieren:
Der Versuch, jemanden dazu zu bringen, etwas zu sagen.
geschrieben von Konstanze Kromer
Kennt Ihr das, in einer Situation zu sein, die sich weird anfühlt? Irgendwie fühlt man sich unwohl, sprachlos verwirrt…was sagt mein Gegenüber da grade?, irgendwas fühlt sich komisch an, aber man kann es nicht benennen. Bisweilen, merkt man sogar erst nach der Begegnung, ich fühle mich irgendwie schlechter als vorher…
2 Tage oder Stunden später erkennt man dann, zum Beispiel, das war eigentlich gar nicht nett, wie der oder die grade mit mir gesprochen hat, oder das war doch übergriffiges oder manipulatives Verhalten oder? Oder das ging einfach alles viiiiel zu schnell, ich wurde hier grad total übergangen und nicht gefragt, etc…und dann fallen einem hinterher zig Handlungsstrategien und Repliken ein, wie man hätte reagieren sollen, können, was man noch hätte sagen wollen…
Es muss natürlich auch nicht immer nur negative Überrumpelung sein, die uns verharren lässt. Auch in schönen Situationen verpassen wir es bisweilen, was gutes zu sagen, was gutes anzunehmen.
Wirklich DA zu sein.
Da zu sein mit allem was ist…was da fühlt und denkt. Auch in Improszenen kennen wir das gut! Verwirrung: „war ich nicht grad die Mutter, wieso nennt Sie mich jetzt „Schatz“, „welches Genre spielen wir hier eigentlich“, „Meine KollegIn hat gerade mein Angebot total vergagged… und jetzt…“
Meiner Meinung nach, ist das „Name it!“, der erste Schlüssel zur Entwirrung der Situation.
Erste Variante:
Du steigst aus, extemporierst und sagst „Entschuldigung, liebes Publikum, liebe RegisseurIn, liebe ModeratorIn, bin ich jetzt die Mutter oder wer bin ich…sorry ich bin verwirrt“ oder „welches Genre spielen wir hier nochmal“…“Frau Moderatorin, Regisseurin, ich fühle mich leicht verarscht…hab ich hier wirklich eine Banane anstatt einer Pistole in der Hand?“ Manchmal fühlt man sich aber einfach nur starr und verwirrt und weiss gar nicht welche Frage man genau hat, weil man den Absprung nicht geschafft hat, rechtzeitig zu fragen oder zu intervenieren und nun völlig im Kopf hängt.
Dann steig aus und mach DAS öffentlich: „Sorry, jetzt bin ich total verwirrt, kann mir mal einer sagen um was es hier geht…?“
Wichtig ist, dies charmant und knapp zu tun mit einer inneren heiteren Akzeptanz der Verwirrung und es sollte nicht zu Diskussionen auf der Bühne führen. Akzeptiere das Gefühl mit Freundlichkeit.
Zweite Variante:
Du nimmst die Verwirrung in die Situation deiner Figur. „Schatz, ich bin verwirrt, ich dachte grad Du bist mein Kind…“ das könnte dann die Szene dahin bringen, dass Deine Figur wieder in eine Psychose abgleitet und Ihr eine Art Psychothriller entwickelt, oder Dein Gegenüber antwortet. „ ach Liebling, ich weiss Du vermisst deinen Sohn, aber Du musst jetzt mal loslassen, er muss sein eigenes Leben leben…“ whatever.
Auch den Frust einer Vergaggung eines Angebotes kann man in die Figur nehmen…“ha, ha, jetzt nimmst Du mich nicht ernst aber eines Tages wird aus dieser Banane noch eine Pistole werden…“ und setzt einen Schnitt 10 Jahre später. Oder Du antwortest „tja mein lieber, ich wünschte auch Du hättest für unsere Generalprobe des Bankraubs schon die echten Knarren besorgt..“ Oder Du sagst als Figur einfach „ich fühle mich frustriert, und wünschte Du würdest mich einmal ernst nehmen…“ mal gucken, was da dann draus entsteht, der Ball liegt nun beim anderen…
Die richtige Frage zu stellen, ist nicht gerade einfach, ebenso bedarf das schon figürliche umdeuten, eine Menge an Übung. Aber sei Dir gewiss: Der erste und wichtigste Schritt ist, benennen zu können was man gerade fühlt. Auch im echten Leben. Name it! „Ich fühle mich irgendwie grade unwohl, mit dem was Du da sagst, tust, etc“
Auch wenn man noch nicht genau weiss warum. Durch die Akzeptanz und das heitere Annehmen der eigenen Befindlichkeit, schafft man Platz und Kapazität, den nächsten Schritt zu gehen, herauszufinden, was genau gefällt mir hier eigentlich grad nicht, was genau verwirrt mich eigentlich. Man steckt nicht mehr fest. Durch das benennen entschärft man.
Natürlich: Man macht sich verletzlich, zeigt sich in seiner vermeidlichen Unzulänglichkeit, aber meines Erachtens nach, ist genau DAS Stärke und Grösse: Bei sich und seinen Empfindungen zu bleiben und diese zu benennen. Man geht damit in Kommunikation mit seinem Gegenüber und öffnet damit einen Weg gemeinsam Lösungen zu suchen. Ausserdem öffnet sich dadurch auf magische Weise das Feld der Intuition, in dem die richtige Antwort oder richtige Frage bereits parat liegt
Das kann man übrigens jeden Moment üben:
„Was fühle ich gerade jetzt?“ Und dann einfach nur für Dich im Stillen: Name it!
geschrieben von Thomas Chemnitz
Es ist Sommerzeit, Zeit sich zu entspannen und das Leben zu genießen.
Komischerweise verbinden wir “Entspannung” meist mit “Nichts tun”. Am Badesee liegen und chillen. Oder auf dem Sofa abhängen und bingewatching machen.
Alles prima. Aber die wahre Kunst der Entspannung liegt natürlich darin, eine Aktivität entpannt zu betreiben. So auch das Improspielen. Allzuoft sieht man Improspielende auf der Bühne, die angespannt sind. Weil sie nach einem passenden Dialogsatz suchen, originell oder kreativ sein wollen. Oder weil sie vielleicht unbewußt denken, dass durch Anspannung die Szene automatisch spannend wird. Dabei ist zumeist das Gegenteil der Fall, man schaut Leuten nicht gerne zu, die angespannt wirken. Weil wir Menschen empathische Wesen sind und sich das dann sofort auf uns überträgt. (Anmerkung: dies ist anders, wenn nur der dargestellte Charakter angespannt ist, es also nicht die Anspannung des Spielenden selber ist, die ich sehe. Dann interessiert mich die Szene wahrscheinlich, da ich den Grund der Anspannung erfahren möchte.)
Eine meiner Lieblingsübungen gerade für Anfänger ist es, sie eine Solo-Szene spielen zu lassen. Eigentlich eine Garantie für sofortigen Stress. Aber hier kommt der Trick: Ich lasse sie eine ganz normale Alltagsaktivität betreiben und diese in ganz kleine, konkrete Handlungsschritte herunterbrechen. Dabei sollen sie innerlich “Was jetzt?” mit sich selber spielen, also immer nach einer konkreten Handlung für den nächsten Moment fragen, sich die Antwort geben und diese dann mit voller Aufmerksamkeit auführen, bevor sie sich nach dem nächsten Schritt fragen. Die einzelnen Handlungsschritte müssen wirklich klein sein. Also statt „Ich hole mir was zum Essen aus dem Kühlschrank“ geht eher wie folgt vor:
„Ich blicke zum Kühlschrank“ – Kopfbewegung ausführen.
“Was jetzt? Ich gehe zum Kühlschrank.” - Handlung ausführen.
“Was jetzt? Ich fasse den Griff des Kühlschranks an.” Handlung ausführen.
“Was jetzt? Ich öffne die Tür vom Kühlschrank“ Handlung ausführen.
„Was jetzt? Ich schaue in den Kühlschrank hinein.“ Handlung ausführen.
Und so weiter...
Diese Übung hat einen verblüffenden Effekt: Die spielende Person ist viel mehr im Hier und Jetzt, das (pantomimische) Handeln wird detaillierter und genauer, und: es ist zumeist keine Anspannung auf der Bühne zu spüren. Nach ca 60 Sekunden breche ich ab und frage, wie sie sich fühlt. Zumeist gut. Dann frage ich die Zuschauenden, ob das Zuschauen langweilig war. War es nie, obwohl 60 Sekunden lang nichts Besonderes passiert ist.
So machen die Spielenden (und auch die Zuschauenden) die Erfahrung, dass man sich einfach Zeit lassen kann auf der Bühne, solange man etwas Konkretes tut, auch wenn dies nur eine banale Alltagshandlung ist. Das funktioniert natürlich nur, solange man mit der Aufmerksamkeit voll und ganz bei dem momentanen Handlungsschritt ist und nicht schon vorausdenkt. Was schnell geschieht, wenn man nach einer Geschichte oder einer besonderen Situation für die Soloszene sucht. Denn klar, irgendwann wollen wir schon, dass „etwas passiert“, etwas, was die Alltagsroutine bricht und die Geschichte beginnen lässt. Wenn dieses „Etwas“ jedoch nicht aus der Handlung heraus geschieht, sondern aus dem Nachdenken, wirkt die Szene angespannt und kopfig. Dann sehe ich nur den nachdenkenden Improspielenden und nicht den Charakter, dem etwas passiert. Versuche also nicht, während du zum Kühlschrank gehst, schon zu überlegen, dass du dort ja etwas herausholen könntest, was vielleicht vergiftet ist, um dann anschließend einen qualvollen Bühnentod zu sterben. Sobald wir vorausdenken, verpassen wir die Geschichten, die auf dem Weg für uns bereitliegen. Vielleicht entgeht mir so die Überraschungstorte, die meine Freundin für mich in den Kühlschrank gestellt hat. Oder ich verpasse die Slapstickgeschichte vom Kühlschrank, der sich nicht öffnen lässt. Oder ich entdecke nicht die Notiz, die per Magnet an der Kühlschranktür befestigt ist, mit dem meine Freundin mir mitteilt, dass sie ausgezogen ist. Bleibt also entspannt und geduldig und mit neugieriger Aufmerksamkeit bei eurem Tun und findet dann das Angebot, dass irgendwann auf euch wartet.
Und weil wir ja nicht nur auf der Improbühne sondern auch im Leben oft nicht voll und ganz im Moment sind, könnt ihr die eben beschriebene Übung auch mal in eurem Leben machen, gerade bei einer ganz normalen, realen Alltagstätigkeit. Hier ist der Vorteil, dass ihr keine Objekte imaginieren müsst und somit versuchen könnt, bei jedem kleinen Handlungschritt sensorische Erfahrungen zu machen und diese zu benennen:
„Ich gehe zum Kühlschrank.“ – Ich spüre den Boden unter meinen Füßen, ich sehe den Fleck auf dem Boden direkt vor dem Kühlschrank.
„Ich fasse den Kühlschrankgriff an.“ – Ich spüre die leichte Vibration des Kühlschranks und höre das Brummen des Kompressors, was mir lauter erscheint als normalerweise“
„Ich öffne die Kühlschranktür.“ – Ich spüre wie sich die Tür sanft öffnet, ich nehme einen leicht säuerlichen Geruch war, der dem Kühlschrank entströmt.
Und so weiter...
Seht es ruhig als eine Art aktive Meditation an, es wird nämlich dazu führen, dass sich euer ständiger Gedankenstrom ausschaltet und ihr immer im jeweiligen Moment bleibt, was ja das Ziel jeder Meditation ist. Und außerdem lernt ihr, MEHR wahrzunehmen als normalerweise, was eine sehr wichtige Fähigkeit für das Improvisieren ist (und meist in unserern Kursen gar nicht explizit trainiert wird). Vielleicht entdeckt ihr ja dadurch auch in eurem Leben etwas ganz Neues, was eure Alltagsroutine bricht – ganz wie in einer guten Improszene.
Das Leben und das Improvisieren hält jede Menge Überraschungen für mich bereit, die ich nur entdecken muss, statt sie in meinem Kopf zu suchen. Finden statt Erfinden. Suchende sehen immer angespannt aus. Etwas mit Neugier entdecken ist dagegen eine entspannte und zugleich spannende Sache.
In diesem Sinne wünsche ich Dir einen entspannten Sommer voller Entdeckungen im Hier und Jetzt!
geschrieben von Lee White
»Meinungen sind wie Arschlöcher... jeder hat eins.«
Warum hat dann deine Figur keins?
Ich bin immer wieder erstaunt, wie lange Improspielende brauchen, um mein Interesse an ihrer Figur zu wecken. Wenn ich eine Figur fünf Minuten lang beobachte und keine Ahnung habe, welche Meinung sie zu etwas hat, ist sie es nicht wert, beobachtet zu werden und meine Gedanken schweifen ab. Was ist die Haltung der Figur? Was treibt sie an? Was ist ihr wichtig? Das muss ich wissen. Es kommt nicht darauf an, WAS Dein Partner sagt, sondern auf deine starke Meinung dazu.
"Ich habe Frühstück gemacht, lass uns essen." Sagt dein Partner.
Du antwortest: "Ja, lass uns frühstücken".
Mit diesem Satz wird das Interesse des Publikums nur verzögert. Sie müssen länger warten, bis sie von der Szene gefesselt werden. Wie viele dieser Nichts-Aussagen kannst du nacheinander machen, bevor du das Publikum verlierst? Eine Meinung zu haben, erregt die Aufmerksamkeit des Publikums und macht es neugierig auf das, was als nächstes passiert.
"Ich habe Frühstück gemacht, lass uns essen." Sagt dein Partner.
"Ich hasse dein Frühstück"
oder
"Ich liebe dein Frühstück".
Beides ist besser und verrät dem Publikum etwas über deine Figur. Sie können dann anfangen, sich eine eigene Meinung zu bilden, ob sie diese Figur mögen oder nicht. Je früher das Publikum eine Figur mag oder nicht mag, desto besser. Das bedeutet, dass sie sich engagieren und mehr wollen. Allein dadurch, dass deine Figur eine Meinung zum Frühstück hat, wird das Publikum in die Szene hineingezogen und ist bereit, mitzufiebern.
Ich höre dich sagen: "Aber Lee, wenn ich sage, dass ich etwas hasse, ist das negativ und wir sollten Szenen nicht negativ beginnen. Das hat mir mein Lehrer gesagt."
Ich komme nicht aus einer Welt, in der es Figuren verboten ist, negativ zu sein. In jedem Land, in das ich reise, treffe ich alle möglichen negativen Menschen, und die sollten auch in unseren Geschichten vorkommen. Es gibt viele Möglichkeiten, das für sich zu nutzen. “Nicht negativ beginnen” ist oft eine gute "Regel" für Anfänger, nicht aber für Fortgeschrittene oder Profis. Wir müssen die Regeln immer wieder in Frage stellen und fragen, warum sie notwendig sind.
Denkt an eure Lieblingsgeschichten und wie die Figuren darin starke Meinungen hatten. Wie sie dafür gekämpft haben und wie sie am Ende glücklich waren, diese Meinung zu haben. Wann haben sie angefangen, ihre Meinung deutlich zu machen? Wahrscheinlich in ihrer ersten Szene. Vielleicht sogar mit ihren ersten Dialogzeilen.
Charaktere, die keine Meinung haben, sind kaum Charaktere, und sie gewinnen nie das Herz des Publikums.
Egal, was dein Partner also als nächstes sagt, habe eine Meinung dazu. Liebe es! Hasse es! Triff eine Entscheidung, bei der du das Publikum hinter dir hast. Vielleicht hörst du sie dann sogar rufen: "Ja, Charakter! Ich hasse ihr Frühstück auch!".
geschrieben von Lutz Albrecht
In letzter Zeit nehme ich bei Auftritten seitens der Zuschauer/innen und unter Spieler/innen, vermehrt eine Diskrepanz in Bezug auf das Empfinden von provokantem, ironischem und politisch inkorrektem Spiel wahr. Und zwar eine Diskrepanz zwischen den Älteren und den Jüngeren, sagen wir mal so grob zwischen zwei Generationen.
Große Themen sind gerade allzu berechtigterweise gesellschaftlich in Diskussion: Klimaveränderung, Positionierung zur Art und Weise des Umgangs mit kriegerischen Konflikten, Diktaturen vs. Demokratien, Osten vs. Westen, Gleichstellung Frau–Mann, sexuelle Ausrichtung, Geschlechterzugehörigkeitsgefühl, Rechtsradikalismus, Rassismus und vieles vieles mehr … Es ist wirklich wunderbar, dass in einem freien Land wie Deutschland solche offenen Diskurse möglich sind.
Ich nehme eine zu begrüßende Achtsamkeit, Toleranz, Feinfühligkeit, wokeness der jüngeren Generation im Umgang mit den Mitmenschen, mit Andersseienden und Andersdenkenden als auch eine andere Betroffenheit mit einigen der oben genannten Themen wahr. Daraus resultiert vielleicht eine gewisse (konditionierte) Sensibilität, die einen reflexartig aufschreckend lässt, wenn etwas nicht politisch Korrektes passiert.
Eine Frage, mit der ich mich nun als Improspieler konfrontiert sehe, ist:
Sollte so gespielt werden, dass sich niemand emotional all zu sehr auf die Füße getreten, verletzt fühlt? Spiele ich aus meiner Sozialisierung heraus unsensibel, ignorant gegenüber der jüngeren Generation?
Wie spiele ich einen frauenfeindlichen oder einen alteweißemännerfeindlichen oder homophoben oder rassistischen oder kriegstreibenden Charakter? Für wen gibt es welche roten Linien, die nicht überschritten werden sollten? Was ist noch Humor? Worüber „darf“ ich als Publikum noch lachen ohne dass meine Platznachbarn/innen schräg rüberschielen?
Meiner Meinung nach sollte die Bühne ein moralisch freier Raum sein dürfen. Und zwar nicht nur die Satire- und Kabarettbühne, sondern auch die Improbühne. Es ist u.a. das Wesen des ImproTheaters, spontan, unzensiert, assoziativ zu spielen. Würde man mit der angezogenen moralischen Handbremse agieren, schränkte dieser Zensor das freie, fantasievolle, freche, eben auch das politisch inkorrekte Spiel ein.
Aus meiner Sicht sollte eine eher unterhaltsame Theaterform wie das ImproTheater auch eine Mischung aus Komödie und echter Tragödie, aus Komik und echten Konflikten, aus überzeichneten Charakteren, aus (Selbst)Ironie, auch mal aus Klamauk und einem der Gesellschaft den Spiegel vorhaltenden Spiel sein können.
Mich interessiert eine abwechslungsreiche, emotional achterbahnfahrende Improshow. Provokationen inklusive. Lacher dürfen gerne mal im Hals stecken bleiben. Ich möchte, stellvertretend für das Publikum, unartig sein, Dinge an- und aussprechen, die im „normalen“ Leben nicht erlaubt sind. Ich will für die Zuschauer/innen Emotionen ausleben, die im Alltag unerwünscht sind.
Jedoch sehe ich genauso die Gratwanderung zwischen zugespitztem Humor und Geschmacklosigkeit, zwischen heftiger Provokation und Verletzung sowie zwischen deftiger Parodie und Vorführen von Personengruppen. Die herausfordernde Kunst hierbei könnte es sein, im Hinterkopf zu wissen und wach zu halten, für wen und mit wem ich spiele. D.h. nicht, es allen recht zu machen, sondern eher ein Fingerspitzengefühl für verletzende Grenzüberschreitungen zu haben / zu entwickeln. Es sollte jede/r Künstler/in, jedes Ensemble und jede/r Zuschauer/in für sich selbst spüren und entscheiden, wo die subjektiven Grenzen liegen. Ich vermute, dass hier die Älteren und die Jüngeren eher unterschiedliche Grenzverläufe haben. So gibt es vielleicht auch hier eine Reibung zwischen den Generationen, die es immer schon gab und wahrscheinlich auch immer geben wird. Das ist auch gut so! Dadurch bleibt es lebendig und Stillstand wird vermieden.
Nachfolgend möchte ich einen Artikel zu diesem Themengebiet empfehlen, der mit folgendem Satz schließt:
»Als wäre die Angst, über das Falsche am falschen Ort zu lachen, größer als die älteste Sehnsucht im Lachen selbst: die Befreiung.«
aus
Grenzüberschreitung auf der einen Seite, Political Correctness auf der anderen: Eine Lachkultur, die alle Gesellschaftsschichten vereint, scheint es nicht mehr zu geben. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern kann auch gefährlich werden.
Von Markus Metz und Georg Seeßlen | 29.11.2020
https://www.deutschlandfunk.de/vom-krisenhumor-zur-humorkrise-wie-uns-das-lachen-verging-100.html
geschrieben von Dürten Thielk
Beziehungen im Impro sind wichtig - für jede Szene. Sie klärt recht schnell den Status, was man gemeinsam auf den ersten Blick erleben kann, wer mit wem, etc pp. Aber hast du dich schonmal nach der Beziehung zu deinem eigenen Körper gefragt? Wie ist die Beziehung zu DEINEM Körper? Seid ihr beste Freunde? Feinde, die sich nicht riechen können? Arbeitskollegen, die nach der Arbeit nen Bier zusammen trinken gehen? Oder ist es eher ein - äh, ja also ... der ist halt so da, also so an mir dran?
Warum ist das denn so wichtig? fragst du dich jetzt evtl. Dein Körper ist dein Arbeitsinstrument im Leben, wie auf der Bühne; deine Möglichkeit in grossartige (und auch schlechte :-) Szenen abzutauchen. Mit deinem Körper erlebst du die Dinge, deinen Alltag, deine Bühnenmomente, deine Erfahrungen allgemein.
Ich hatte früher eine ganz verquere Beziehung zu meinem Körper. Ich war fest und steif, gefangen in meinen Gedanken, meiner Perfektion. Beim Spielen und im Leben. Wie im Aussen so im Innen. Seitdem ich mich mehr mit meinem Körper, mit meinen physischen Möglichkeiten und Blockaden beschäftige; die Beziehung zu meiner Hülle verwandelt habe vom Feind zum Freund, desto mehr macht es Spass zu spielen, zu leben. Es kommen neue, andere Gedanken, ich bin freier, es gibt mehr Gestaltungsspielraum, ich lasse mich überraschen - durch unterschiedliche Körperhaltungen, meine Stimme, einfach mal ins Ungewisse abtauchen...
Je offener und flexibler ich in meinem Körper geworden bin, desto mehr öffnen sich auch die Möglichkeiten des Spiels. Ich kann flexibler agieren und muss nicht nur auf meinen Verstand zählen, dass der mir die besten Ideen schenkt, mir das tollste Angebot gibt und das bitte so schnell, damit nicht der/die PartnerIn nen besseren Vorschlag vor mir hat...
Der Verstand ist nur ein kleiner physischer Teil unseres Lebens und hat ständig so viel zu tun - vermeintlich. Der Grossteil unseres Seins besteht aber aus Körper. Wie agieren wir? Mit was drücken wir unsere Gefühle aus? Mit was gehen wir über die Straße? Wer zahlt an der Kasse? Mit wem können wir Umarmungen verteilen?
Warum nicht mal den Kopf ausschalten und den Körper bewusst an?
Es erfordert Training, das ist klar, das geht leider nicht von heute auf morgen. Ich hätte hier gern etwas anderes gesagt :)
Aber warum nicht mal bei der nächsten Probe, beim nächsten Training, in der nächsten Show bewusst den Körper mitnehmen? Es muss nicht immer das perfekte Gedicht sein, die tollste fremdsprachige Übersetzung, das perfekt improvisierte Shakespeare-Drama im korrekten Reimschema - mit einer bewussten, ehrlichen Körpersprache kann man das Publikum schon begeistern und berühren.
Na, Lust bekommen auf deinen Körper? Dein Ausdrucksmittel? Lust mal auszuprobieren, die Fussstellung zu ändern und das als Figur anbieten, die Augen aufreissen und dann gucken was und wie die Worte kommen? Den Bauch bewusst hängen lassen und als Figur benutzen? Deine Stimme verwandeln? Die Hände anders einsetzen? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten.
Am Anfang fühlt es sich komisch und ungewohnt an. Klar. Aber mit ein bisschen Übung spielst du Charaktere, die der Verstand sich so gar nicht ausdenken hätte können.
Das gelingt nicht immer, auch den besten Profis nicht. Aber das ist ja das coole im Impro. Fehler sind willkommen.
Just try it.
geschrieben von Marko Mayerl
Ich hatte immer wieder entfernt von der Meisner-Methode gehört, von Freunden und von Freunden von Freunden, und alle meinten, dass sie großartig und zugleich seltsam sei. Ich war fasziniert und sehr neugierig. Das Leben, als hätte es einen eigenen Willen, hatte mir aber keinen schlüsselfertigen Meisner-Kurs in den Weg gelegt, und ich hatte mich nicht auf die Suche danach gemacht. Kurz gesagt: diese Technik kreuzte nicht meinen Weg als Künstler, sondern schwebte in der Luft, wie ein Regenbogen, den ich nicht erreichen konnte. Man muss dazu sagen, dass es in Straßburg nicht viele Theaterausbildungen gibt und dass mein Leben gut ausgefüllt war. Als ich dann eines Tages hörte, dass es in Straßburg einen Einführungskurs zur Meisner-Technik gab, meldete ich mich sofort an. Und tatsächlich war es seltsam.
Ich war in einen Workshop, in dem es kein Aufwärmen gab, wo die Leute sich nicht fürs Training umzogen, und wo man mehr über die Übungen sprach, als sie zu praktizieren. Das war nicht gerade meine Vorstellung von einem Theaterworkshop. Aber ich sprang ins kalte Wasser, stieg in den Zug und fuhr los. Ich glaube, ich habe gut daran getan, denn ich entdeckte eine sehr präzise und klare Technik, welche die Ahnungen, die ich schon lange hatte, in Worte fasste. Vor allem aber entdeckte ich einen ganz besonderen Raum: den Raum der repetitiven Übung.
Ein einzigartiger Raum, in dem ich mich frei fühlte. Diese Freiheit war berauschend und erschreckend zugleich. Ein Raum, in dem man einfach nur beobachten und auf das reagieren muss, was man vor sich sieht: seinen Partner oder seine Partnerin. Eine Art Eintauchen in den gegenwärtigen Moment mit einer ungeahnten Kraft und Stärke. Dann entdeckt man den nächsten Moment, und den nächsten Moment, und den nächsten Moment... Dieser Ort wurde schnell zu einem Ort der Einfachheit, der Intensität, der Entdeckung. Ein Ort, an dem die Einfachheit herrscht. Und Einfachheit ist schwierig.
Dann brachte mich das Leben dazu, in London zu leben. Zunächst für ein Jahr, dann für ein zweites, in dem ich beschloß, eine einjährige Ausbildung in der Meisner-Technik zu absolvieren. All die Arbeit, die ich in Straßburg geleistet hatte, bekam eine neue Dimension. Ich hatte das Gefühl, der Quelle näher zu kommen, die Technik tiefer zu erleben und zu verstehen. Für mich ist diese Technik eine Form des Trainings, eine Art, zu üben und sich in einem spielfähigen Zustand zu halten.
Es ist ein stetiges Fortschreiten, Schritt für Schritt. Für mich ist die Metapher dieser Progression folgende: Zuerst ist man im Nichtschwimmerbecken und fragt sich, warum man ganz einfache Übungen machen muss, wenn man doch schon auf das große Becken schielt und davon träumt, im Schmetterlingsstil zu schwimmen. Aber erst müssen wir durch dieses kleine Becken waten, dann die Bojen entfernen, dann die ersten Schwimmbewegungen, mit den Füßen noch auf dem Grund, dann in das große Becken gehen und schwimmen, ohne den Boden zu berühren, und wir denken, jetzt haben wir es. Und dann entdeckt man den Ozean und schwimmt in den Wellen ... Man kommt mit Strömungen, Stürmen, leichten Brisen und Windstille in Berührung, und wenn sich von Zeit zu Zeit die Nordlichter entfalten, bleibt einem nichts anderes übrig, als den Moment zu genießen.
Sehr schnell wurden meine Ausbildungskollegen und ich süchtig nach diesem Ort. Mit dem Wunsch, dorthin zurückzukehren, um unsere tägliche Dosis zu bekommen. Eine Art Raum, in dem die Last der gesellschaftlichen Konventionen das Verhalten nicht erdrückt, in dem selbst die Luft reiner erscheint und in dem man jedes Mal neue Teile von sich selbst entdeckt.
Da ich Improvisationskünstler bin, ging mir die Frage nach der Verbindung zur Improvisation durch den Kopf. Wie konnte man all das auf Impro anwenden? Ich habe gesucht und gesucht, habe versucht, die Intensität des Raumes der repetitiven Übungen in Impro-Shows wiederzufinden. Ich habe keine Antwort gefunden. Aber die Frage bleibt spannend, daher ist die Antwort im Grunde egal. Ich bin davon überzeugt, dass es für Improspieler*innen von Vorteil ist, die Erfahrung dieser Technik zu machen und mit ihr auf die Reise zu gehen.
Hier sind einige Sätze, die ich im Laufe meiner Schulungen aufgeschnappt habe:
- Wo ist meine Aufmerksamkeit?
- Das Bewusstsein meines Selbsts hindert mich daran, die Sache wirklich zu tun.
- Den Unterschied zwischen “glaubwürdig” und “wahrhaftig” erkennen.
- Es ist aufregend, seine Impulse zu greifen.
- Ein Impuls ist nicht das, was Du tun willst, ein Impuls ist das, was der andere dich tun lässt.
- Es kann etwas passieren, und das ist gut und nicht schlecht.
- Es ist kein Spiel, alles ist wahr.
- Es ist ein Spiel, in dem man verlieren muss, um zu gewinnen.
- Lass dich beeinflussen.
- Reagiere auf das Verhalten, das du siehst.
- Was mit mir geschieht, hängt vom anderen ab.
- Nutze den Moment nicht, um eine Botschaft zu übermitteln, beobachte einfach und antworte.
- Wenn du wissen willst, was deine Erwiderung bedeutet, beobachte die Reaktion deines Partners.
- Man sehnt sich nach einem größeren Raum, um auf mehr Möglichkeiten zugreifen zu können.
- Fische glauben nicht, dass sie im Wasser schwimmen, sie schwimmen im Wasser.
- Diese Arbeit ist das größte Vergnügen, das man haben kann, ohne seine Kleidung abzulegen.
Ich sehe viele Verbindungen zur Improvisation. Vielleicht sollte man präzisieren: zu welcher Impro? Denn ich glaube, wir würden davon profitieren, wenn wir den Baum, zu dem Impro geworden ist, ein wenig mehr definieren würden. Die Äste benennen, um sie nicht mehr gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr die gemeinsamen Stämme und Abzweigungen zu kennen. Das ist eine Menge Arbeit und es gibt viel zu tun, doch jemand wird sich daran machen, wenn es an der Zeit ist.
Zum Abschluss: Als ich meine Ausbildung in London beendete, machte ein Freund, der die Ausbildung mit mir absolviert hatte, an einer anderen Meisner-Schule weiter. Er kam von dort zurück und sagte mir, dass er endlich die Grundlagen dieser Arbeit entdeckt habe. Meine erste Reaktion war, dass ich mich entmutigt fühlte und naiv dachte, ich hätte ein Jahr Ausbildung umsonst gemacht hatte. Mmmh... doch dann wurde mir einfach klar, dass ich gerade entdeckte, dass es auch bei dieser Technik mehrere Strömungen gibt. Und wie auch immer die Technik gemacht wird: das ändert nichts an meiner eigenen Erfahrung und meinen Gefühlen. Und mittlerweile liebe ich es, meine Freude daran mit jedem zu teilen, der es möchte.
geschrieben von Beate Fischer
Mich hat es erwischt. Mich, die dachte, sowas passiert ihr nie. Ich habe mir das Handgelenk gebrochen. Multitasking? Vergiss es! Eine Sache nur und sonst nichts.
In einer Welt, in der der gebrochene Arm plötzlich die Hauptrolle spielt, kannst du alle Routine über Bord werfen. Das morgendliche Aufstehen beginnt bereits mit einer artistischen Darbietung, bei der ich mich mit einer geschickten Körperstemmdrehung aus dem Bett arbeiten muss – denn der gebrochene Arm ist der neue Herrscher der Bewegungen: immer hochhalten, keine Erschütterung zumuten, geschweige denn Berührung.
Jede Handlung ist totale Improvisation. Die Kunst, einhändig Zahnseide zu benutzen ruft nach olympischer Disziplin. Glücklicherweise kam meine Nichte auf die Idee ein Ende der Zahnseide am Handtuchhaken anzubinden während ich mit der anderen Hand straff ziehe und mich wie ein Tier mit vollstem Körpereinsatz an der richtigen Stelle positioniere und mich vertikal entlang schubbere. Auch das Öffnen von Flaschen wird zur akrobatischen Meisterleistung, bei der man geschickt mit den Beinen die Flasche hält. Sollte sich diese aber zwischen den behosten Beinen durchdrehen hilft nur nackt machen. Dann ist genug Widerstand vorhanden, um nur den Deckel aufzudrehen. Doch Vorsicht: wenn die Flasche aus Plastik besteht verursachen die Adduktoren so viel Druck, dass sich der Flascheninhalt in Sekunden über den Schoß ergießt. Selbst beim Versuch, die alltägliche Technologie zu beherrschen, kann ich nur noch müde über Schreibfehler schmunzeln. Was mir da an Worten vorgeschlagen wird ist eine Sammlung wert. Hab ich erzählt, dass mein dominanter Arm betroffen ist? Worst case!
Mit einem gebrochenen Arm wird jeder Tag zu einem Impro-Abenteuer, das mit Humor, Kreativität und Geduld gemeistert wird. Die sozialen Interaktionen gewinnen an Tiefe, wenn Freunde und Familie bereitwillig aushelfen und zu unfreiwilligen Assistenten werden. Das gemeinsame Lachen über die skurrilen Situationen schweißt zusammen und zeigt, dass auch mit einem gebrochenen Arm der Alltag weitergeht – wenn auch auf eine etwas ungewöhnliche Weise: nämlich SEHR LANGSAM.
Die kulinarische Expedition mit einem gebrochenen Arm erreicht ihren Höhepunkt, wenn man ausgehungert Gemüse klein schneiden will und dabei das größte Messer nimmt und auf das Gemüse einhackt als wäre man in einem Martial Arts Film. Das Gemüsebrett wird zum Schlachtfeld und die Kürbis-Stücke fliegen durch die Luft als wäre man in einem epischen Gemüse-Duell. Vergebliche Versuche, mein Haar festzustecken, enden oft damit, dass ich wie ein rebellischer Pudel mit ungekämmtem Haar das Haus verlasse während die Haarspange triumphierend an der Kapuze hängt, in der Hoffnung einen Freund zu treffen, der sich ihrer annimmt.
Nachdem ich mich zu Silvester habe hinreißen lassen, rote Unterwäsche zu tragen, denn das bringt laut italienischem Aberglauben Liebe und Glück im neuen Jahr, konnte ich nur auf einen Body zurückgreifen. Er ist das einzige Teil in rot in meiner Sammlung. Das Ergebnis war, dass ich dabei mit einer Mischung aus Geschick und Geduld versuchte, die Ösen im Schritt einhändig zu verbinden. Mein Aufenthalt im Badezimmer der Gastgeber dauerte gefühlt länger als mein gesamtes Erscheinen auf der Party. Glücklicherweise lassen sich meine Schuhe so schnell anziehen, dass immerhin mein erschöpfter Abgang in Null Komma nix von statten ging.
Doch trotz aller skurrilen Situationen und Herausforderungen erweist sich der gebrochene Arm als unerwarteter Lehrmeister des Lebens. Jeder Tag wird zu einer unterhaltsamen Reise, bei der man nicht nur die Tücken des Alltags meistert, sondern auch die eigenen Grenzen mit einem Augenzwinkern akzeptiert. Denn manchmal sind es gerade die unperfekten Momente, die den Alltag zu einer unvergesslichen Komödie machen. Selten fluche ich, aber meistens kann ich mich tatsächlich im wahrsten Impro-Sinne nur dem Moment hingeben. Ich weiß, es geht nicht schneller, ob ich fluche, schreie oder wütend werde, das bringt alles nichts. Es braucht, was es braucht und die Tage gehen wahnsinnig schnell rum, weil alles so lange dauert, ewig. Man kommt nicht umhin festzustellen, dass eine gewisse Beweglichkeit von Vorteil ist, wenn man eingeschränkt ist. All die Jahre des Yogas und Kung-Fus haben sich dann doch gelohnt. Auch wenn sie nie zur Perfektion herangereift sind. Die tiefe Fokussierung, die Konzentration, die Dinge zu lösen, lässt keinen Raum mehr für etwas anderes zu. Und da ist er wieder: der MOMENT. Kein gestern, kein vorhin, kein morgen. Völliges Einlassen auf das, was mich direkt umgibt, ist absolut meditativ und schön. Ich muss nur zulassen, dass alles wahnsinnig lange dauert und der Tag um ist, bevor er gefühlt angefangen hat.
geschrieben von Christoph Jungmann
Improtheater, so wie wir es praktizieren, sollte zum einem nicht unter der Last ersticken, alle Zutaten müssen bis ins Letzte improvisiert sein, und zum anderen sollte sich unsere Spielform auch weiterentwickeln. Für mich ist es absolut ok und sogar erstrebenswert, dass ein*e Spieler*in mit einem Charakter auf die Bühne geht, der vorher detailliert durchdacht, der gearbeitet ist. Dieser Charakter kann und sollte auch ein »Wollen« haben, also etwas, was er/sie erreichen will. Je mehr ich über meine Figur weiß, desto mehr profitiert die Improvisation. Aber: jetzt wird’s tricky - ich muss natürlich jederzeit bereit sein, in meiner Figur flexibel zu bleiben. Wenn ich mir vorher überlegt hatte, meine Figur hat keine Kinder, meine Partnerin aber sagt: »Holst Du heute unseren Sohn von der Kita ab?«, dann muss ich natürlich darauf reagieren. Dennoch: ein Charakter, den ich schon kenne, kann ein neuer und belebender Impuls für das Bühnengeschehen sein.
Charaktere kann ich also vorher bauen, aber auch die Geschichte? Sich absprechen? Als wir neulich die ersten Vorstellungen mit unserem Wagner-Impro-Format spielten, haben wir in der Pause darüber nachgedacht, wie könnte eine Geschichte mit diesen beiden Figuren, für die wir uns gemeinsam mit dem Publikum entschieden hatten, aussehen. Auch das finde ich völlig legitim. Durch das Assoziieren mit den Hauptcharakteren machen wir die Tür auf zu der Welt, die uns erwartet. Aber dass wir dann auf der Bühne dem Moment folgen, also dem, was durch die Improvisationen entsteht, ist ebenso klar. Also, meine Schlussfolgerung: ja, wir dürfen planen, wir dürfen und sollen Bausteine kennen resp. vorher kennenlernen (wie auch z.B. den Ort der Handlung, den wir vor unserem Auge und dem des Publikums entstehen lassen), aber das im-Moment-sein ist und bleibt immer das Entscheidende während der Improvisationen, es ist die Essenz, und das Zusammenspiel mit meinen Partner*innen ist das Maß aller Dinge, wohinter alles andere zurücksteht, alles. Wenn wir uns dessen berauben, verliert unsere Kunstform schlagartig an Kraft und Attraktivität.
2023
geschrieben von Barbara Klehr
Im Oktober haben wir ein neues Format rausgebracht: eine Oper im Stile Richard Wagners. Abgesehen davon, dass es großen Spaß gemacht hat, etwas Neues zu proben und zu erarbeiten, zeigt sich wieder einmal, dass die Musik auf der Improbühne eine ganz wichtige Rolle spielt. Ich fand es großartig, zu erleben, dass das Publikum zwei Abende hintereinander ausgesprochen begeistert ist! Kein Wunder angesichts der unglaublich tollen Musik, die unser Musikerkollege Felix Raffel auf die Bühne zaubert! In Gesprächen mit ZuschauerInnen (erfahrene ImprogängerInnen) habe ich aber auch erfahren, dass diese es als besonders belebend empfinden, wenn auf der Improbühne gesungen wird. Insbesondere wenn die Person, die singt, das ernst nimmt, was die Figur, die sie verkörpert, singt.
Und das haben wir bei diesem Format angestrebt! Jenseits von normaler Opernpersiflage, die es ja öfter bei uns zu sehen gibt, und in der wir uns zugegebenermaßen auch ein bisschen lustig machen über die Oper, wollten wir versuchen, uns den Figuren und der Geschichte wirklich ernsthaft zur Verfügung zu stellen. Das Leiden und die Leidenschaft groß machen, Gefühle ausbreiten, ausbreiten, ausbreiten. Und das ausschließlich singend.
Im Unterrichten erlebe ich ganz oft eine tiefe Sehnsucht der Menschen, ihre Stimme zu erheben, sich singend auszudrücken, gleichzeitig ist da ganz viel Scham. Auf der Improbühne ist die Disziplin „Singen“ von vielen gefürchtet, andererseits werden diejenigen bewundert, die es „können“ oder einfach machen. Du musst kein großartiger Sänger sein, um gute Improsongs auf die Bühne zu zaubern. Noch nicht mal deine Stimme muss besonders gut ausgebildet sein. Es bedarf eines Gefühls für Rhythmus, das bei fast allen von uns recht schnell geweckt und ausgebildet werden kann, und Bewusstsein darüber, wie ein Song/Lied eigentlich aufgebaut ist. An dieser Stelle möchte ich auf mein Workshopangebot Anfang März hinweisen. ;-)
Doch jetzt ist Dezember, eine Zeit, die uns einlädt zum Innehalten und zum Rückzug. Leichter gesagt als getan… aber hört doch mal wieder bewusst ein Musikstück, ohne dabei zu lesen oder zu arbeiten. Singt laut mit beim schnulzigsten Weihnachtssong, den ihr kennt. Ladet eure PartnerIn zum Tanzbeinschwingen auf den Wohnzimmerdielen ein!
Und: schaut euch »Die Pediküre - keine Oper von Wagner« im Januar an! Das ist wirklich mal "was Anderes" auf der Improbühne!
geschrieben von Laura Berkemeyer
Was passiert, wenn Menschen sich in ihrer Freizeit kreativ betätigen, wie zum Beispiel Impro spielen? Kann diese kreative Aktivität das Wohlbefinden steigern und welche Prozesse sorgen dafür? Mit genau diesen Fragen haben wir uns an der Universität in Münster beschäftigt.
Dafür haben 84 Arbeitstätige in einer Arbeitswoche zweimal täglich einen Fragebogen ausgefüllt. Direkt nach der Arbeit und vorm Schlafen gehen wurden sie gefragt, wie es ihnen geht und wie viele Minuten sie mit welcher Tätigkeit am Feierabend verbracht haben. Das Besondere an dieser Studie ist, dass nicht Menschen untereinander verglichen werden, sondern dass die verschiedenen Tage von einer Person mit sich selbst verglichen werden. So können wir herausfinden, ob es Menschen an Tagen, wo sie viel Kreatives machen, anders geht als an Tagen, wo sie wenig oder gar nichts Kreatives machen. Es geht also nicht um die Unterschiede zwischen Personen, sondern innerhalb der Personen an verschiedenen Tagen.
Dabei konnten wir herausfinden, dass an Tagen, wo Menschen mehr Zeit mit kreativer Aktivität am Feierabend verbrachten sie höheren positiven Affekt, weniger Müdigkeit und mehr Ruhe – also insgesamt ein höheres Wohlbefinden hatten. Zusätzlich haben wir gemessen, dass dieser Zusammenhang erklärt werden kann, weil die Personen während der kreativen Aktivität das Gefühl haben sich selbst ausdrücken zu können. Dadurch können sie sie selbst sein und müssen sich nicht so stark selbst regulieren, wie vielleicht auf der Arbeit. Ein weiterer Prozess, der während der kreativen Aktivität passiert ist Absorption. Das ist das Gefühl voller Konzentration und das Aufgehen ganz in der Tätigkeit.
Also konnten wir insgesamt feststellen, dass kreative Freizeitaktivitäten – wie Impro spielen positiv mit Wohlbefinden, Selbstausdruck und Absorption zusammenhängen.
Wie schon Picasso sagte „Jedes Kind ist ein Künstler. Das Problem ist ein Künstler zu bleiben, wenn man erwachsen wird.“ Unsere Studie soll Menschen dazu ermutigen weiterhin ihre kreative Seite zu nutzen, sich selbst auszudrücken, absorbiert zu sein und das Wohlbefinden zu steigern. Und was eignet sich dafür besonders gut? Impro am Feierabend!
geschrieben von Michael Wolf
Das biografische Wissen über eine Spielfigur erschließt sich den Spielenden erst nach und nach in der improvisierten Szene. Alle an der Improvisation Beteiligten arbeiten unentwegt an der eigenen und der Biographie der Mitspielenden. Diese entwickelt sich unentwegt und ist nie statisch.
Nichts ist festgeschrieben oder vorausgedacht, höchstens einem Publikumsinput wie z.B. einer charakterlichen Beschreibung, einer Berufsvorgabe etc. muss Tribut gezollt werden.
Im Verlauf des Spiels zählt nur noch das emotionale Angebot oder das gesprochene Wort und selbst diese beiden bieten immer wieder Interpretationsspielraum.
Dass wir unterschiedliche Rückschlüsse aus den Angeboten der SpielpartnerInnen ziehen, dass zuweilen das eigene Weiterentwickeln des Gedachten sehr missverständliche Situation provozieren kann, liegt in der Natur der Sache und ist unabdingbar.
Das Missverständnis ist Teil unseres Lebens und auch Teil der Improvisation. Wir müssen lernen mit den daraus resultierenden Enttäuschungen gut umzugehen. Wir müssen sie in der Auswertung der Szenenarbeit benennen können, ohne dass diese zum Konflikt führt.
Es war an einem verregneten Impro- Abend im Europäischen Theaterinstitut: Die Teilnehmenden hatten einen anstrengenden Tag hinter sich und tröpfelten nach und nach in den Kursraum 8. Ich stand am Fenster, unten die dunkle Spree, oben leuchteten verschwommen die Scheinwerfer der vorbeifahrenden S-Bahn.
Nach einem zähen Warm Up begann die erste Szene in hellem Neon- Licht: Zwei Spielende unterhielten sich. „Hallo, wie geht’s?“. „Ach gut, und bei Dir?“. Einige im Publikum schauten aus dem Fenster, andere noch mal kurz ins Smartphone, ich ertappte mich dabei, an mein Lasagne- Rezept von neulich zu denken. Was war los? Es gab keine Figuren, kein Gefühl und eine Handlung war nicht zu erkennen.
Da ging mir ein Licht auf: Nichts war los. Es fehlte die Energie und damit auch alles andere! Ich machte ein weiteres, diesmal kräftiges Warm Up (auch für mich) und wir fingen noch mal von vorne an. Vieles ging nun wie von selbst. Die Teilnehmenden trafen die Entscheidung, etwas darstellen zu wollen. Einen Charakter, ein Gefühl, ein Erlebnis. Sie begannen zu Handeln. Und alles ein bisschen BIGGER THAN LIFE. (Unser zweites Warm Up bestand aus „Samurai“ und „Whiskymixer“).
Als Voraussetzung für die Arbeit auf der Bühne braucht es also ein gewisses Maß an mehr Energie als üblich, erst dann kann mit den Impro-Skills begonnen werden. Die Energie aus dem Warm Up schwappte in die Szenen und bestimmte auch das Timing: Spannung aufbauen, steigern und auflösen – liegt unter jeder Story. Die Schüler*innen erlangten ein Bewusstsein über diese Kraft und konnten sie sogar einteilen. Sie lernten, dass eine Geschichte vom Inhalt geführt wird - und von der Energie. Dadurch kann verhindert werden, dass sie ausläppert; und in sogenannte „Beats“ aufgefädelt werden.
Gut, den inneren Schweinehund und die Sofasehnsucht überwunden zu haben! Nach aufregenden Szenen und einem Abschlussritual (wir zählten abwechselnd bis 12) fiel die Spannung von uns ab. Wir gingen vergnügt in die herbstliche Nacht, es hatte aufgehört zu regnen.
Zum Abschluss noch eine schöne Energie- Übung für die Bühne (ON/OFF): Vier bis sechs Spielende stehen am Rand. Wenn eine Person die Bühne betritt, ist sie ON. Sie kommt schon mit „etwas“ (z.B. Gefühl, Handlung) rein. Die anderen müssen im Moment entscheiden, ob sie mitgehen und auch ON sind oder draußen im OFF bleiben. In der Szene versucht jeder Charakter so lange wie möglich, sein „Thema“ im Zusammenspiel zu erhalten oder zu steigern. Sobald eine Figur bei Energieabfall die Bühne verlässt, müssen alle anderen auch raus und erneut an den Rand. Und dann geht es wieder von vorne los.
Folge 4: »Ich suche nicht, ich finde!«
geschrieben von Thomas Chemnitz
In diesem Monat kommen wir zum Abschluss der Mini-Serie zu Impro-Weisheiten.
Voriges Mal ging es darum, zu spüren, ob die eigene Idee wirklich das ist, was die Geschichte gerade braucht. Aber was ist, wenn ich zwar irgendetwas spüre, aber partout keine Idee dazu habe? Nicht nur Anfänger kennen das Gefühl der Ideenlosigkeit. Was besonders schlimm ist, wenn es auf der Bühne passiert. Man kann den Spielenden dann geradezu ansehen, wie sie aussteigen und in den Kopf gehen, um dort nach einer Idee zu suchen. Die Körperlichkeit der Figur ist verschwunden, man sieht nur noch den Spielenden, der gerade innerlich auf der Suche ist. Um dann möglicherweise mit einer “Standardlösung” zurückzukommen: ich verliebe mich in dich, ich töte dich oder ich finde schnell eine Möglichkeit, die Bühne zu verlassen. Das klappt immer irgendwie, auch wenn es vielleicht nicht das ist, was der Moment eigentlich gerade bräuchte.
Bin ich gerade im Off, sehen die Zuschauer*innen mein inneres Suchen zwar nicht, das macht es aber nur unbedeutend besser. In jedem Fall hilft die Weisheit, um die es dieses Mal geht:
»Ich suche nicht, ich finde!«
oder »Alles, was ich für die Szene brauche, ist schon da.«
Klingt vielleicht ein bisschen esoterisch, ist aber ganz praktisch umsetzbar. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ich die Weisheit aus Folge 2 beherzige: ich gehe (oder bleibe) in Beziehung und stelle Verbindungen her. Denn hierdurch werde ich fündig, nicht durch bloßes Nachdenken.
Ein Beispiel: bei der in Folge 2 beschriebenen Übung zu verschiedenen Beziehungseinheiten lag ja der Fokus darauf, zu entdecken, in welcher Einheit man sich gerade befindet, auch im Bezug zum Publikum. Aus dieser Entdeckung heraus kann der Impuls für mein nächstes Tun kommen: bin ich Teil einer Gruppe und eher hinten auf der Bühne? Dann sind wir vermutlich eine Art kommentierender Chor. Wir können Atmosphäre erschaffen oder ein Bild oder eine kleine Tätigkeit, ohne den Fokus von der Szene zu nehmen, die vielleicht gerade vorne stattfindet. Bin ich in einer klaren 2er-Beziehung und eher im vorderen Teil der Bühne? Dann könnte daraus jetzt eine Szene entstehen. Haben wir eine Geste oder Bewegung? Das könnte ein Hinweis auf die Situation sein, in der wir uns befinden. Wie ist meine körperliche und räumliche Beziehung zum anderen Charakter? Das könnte mir Hinweise zu meiner inneren Haltung diesem Charakter gegenüber geben. Wie ist meine eigene Körperlichkeit, meine eigene Stimmung? Das alles gibt Hinweise auf meinen Charakter. Ich muss mir also nie wirklich etwas ausdenken und suchen, sondern über das “Verbunden-Sein“ finde ich verschiedene Hinweise und Impulse. Und dann reicht es, diesen Moment einfach auszubreiten. Ich mag den anderen Charakter nicht? Ich finde dafür einen Grund. Ich fühle mich als Spieler gerade ängstlich und unsicher? Ich lasse meinen Charakter dieses Gefühl adoptieren, male es aus und finde einen Grund dafür. Vielleicht kommt mir jetzt, aus dieser Haltung heraus, der ersten Satz der Szene in den Sinn und ich sage ihn. Vielleicht war aber der/die Andere auch schneller und sagt den ersten Satz. Dann lasse ich meinen eigenen Satz los und höre genau zu: WAS wird gesagt und WIE wird es gesagt? Hier steckt vermutlich der Keim der ganzen Szene drin. Ich habe ihn also schon gefunden und muss nur noch dabei helfen, dass dieser Keim sich ausbreiten kann! Wobei mir die Weisheit aus Episode 3 hilft...
Ein Nachwort
All diese Weisheiten sind, wie ihr vermutlich schon gemerkt habt, miteinander verbunden, sie wirken wie die Fäden eines Geflechts aufeinander ein. Das Schöne daran ist, dass gutes Improvisieren sich im Grunde immer einfach anfühlen sollte: Weil ich eben nicht verzweifelt in meinem Hirn nach Ideen suchen muss. Weil ich mich nur verbinden muss, zuschauen, zuhören und entdecken, was schon da ist. Und dann der Geschichte nur dabei helfen, sich auszubreiten und zu entwickeln. Und bei all dem muss ich keine Angst vor Fehlern haben, denn die gibt es ja nicht:)
In diesem Sinne ermutige ich euch, all diese Weisheiten in euch wirken zu lassen und mit diesem »Spirit« in den nächsten Workshop oder auf die nächste Bühne zu gehen. Viel Spaß dabei!
Folge 3: »Frage Dich immer: Welche Geschichte will gerade erzählt werden? Was braucht es jetzt gerade?«
geschrieben von Thomas Chemnitz
In Folge zwei der Mini-Serie zum Thema »Impro-Weisheiten« habe ich erwähnt, dass unser Ego der tieferen Idee vom Improvisieren oft im Wege steht. Sehr hilfreich ist es daher, mit folgenden Fragen auf die Improbühne zu gehen:
Welche Geschichte will gerade erzählt werden?
Was braucht es jetzt gerade?
Wenn man anfängt zu improvisieren, freut man sich über die eigenen Ideen, die plötzlich im Hirn aufpoppen. Und da man ja gehört hat, dass es keine Fehler, sondern nur mögliche Angebote gibt (siehe Folge 1), kann man es oft gar nicht abwarten, die eigene Idee in die Szene einzubringen. Gerade wenn mehr als zwei Spielende beteiligt sind, kann das aber auch schnell anstrengend und für alle zunehmend kompliziert und verwirrend werden. Bei »Batovia« (dem mit Randy Dixon entwickelten Projekt des diesjährigen internationalen Festivals) waren wir zu siebt auf der Bühne, daher war diese Weisheit für uns sehr wichtig. Sie geht davon aus, die Geschichte wie ein eigenes Wesen zu betrachten, welches sich an diesem Abend enfalten möchte. Meine Aufgabe ist es, zu dienen! Ich überlege dafür nicht, welche gute Idee ICH jetzt für den Fortgang der Geschichte haben kann, sondern höre gut zu und versuche zu erspürren, was dieses eigenständige Wesen »Die Geschichte« jetzt gerade benötigt. Was sehr oft nicht ich und meine momentane Idee ist. Dann bleibe ich demütig an der Seite, lasse meine Idee los und spüre weiter. Vielleicht bin ich auch in einer Szene und merke, dass die Figur meines Partners spannender und interessanter ist als meine eigene Figur. Dann kämpfe ich nicht um meinen Charakter, sondern unterstütze ab jetzt die eigentliche Hauptfigur. Es geht also immer darum, meine persönlichen Ambitionen oder Befindlichkeiten - sprich: mein Ego - loszulassen. Was ich am besten durch Beziehung und Verbindung schaffe (siehe Folge 2).
Ich mag übrigens den Begriff »Demut vor dem, was es braucht«, denn in dem Wort »Demut« steckt das Wort »Mut«. Und es braucht durchaus Mut, sich zurückzunehmen und zu dienen!
Aber vorsicht: Demut sollte nie mit Schüchternheit oder gar Angst vor Verantwortung verwechselt werden. Denn es kann ja auch andersherum sein: Ich möchte eigentlich nur einen anderen Charakter unterstützen, doch die Szene entwickelt sich dahin, dass mein eigener Charakter die interessantere Figur wird. Dann muss ich akzeptieren, eine Hauptfigur zu spielen, auch wenn ich mich vielleicht davon überfordert fühle. Vielleicht spüre ich auch, dass es nach einer tiefgründigen, emotionalen Szene jetzt einen Moment der Leichtigkeit benötigt. Oder umgekehrt! Dann gehe ich auf die Bühne und versuche, den benötigten Moment zu etablieren, selbst wenn ich noch gar keine Idee dafür habe, ganz in dem Vertrauen darauf, dass jemand anderes mit dem gleichen Gespür mich unterstützt, dass sich schon etwas entwickeln wird. In diesen Fällen braucht es also nicht Demut, sondern Wagemut! Was eng mit Vertrauen verknüpft ist. Und mit einer Weisheit, die nächstes Mal den Abschluß dieser Mini-Serie bildet!
Folge 2: »Beziehung ist alles!«
geschrieben von Thomas Chemnitz
In Folge 2 der kleinen Fokus-Serie über Impro-Weisheiten geht es heute um eine ebenso banale wie tiefgründige Weisheit, deren Umsetzung in letzter Konsequenz genauso schwer ist, wie die Erleuchtung zu erlangen…
»Beziehung ist alles!«
Beim Improvisieren geht es immer um Beziehung, und zwar im Sinne von »Verbindung herstellen«:
Beziehung zu mir selber: Wie geht es mir gerade, wie fühlt sich mein Körper und meine Psyche an? Beziehung zu den Mitspielenden: Wie geht es mir mit den anderen, was weiß ich von ihrer momentanen Verfassung? In diese Kategorie gehören auch diese Klassiker: »Lass Deinen Partner gut aussehen!« sowie »Alles was ich brauche, ist in meinem Partner!« Beide »Impro-Mantras"« zielen darauf ab, eine intensive und positive Beziehung zwischen den Spielenden herzustellen. Beziehung zum Publikum: Was weiß ich über die Zuschauenden? Was kann ich im Warm-Up von Ihnen mitbekommen? Wie reagieren sie auf das Geschehen auf der Bühne? Beziehung zu meinem gespielten Charakter: Was für eine Figur spiele ich gerade? Was ist ihr Streben, welche Stärken und Schwächen hat sie? Und wie fühlt sie sich in Bezug zu den anderen Charakteren auf der Bühne?
Dazu kommen die Beziehung zu dem, was gerade in einer Szene oder Geschichte passiert, dies in Beziehung zu setzen zu dem, was schon vorher geschehen ist, die eventuelle Beziehung zum übergeordneten Thema behalten und wahrscheinlich noch einige andere Beziehungen, die mir gerade nicht einfallen. So viele mögliche Beziehungen!!!
Bei den »Batovia«-Proben während des Festivals waren wir ja zu siebt auf der Bühne. Da haben wir viel an »Beziehungseinheiten« gearbeitet. Eine Übung dazu: Alle bewegen sich im Raum, und ich nehme dabei wahr, mit wem ich gerade in einer möglichen Beziehung stehe. Das kann jemand sein, der nah bei mir steht oder jemand, der auf der anderen Seite des Raumes ist. Vielleicht bin ich auch Teil einer Gruppe. Oder es ist das Publikum, dem ich gerade zugewandt bin. Ich bin immer gleichzeitig in mehreren potentiellen Beziehungen, nehme aber oft gar nicht alle wahr. Eine Art Gradmesser, wie gut wir in Beziehung sind, ist übrigens unser Energielevel. Jeder Mensch bringt ja Energie auf die Bühne oder in den Workshopraum. Bin ich gut mit diesen Menschen verbunden, sollte ich nach einem Workshop oder einer Show mehr Energie durch die anderen bekommen haben, als ich selber hineingesteckt habe. Wenn ich dagegen hinterher erschöpft bin, liegt das vermutlich daran, dass ich mehr in mir selber und weniger in Beziehung mit den anderen war. Je mehr wir die unterschiedlichen Beziehungen wahrnehmen und uns verbinden können, umso reicher kann unser Improvisationsspiel werden. Das verlangt natürlich Übung. Und es gibt etwas, das uns dabei gerne im Wege steht: unser Ego!
In diesem Zusammenhang zog Randy bei den Proben eine interessante Parallele von Improvisation zu Meditation: Bei der Meditation versucht man, die äußere Welt und die inneren Gedanken loszulassen, um letztlich zur eigensten, innersten Wahrheit zu kommen. Das Plappern der Gedanken loszulassen ist dabei für viele Meditierende das Schwierigste. Dieses Gedankenplappern ist schließlich der Ausdruck unseres Egos. Meditationslehrer sprechen daher manchmal auch vom »Tod des Egos auf dem Kissen«, welcher notwendig ist, um zum eigentlichen »Selbst« und letzlich zur »Erleuchtung« zu kommen. Welche übrigens zuweilen auch als "Gefühl der Verbundenheit mit allem" bezeichnet wird! Bei der Improvisation versucht man dagegen, in maximale Beziehung mit der Welt zu kommen, sich so sehr mit allem zu verbinden, dass das Ego letztlich ebenfalls verschwindet. Vielleicht ist also Improvisation auch ein Weg zur Erleuchtung, noch dazu ein spaßvoller? Das sei dahingestellt, aber viele haben sicher schon das Erlebnis gehabt, nach einem guten Kurs oder Auftritt ein beglückendes Gefühl der Verbundenheit mit sich selbst, den Mitspielenden und dem Publikum zu haben.
Und auch ohne den spirituellen Blickwinkel ist das doch eine schöne Erfahrung, die ich Euch in diesem Monat ganz besonders wünsche. Mit dem Ego hat übrigens auch die Wahrheit in Folge drei zu tun...
Folge 1: »Es gibt keine Fehler, nur andere Möglichkeiten.«
geschrieben von Thomas Chemnitz
Ein Vorwort:
Während des diesjährigen internationalen Festivals konnte ich mal wieder 4 Tage lang mit Randy Dixon aus Seattle arbeiten. Ein Improlehrer, der uns Gorillas von Anfang an begleitet und der mir persönlich viele “Weisheiten” für die Improvisationskunst mitgegeben hat.
Bei den Proben für die Festivalshow »Batovia« ging es zwar vordergründig um »Play it like Shakespeare«, aber immer kamen wir dabei auf grundsätzliche Aspekte des Improvisierens zu sprechen, speziell in einer etwas größeren Gruppe (bei »Batovia« waren wir 7 auf der Bühne).
In diesem Zusammenhang ließ Randy wieder einige seiner Improweisheiten los. Und auch wenn sie für mich – und sicher viele von euch – jetzt nicht ganz neu waren, so wurde mir in der Arbeit ihre Wahrheit und Kraft noch einmal sehr deutlich. So beschloss ich, einen Fokus darüber zu schreiben. Nachdem ich einen ersten, recht umfangreichen Text geschrieben und zum Gegenlesen verschickt hatte, meinte Ramona, das wären eigentlich vier Fokusse in einem. Und so beschlossen wir, jetzt eine Mini-Serie daraus zu machen und jeder Weisheit eine eigene Folge zu widmen. Auch mal was Neues!
Und direkt passend zu Folge 1, bei der es um eine Weisheit geht, die ich sehr liebe, deren Umsetzung für mich aber immer wieder eine Herausforderung bedeutet:
»Es gibt keine Fehler, nur andere Möglichkeiten.«
In der “normalen” Welt ist Perfektion ein Ziel, nach dem die meisten von uns streben. Denn auch wenn es heißt “nobody is perfect”: Fehler stellen uns bloß, lassen uns dämlich aussehen, machen uns verwundbar für Anfeindungen. Um sie zu vermeiden, machen wir daher alle möglichen bewußten oder unbewußten Pläne. Von denen allzuviele jedoch verläßlich scheitern, weil es mal wieder ganz anders kommt...
Das Thema “Fehlerkultur” ist in etlichen Unternehmen und Organisationen ein heißes Eisen. Man weiß zwar im Prinzip, dass Fehler zum Lernen und Weiterentwickeln dazugehören, gerade wenn man womöglich in neuen Geschäftsfeldern oder Organisationsstrukturen unterwegs ist. Doch statt jeden Fehler als neuen Entwicklungsschritt zu feiern, wird den Mitarbeitenden weiterhin eher das Gefühl gegeben, dass das Ziel letztendlich die Fehlerlosigkeit ist.
Was für eine Erleichterung ist es dann, wenn man beim ersten Improkurs hört, dass das Wort “Fehler” gar nicht existiert, dass es nur Möglichkeiten und Angebote gibt. Für viele Improanfänger ist dieser Satz der Schlüssel, um sich überhaupt zu trauen, zu improvisieren. Was für ein wunderbares, positives, kreatives Paralleluniversum! Doch dann wird man fortgeschrittener, lernt immer mehr, was eine gute Szene ausmacht, und plötzlich gibt es auch in der Improwelt alle möglichen Fehler, die man bei den Mitspielenden entdeckt oder diese bei einem selbst: den falschen Namen sagen, der Szene oder Geschichte eine falsche Wendung geben, den Status nicht beachten, bei einem Genre ein falsches Stilmittel benutzen, um nur ein paar zu nennen. Das führt dann manchmal zu garstigen Diskussionen nach einer Show oder einem Workshop.
Wenn man, wie jetzt beim internationalen Festival, noch dazu nicht in seiner Muttersprache improvisiert, kommt die eigene Unsicherheit dazu: ich benutze die falschen Vokabeln, ich kann mich nicht richtig ausdrücken, mir fehlen die Worte, und überhaupt: ich bin nicht gut genug. Sprich: ich bin fehlerhaft! Im übrigen hatten sogar die “native English speakers” im Festivalensemble ziemlichen Respekt davor, im Stile von Shakespeare zu improvisieren! Wie erleichternd war es da, als Randy in diesem Zusammenhang wieder davon sprach, dass es keine wirklichen Fehler gibt!
Das Angebot des Mitspielenden erscheint mir falsch und unpassend? Wie spannend, eine weitere Möglichkeit, auf die ich nie gekommen wäre und die ich jetzt, auch wenn ich sie noch nicht richtig verstehe, mit Neugier weiterverfolge! Nur mit dieser Haltung können wir übrigens auch jenseits der Improwelt zum berühmten “Out-of-the-box-Denken” kommen!
In diesem Sinne kann ich auch versuchen, die eigenen gefühlten Beschränkungen als ein Angebot wahrzunehmen: bin ich sprachlich nicht firm, dann arbeite ich eben endlich mal mehr mit dem Körper oder konzentriere mich auf Emotionen oder lasse dieses Gefühl von Beschränkung als Charaktermerkmal in meine Figur einfließen. So kann ich genau dadurch vielleicht etwas Neues entdecken und mich weiterentwickeln.
In diesem Sinne wünsche ich euch viele neue Möglichkeiten und Angebote, sowohl beim Improvisieren als auch im Leben! Und wenn ihr euch dabei erwischt, doch wieder “Fehler” zu bemerken (was mir regelmäßig passiert), seid milde mit euch: Nobody is perfect. ;)
Und in Folge 2: Was Improvisation mit Erleuchtung zu tun hat...
Das war kurz nachdem wir schon mit Theatersport Berlin im Jahr 1995 angefangen hatten. Diese Form des Improtheaters war damals neu in Berlin und bekam viel Aufmerksamkeit und Beifall. Wir spielten ganze Vorstellungsserien im BKA Zelt, das direkt auf dem Sandplatz neben der Neuen Nationalgalerie stand. Oft ausverkauft, Zuschauer auf Bierbänken mit Wein und Bier in der Hand. Drinnen stickig und rauschende Stimmung, draussen warm. So jedenfalls habe ich es in Erinnerung.
Es machte unglaublichen Spaß und war eine vollkommen andere Art des Improvisierens, als ich es auf der Schauspielschule gelernt hatte, wo es vor allem psychologisch zuging und ich bei jeder zweiten Impro irgendwann feststeckte.
Keith Johnstone war in der Stadt, um einen Improworkshop zu geben und guckte sich eine von unseren Theatersportshows im BKA Zelt an. Meine Schwester, die damals häufig englischsprachige Schauspiel-Workshops übersetzte, war mit ihm in der Show. Als ich sie anschließend fragte, wie ihm unsere Show gefallen hatte, ließ sie durchblicken, dass er aktuell nicht mehr so begeistert war von dieser Art kurze Szenen zu spielen, die allein die Absicht hatten, das Publikum schnell zu unterhalten und bei denen sich die Spieler auf ihre persönlichen Skills wie Singen, Pantomime, etc. verließen, um die Leute zu interessieren. Dass er wohl auch deswegen am liebsten mit Laien arbeitete.
Ich war natürlich etwas enttäuscht, ahnte aber, was er meinte.
Ich besuchte also seinen Workshop als Zuschauer. Ein kleines Off Theater in Berlin mit einer Bühne und einem kleinen ansteigenden Zuschauerraum.
Während des Workshops habe ich vor allem immer wieder Keith Johnstone beim Unterrichten beobachtet. Er unterrichtete ganz anders als ich es kannte. Ließ nicht den Lehrer raushängen. Ich glaube, ich habe nie wieder einen Lehrer gesehen, der so einfach die Elefanten im Raum ansprach, wenn die Spielerinnen und Spieler feststeckten. Und niemand verkrampfte dabei. Er war ja ziemlich groß, kniete sich aber immer zu den Leuten so weit runter, daß er kleiner war als sie und gab ihnen dann aus dieser Tiefstatusposition Vorschläge rein.
Die Teilnehmer der Gruppe bestanden vor allem aus Nichtschauspielern. Er machte Übungen mit Ihnen und ließ sie kleine Szenen improvisieren. Ich erinnere mich an eine Szene. Ein Sofa stand auf der Bühne und eine Spielerin saß darauf. Ein Zweiter Spieler mimte klingeln. Sie stand vom Sofa auf, ging zur Tür und ließ ihn herein. Sie gingen beide zum Sofa und improvisierten einen Dialog, der zu nichts führte und wahrscheinlich vor allem aus der Angst entstand, etwas falsch zu machen oder nicht interessant genug zu sein. Weder die Szene noch die Beziehung entwickelte sich weiter. Da kniete sich Keith Johnstone am Rand der Bühne hin, machte sich ganz klein und gab der Spielerin leise einen Textvorschlag: „Tell him: Kiss me!“ Sie fragte schnell mit einem „Was?“ nach, um kurz Zeit zu gewinnen und Keith Johnstone wiederholte: „Tell him: Kiss me!“ Die Spielerin entspannte sich, begriff, tat was ihr vorgeschlagen wurde und ein Jubel ging durch das Publikum. Die Szene entwickelte das, was in ihr angelegt war, die Spieler hatten plötzlich entspannte Gesichter und die Suche nach originellen Einfällen machte Pause.
Ich habe sein Buch »Improvisation und Theater« in der Ausgabe von 1993 immer noch und es war bestimmt einige Jahre meine absolute Bibel. Ich habe es unzählige Male auch meinen Studenten weiterempfohlen. Beim Lesen des Buches habe ich damals laut gelacht. Als ich es vor zwei Jahren wieder mal gelesen habe, ging es mir genauso. Es ist soviel wertvolles drin. Natürlich über Status und Angebote und Blocken und Akzeptieren, etc. Aber das ist gar nicht mal das, was mich am meisten beeindruckt hat. Am meisten beeindruckt hat mich schon damals die ganze - gerade in Deutschland unübliche - unautoritäre auf den Kopf gestellte menschenfreundliche Haltung als Lehrer.
Traurigerweise ist Keith Johnstone nun mit 90 Jahren am 11. März in Calgary gestorben.
Das finden wir Gorillas auch echt traurig. Ruhe sanft, Keith – oder wie immer Du es magst!
Typ Lego
Es gibt jene, die ganz offensichtlich zuhause im stillen Kämmerlein fleißig geübt haben und nun in den Stücken, die auf der Session gejammt werden, auf beeindruckende Weise ihre Fingerfertigkeiten präsentieren. Die zähle ich zur Lego-Fraktion, denn sie improvisieren nach einer Art Baukasten-Prinzip. Bei bestimmten Akkordfolgen packen sie virtuose Tonfolgen aus, unter Musiker:innen auch »Licks« genannt, von denen sie wissen, dass sie gut passen. Das bedeutet nicht, dass sie immer das Gleiche spielen, aber man kann die einzelnen wiederkehrenden Bausteine heraushören, aus denen sich das schöne Ganze zusammensetzt.
Typ Play-Doh
Typ »Play-Doh« hat im Kämmerlein gewiss auch geübt, sonst würde er/sie das Instrument nicht beherrschen, aber er/sie lässt sich in der Improvisation mehr in den Moment fallen. Man kann bei diesem Typ verfolgen, wie aus einer Inspiration etwas entsteht, wie eine kleine Idee, ein musikalisches Motiv, von unterschiedlichen Seiten beleuchtet wird und immer weiter zu einem beeindruckenden Ganzen heranwächst.
In der Regel gab es auf den Jazz-Sessions am Ende eines jeden Solos einen Zwischen-Applaus vom Publikum. In einer Bandbreite von »tosendem Beifall« bis »Höflichkeitsapplaus« konnte alles passieren. Die Lego-Fraktion kam im Schnitt beim Publikum besser an. Im Schnitt wohlgemerkt! Die Ausschläge (nach oben und nach unten) waren hingegen eher der Fraktion Play-Doh zuzuordnen. Abgesehen davon, ob man überhaupt eine Bewertung an dieser Stelle vornehmen muss, haben beide Herangehensweisen, wie ich finde, Vor- und Nachteile. Beim Typ Lego weiß man sowohl als Kolleg:in wie als Publikum oft besser, woran man ist. Die Angebote sind deutlich und nachvollziehbar, man kann sich leicht darauf einlassen. Der Typ Play-Doh geht ein höheres Risiko ein, weil er/sie stärker von einer wahrhaftigen Inspiration abhängig ist. Dafür ist er/sie aber mehr im Moment, ist als Kolleg:in leichter empfänglich und wenn es dann tatsächlich fruchtet, ist die Überraschung und Faszination am Ende umso größer. Wie so oft, besteht für mich die große Kunst letztendlich darin zu versuchen, sich das Beste aus zwei Welten zu eigen zu machen.
Könnt ihr Euch selbst oder andere bereits einem dieser beiden Typen zuordnen? Den Transfer aufs Impro-Theater überlasse ich an dieser Stelle Euch. Das würde den Rahmen hier sprengen. Lasst uns gern beim Festival bei einem Kaltgetränk darüber fachsimpeln und über den Typ »Playmobil« schimpfen.
Der Ort im Theater, an dem sich die Schauspieler:innen sammeln, bevor es auf die Bühne geht, wo das Lampenfieber hochkocht, bis sich schließlich der Vorhang hebt. Man könnte auch sagen, ein Ort wie jeder andere und doch spielt der Backstagebereich eine wichtige Rolle und hat Einfluss auf das, was wir auf der Bühne sehen. Wenn ich als Schauspielerin abends ins Theater komme, beginnen meist ein paar feste Rituale und Routinen: Garderobenplatz vorbereiten, ein Plätzchen suchen, um Körper und Stimme warm zu machen, um Maske und Kostüm kümmern, nochmal die wichtigsten Requisiten checken. Im Kopf wird der eigene Text wiederholt oder der Ablauf einer ganz bestimmten Szene noch einmal durchgegangen. Manchmal trifft man währenddessen bereits die ersten Kolleg:innen. Häufig kann es aber sein, dass man sich erst kurz vor Vorstellungsbeginn auf der Seitenbühne das erste Mal an diesem Abend sieht. Bis dahin hat jede:r individuell den eigenen Abläufen und Ritualen gefrönt. Warum auch nicht? Was gespielt wird, ist klar. Wochenlange Proben haben das Ensemble zusammengeschweißt und ein Stück geschaffen, das nun jeden Abend auf die Bühne gebracht wird. Die Zeit im Backstage ist dafür da, dass sich jede:r individuell auf diese Aufgabe vorbereitet. Bei einer Improshow ist es anders. Wir wissen nicht, welche Figuren oder Szenen wir spielen werden. Anders als im »klassischen« Theater gibt es nichts Inhaltliches, auf dass wir Spieler:innen uns mental vorbereiten müssten. Auch die Besetzung kann von Abend zu Abend unterschiedlich sein. Es gibt Kolleg:innen, mit denen du regelmäßig spielst, manche triffst du nur von Zeit zu Zeit und wieder andere lernst du das erste Mal im Backstage kennen - eine Stunde bevor es auf die Bühne geht. Vor einer Improshow kommt es deshalb für mich weniger darauf an, wie fokussiert jede:r individuell ist, sondern es braucht eine andere Art der Vorbereitung: das Zusammenkommen als Gruppe. In letzter Zeit ist mir bewusst geworden, wie wichtig mir die Zeit im Backstage ist. Und wie sie mir hilft, mit einem guten Gefühl in die Show zu starten. Wir sind abhängig von Stimmungen im Raum. Sie beeinflussen unser Gemüt und unser Verhalten. Eine bestimmte Atmosphäre kann uns als Gruppe zusammenschweißen oder uns dazu bringen, dass wir am liebsten den Raum verlassen möchten. Wenn wir darauf angewiesen sind, auf der Bühne zusammen zu arbeiten und dabei aufmerksam und feinfühlig unseren Spielpartner:innen gegenüber sein zu wollen, finde ich es enorm hilfreich, wenn wir diese Atmosphäre schon hinter der Bühne schaffen. Vielleicht fragt sich jemand unter euch: »Aber dafür gibt es doch diese Warm-Up-Spiele?« Ich würde sagen, ja, da hast du sicher Recht, sie können helfen, aber sie sind nicht das Allheilmittel. Was bringt mir der 5-minütige Klatschkreis oder eine zweite Runde »Ich bin ein Baum« kurz vor Showbeginn, wenn die 40 Minuten vorher jede:r mit dem eigenen Handy beschäftigt war oder schlimmer noch, dicke Luft herrscht, weil man sich zu einer unnötigen Diskussion hat hinreißen lassen? Mein Gegenvorschlag wäre: Mehr Zusammensein wagen.
Ich habe kürzlich gelesen, dass gehört zu werden zu den wichtigsten emotionalen Bedürfnissen des Menschen zählt. Wenn uns zugehört wird, empfinden wir Wertschätzung, weil wir gesehen und wahrgenommen werden. Vielleicht kennt ihr das auch. Euer Gegenüber stellt euch eine Frage und ihr spürt, dass ihr Raum bekommt. Dieser Raum wird für euch offengehalten, weil der*die Andere wirklich an eurer Antwort interessiert ist. Das ist ein tolles Gefühl, oder? Für mich verändern solche Momente die Qualität des Zusammenseins, weil wir uns mit dem Gegenüber verbunden fühlen. Und diese Form der Wertschätzung geht in beide Richtungen, denn wir Menschen spiegeln einander. Wer zuhört, der wird bewirken, dass auch ihm*ihr zugehört werden wird. So entwickeln sich Gespräche, in denen wir Neues voneinander erfahren. Auch Kolleg:innen, die wir schon seit Jahren kennen, können uns in solchen Gesprächen immer wieder aufs Neue überraschen. »Wirklich? Das hast du gemacht? Das wusste ich ja noch gar nicht!« Geleitet von gegenseitigem und aufrichtigem Interesse können wir den Ton für den Abend setzen, wir geben einander ein gutes Gefühl, widmen uns unsere Zeit und Aufmerksamkeit, lachen, sind gelöst, öffnen uns. Sozusagen aktive Quality Time mit den Kolleg:innen, in der die Neugierde aufeinander wachsen kann und die Vorfreude steigt, gleich auf die Bühne zu gehen. Und das Beste ist, diese Idee lässt sich super übertragen. In euren Kursen seid ihr zusammen mit anderen improwütigen Menschen - euren Improkolleg:innen auf Zeit sozusagen. Vielleicht habt ihr Lust, einen kleinen Fokus zu legen auf die Zeiten, bevor der Workshop beginnt? Oder auf die Momente zwischen den Übungen, die Pausen oder die Zeit danach? Diese Zeiten lassen sich super nutzen, um neugierig aufeinander zu sein und sich gegenseitig besser kennenzulernen. Es wird dazu führen, dass ihr euch untereinander gesehen fühlt, euch öffnet und Vertrauen schöpft, mutiger werdet und bereit seid, Risiken auf der Bühne einzugehen, die das Potential bergen, dass ihr über euch hinauswachst. Und noch ein Vorteil: Ihr werdet schon mit wunderbar feinjustierten und wohlig vorgespitzten Ohren ausgestattet sein, noch bevor ihr überhaupt auf die Bühne springt.
geschrieben von Stefanie Winny
Seit über zwanzig Jahren spiele und unterrichte ich Improtheater. Ich habe mit Autisten und mit PTSD-Patienten gearbeitet. Ich dachte, ich wüsste alles über das Prinzip »Au ja!«
Und dann bekam ich Anfang des Jahres ganz überraschend den gefürchtetsten Impro-Kollegen des Universums, und nun musste ich »Au ja!« zu diesem miesen Angebot sagen: »Sie haben nur noch wenige Wochen zu leben. Knochenmetastasen. Aggressiver Tumor.«
In einer Impro-Story wollen wir miterleben, wie die Figur emotional reagiert. Rächt sie sich? Versöhnt sie sich? Verändert sie die ganze Welt?
Aber in diesem Game bin ich Spielerin und Figur gleichzeitig. Plötzlich sieht man alles anders. Was ist noch zu tun? Aufgeben? Oder aufräumen und genießen? Es hatte mich voll erwischt. Ich brach zusammen. Konnte nichts mehr essen, nicht mehr denken. In Gedanken sah ich meine Familie im Sommer ohne mich am Küchentisch sitzen und war fassungslos. Nach ein paar Tagen Schockstarre und Nahrungsverweigerung war ich auf einem Klassentreffen und merkte, wie ich dort durch den Szenenwechsel plötzlich das Büfett leerfutterte und lachen konnte.
Da verstand ich: Wenn mein Leben eine Impro-Szene wäre, dann sollte ich erstmal dieses fiese Angebot annehmen: »Ich bin chronisch krebskrank mit unsicherer Überlebenschance.« Ja, genau.
Und jetzt legte ich mein UND dazu, das ist der aktive Part. Informieren. Recherchieren. Nachfragen. Ich nahm die Chemotherapie nicht als Gift, sondern als Aufräumhilfe und Neustart dankbar an und vertrug sie bestens.
Im November die Siegesnachricht: Die Metastasen sind gestoppt und deutlich zurückgegangen. Aber die Nachricht entpuppte sich als Scheinsieg.
Also ab ins nächste Level: Rettungsstelle, Epilepsie, Sprachausfall.
Ich hörte: »Oh weh. Mindestens 13 Hirnmetastasen. Das kann man leider nicht bestrahlen. Das lindert man nur noch palliativ.«
Während ich das hörte, dachte ich: Bis heute früh war ich doch gefühlt kerngesund, habe Sport gemacht, ich bin aktiv und happy.
Und nun: Statt Verzweiflung und Angst war nur diese Gewissheit da, dass alles gut wird.
Auch nach diesem Angebot gab es einen Szenenwechsel: Neue Recherche und Beratung. Und so ging es wieder gut weiter mit neuen Behandlungsmöglichkeiten und bester Versorgung und Betreuung.
Ganzhirn-Bestrahlung – ein Wort, das sich für viele krass anhört. Aber für mich waren die fünfzehn Termine ein Energie-Gewinn.
Das gelebte Au Ja hat mir so viel Kraft gegeben, weil ich es in solchen Situationen wirklich spüre. Es gibt nicht die eine Reaktion auf ein Angebot. Schlimme Angebote können einen runterziehen und lähmen. Nimm sie wahr. Aber bewahre einen kühlen Kopf für die Suche nach neuen Möglichkeiten.
Heute spüre ich das Au ja so sehr in mir, dass ich nachts aufwache vor Freude auf den nächsten Tag, auf die Familie, die Freunde. Ich habe eine nie vorher dagewesene Energie entwickelt für neue Projekte und für die Vernetzung der Kräfte meiner Freunde und Kollegen. Alte Probleme und Konflikte sind verschwunden. Jeglicher Groll über alltägliche Kleinigkeiten erscheint lächerlich. In den letzten Monaten habe ich Menschen miteinander vernetzt, Freundschaften erneuert, kranke Menschen motiviert.
Ich wünsche dir, dass du vor solchen Schicksalsschlägen gewappnet bist. Sie werden kommen. Aber sie können dich extrem stark machen. Aus der heftigsten Katastrophe kannst du wie auf dem Trampolin eine riesen Energie erzeugen.
Als Improspieler:innen wollen wir gemeinsam etwas schaffen und uns vernetzen und inspirieren. Und dem Publikum von dieser Freude etwas abgeben.
2022
Ich persönlich antworte: Es macht Spaß, ich werde dadurch wacher und aufmerksamer für andere, kann besser mit meinen Fehlern umgehen und fühle mich danach meist gelöster. Und hier könnten dann noch weitere persönliche Antworten von den vielen Menschen stehen, die Impro kennen und sich dadurch verändert fühlen.
Eine wissenschaftliche Antwort zu geben, ist deutlich komplexer und aufwendiger. Sicherlich betreffen die Wirkungen von Impro viele Dimensionen des psychischen Wohlbefindens. In den letzten Jahren forschen immer mehr Menschen zu den Themen Impro in der Therapie, in der Beratung und in anderen Bereichen der Gesundheitsförderung. Wir erhalten immer häufiger Anfragen von Studierenden, die dazu wissenschaftlich arbeiten wollen. Es ist großartig zu wissen, dass Menschen, die Impro aus der eigenen Praxis kennen, nun loslegen und die Wirkung von Impro erforschen. Inzwischen gibt es einige recht aussagekräftige wissenschaftliche Studien zu dem Thema. Eine der ersten akademischen Studien führten Sheesley, Pfeffer und Barish (2016) im Zusammenhang mit der ältesten Improgruppe der Welt, Second City aus Chicago, durch. Second City bietet seit vielen Jahren spezielle Kurse für Menschen mit sozialen Ängsten an. In ihrer Studie im Bereich sozialer Ängste beobachteten die Autor*innen, dass durch den Einsatz von Improvisationstechniken eine Verbesserung bei den Patient*innen auf den Gebieten Gruppenzusammenhalt, Verspieltheit, Humor und Expressivität beobachtet wurde. In einer weiteren Studie, in der ein Improtraining im Rahmen der stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung untersucht wurde, fanden sich erste Hinweise für eine subjektiv wahrgenommene positive Veränderung bei den Patient*innen in den Bereichen Stimmung, Spontanität, Angst und Zusammenhalt innerhalb der Gruppe (Baving et al., 2013). Auch weitere Studien und Bachelor- oder Masterarbeiten weisen auf eine Verringerung von Symptomen sozialer Ängste und Depressionen sowie eine Verbesserung des Selbstwertes hin und beschreiben Verbesserungen in den Bereichen Probleme vergessen und im Hier und Jetzt sein.
Und auch für Therapeut*innen kann Impro unterstützend in ihrem eigenen Handeln und ihrer Haltung sein. Assael Romanelli, der gerade im November einen Kurs für Therapeut*innen in der Improschule gegeben hat, hat dazu eigene Studien veröffentlicht. Dass Impro positive Auswirkungen auf die Förderung von Gesundheit und psychischen Ressourcen hat, davon bin ich überzeugt. Und es ist gut zu wissen, dass es immer mehr Menschen aus dem Gesundheitswesen gibt, die mit Impromethoden arbeiten und in Studien die Wirkung von Impro erforschen.
Gerade weil der Zeitpunkt so außergewöhnlich war, ist mir seine mit erstaunlicher Härte vorgetragene Kritik in sehr wacher Erinnerung. Bei einer Workshop-Präsentation vor einigen Wochen begann nun eine Teilnehmerin am Ende der Vorstellung, kaum hatte sie sich einmal kurz verbeugt, selbst zu applaudieren. Selbstverständlich lag bei ihr keine Arroganz zugrunde wie damals bei uns und es war eine gänzlich andere Situation, dennoch musste ich an damals denken, weil irgend etwas mit diesem Applaus nicht stimmte. Es war bei der Teilnehmerin wohl eine Art Übersprungshandlung, die sie im Nachhinein auf mein Nachfragen auch nicht genau erklären konnte - mir schien es am ehesten ein Nicht-Aushalten-Können einer plötzlichen, auf sie fokussierten Dankbarkeit. Ein zweiter Teilnehmer, der es ihr gleichgetan hatte und ebenfalls in die Hände klatschte, erklärte im Nachhinein, er wollte dem Publikum danken, dass es »so lange ausgehalten hat«. Nun, das ist tatsächlich ein Übermaß an Bescheidenheit - selbst wenn es furchtbar gewesen wäre (das war es nicht, im Gegenteil): Wenn Menschen, die das nicht professionell machen, den Mut aufbringen, sich öffentlich zu zeigen und zu improvisieren, dann ist ein Applaus das Mindeste, was das Publikum zurückgeben kann - und will.
Ich habe dieses Verhalten früher nie gesehen, in letzter Zeit merkwürdigerweise aber immer häufiger, ja es kommt inzwischen regelmäßig vor, auch während normaler Workshops, dass die, die gerade gespielt haben, ebenfalls in die Hände klatschen, wenn die Zuschauenden applaudieren. Warum sich das so häuft, weiß ich nicht - ich weiß nur, dass es mich unangenehm berührt, denn es wirkt selbstbezogen, obwohl es das sicher nicht ist. Ich will immer rufen »nein, falsch, es applaudiert das Publikum, IHR hattet doch gespielt«. Deswegen wünsche ich mir ein bisschen mehr Bewusstsein dafür, dass die Zuschauenden den Spielenden mit dem Applaus einen Dank zukommen lassen wollen, weil die einen gespielt haben und die anderen zuschauen durften. An dieser Rollenverteilung gibt es nichts zu verbessern, finde ich.
geschrieben von Robert Munzinger
Die Bewegung auf der Bühne entsteht durch die Gänge der Akteure, man nennt das auch den kinetischen Tanz. Nähern sich zwei Figuren einander oder entfernen sie sich voneinander?
Es geht um Abstoßung und Anziehung, Sympathie - Antipathie. Wer gesellt sich zu wem? Welche Allianzen entstehen? Das alles wird durch die Bewegungen der Spieler*innen den Zuschauer*innen vermittelt. Auch ohne Worte.
Man sollte beim Improvisieren immer beide Ebenen berücksichtigen: die verbale Ebene UND die Handlungsebene. Die Worte sind das eine, aber ihren wahren Sinn bekommen sie erst durch das WIE: Wirft er sich bei seinem Satz zu Boden? Streichelt sie ihm über den Kopf, während sie spricht? Verkrampft er, als er antwortet?
Die besten Vorstellungen für mich sind fast immer die, bei denen ich auch körperlich gefordert war, weil ich nicht nur geredet, sondern eben auch gehandelt habe.
Und anstatt dann auszusteigen, überzureagieren oder mich in einen Gag zu retten, versuche ich die Situation auszuhalten. Das ist nicht so einfach, denn wie unterscheide ich den einen Impuls vom anderen? Woher weiß ich denn, ob in einer Szene meine Handlung, mein Satz folgerichtig aus der Geschichte entspringt oder der Wunsch nach Erlösung von einem persönlichen Gefühl ist? Woher weiß ich, ob eine Geste, ein Gang dem Charakter meiner Figur entspringt oder das Verlassen eines peinlichen Auftrittes ist? Das ist schwer zu ermessen. Und deshalb gehe ich den Weg, nichts zu überstürzen. Ich versuche innezuhalten oder den Charakter weiter zu ergründen, beim Partner zu bleiben, Gefühle in die Szene einzubauen und zu langweilen. Und nicht so oft auszusteigen. Und wenn das gelingt, kommen aus der Lockerheit von ganz allein innere Handlungsanweisungen. Und hoffentlich sind die dann in der Geschichte begründet. Oder der Rolle geschuldet. Hoffentlich, denn ich habe es immerhin probiert.
Innehalten kann auf alle Fälle nicht schaden, denn es besteht immer die Gefahr eine Szene mit Angeboten zu überfrachten. Dieser Fokus kann eigentlich auch »Aushalten« heißen, denn »(H)aushalten« ist meinem Wunsch nach Witzigkeit geschuldet und ist hiermit gestrichen.
geschrieben von Jana Kozewa
Beim Improvisieren können wir lernen, wie herrlich sinnvoll und zielführend es sein kann, die Verantwortung abzugeben. Dem Partner zuzutrauen, dass er oder sie es mindestens genauso gut machen wird, wie man selbst. Und es ist so einfach: Wir müssen nur zuhören, die Fantasie des Partners zulassen (auch wenn sie nicht unserer Erwartung entspricht) und anstatt immer nur zu agieren einfach mal reagieren. Und schon fliegen wir gemeinsam durch eine spannende, weil von beiden unerwartete, Geschichte.
Und sind nicht gestresst!
geschrieben von Konstanze Kromer
Wie nehme ich das, was ich in den zweieinhalb Stunden Kurs, erfahren, erprobt und gelernt habe, mit in den Alltag? Warum fühlen wir uns so wach nach dem Kurs und wie kann ich das im Alltag herstel-len?
In meinem Unterricht weise ich immer auf den Sinn und Zweck einer Übung hin und halte meine Schüler*innen an, dieses dann auch gerne den ganzen Unterricht lang aufrechtzuerhalten, auch wenn man mal »nur« zuschaut. Das heißt, wenn wir eines der sogenannten Warm-Up-Spiele machen, zielt diese Übung meist darauf ab, Wachheit, Bereitschaft und innere Gaudi zu erzeugen.
Wir kreieren eine herausfordernde Situation -- meist mit Tendenz zur Überforderung und hohem Tempo -- mit der herzlichen Einladung »Fehler« zu machen, Hauptsache der Flow bleibt bestehen. Der Effekt: Die Äuglein sind leuchtender, der Körper aufgespannter, man ist freudig, beteiligt, wach und hat eine erhöhte Aufmerksamkeit.
Was heißt das jetzt, »das aufrechtzuerhalten«?
Diese Aufgespanntheit und Bereitschaft des Körpers und Geistes ist natürlich DAS Grundtool zum Szenen spielen. Wenn man zu privat und unterspannt ist, werden meist die Szenen auch privat und unterspannt, wenn man nicht freudig ja sagt zum Angebot des Partners, zanken sich auch meist die Figuren kleinlich auf der Bühne -- laaaangweilig! … Wir machen diese Spiele genau aus diesem Grund immer und immer wieder, damit der Körper diese positiven Effekte deutlich bemerken und irgend-wann auch immer schneller erinnern und herstellen kann und wir diese positive Aufgespanntheit dann mitnehmen können in die Szenen. Das ist eine aktive Entscheidung, die wir treffen -- immer und im-mer wieder. Wie gehe ich auf die Bühne und in die Szene?
Und jetzt kann man das Ganze auch noch weiter denken. Zum Beispiel im Unterricht selbst.
Beobachtet doch mal wie ihr so seid, wenn Ihr nicht »dran« seid: Schlaffe ich beim Zuschauen wieder ab? Spüre ich noch meine inneren Impulse und könnte ich denen nicht einfach nachgehen? Wie sitze ich da? Offen oder mit verschränkten Armen und zusammengezwirbelten Beinen? Aufrecht aktiv oder zurückgelehnt passiv? Schaue ich wohlwollend oder skeptisch zu? Springe ich innerlich »au ja, ich!« sagend auf, wenn die Lehrerin fragt, »Wer will als nächstes?«, auch wenn ich natürlich höchstwahr-scheinlich immer noch Ängste habe oder gebe ich dem Schweinehund mal wieder Raum …?
Noch weiter gedacht, kann man eben die Improtools auch mit in den Alltag nehmen.
Hier ein paar Anregungen:
Wie höre ich in privaten Gesprächen zu? Wie könnte ich eigentlich die Zug-um-Zug-Regeln in einem Gespräch anwenden? Stelle ich auch mal Fragen an mein Gegenüber und will was erfahren oder texte ich den anderen bloß zu? Oder lasse ich mich grade zutexten und ergreife einfach mal mutig den nächsten Zug? (Das ist natürlich extrem challenging, zugegebenermaßen … ich verändere meist die Situationen, in denen ich zugetextet werde, in dem ich sie verlasse:), - noch! Denn nach diesem Focus werde ich es mir zur Aufgabe machen, einfach mal andere Tools auszuprobieren!!)
Sage ich zu einer Aufgabe, »au ja! Mal sehen, wie ich es für mich spannend und lustvoll angehen kann«, zu der ich normalerweise »oh nö« sage? (zum Beispiel staubsauge doch heute mal mit einem inneren Eichhörnchen oder lege Dir geile Mukke auf und mache eine Tanzperformance draus). Mache ich meinem/r Liebsten mal ein tolles Angebot z.B. eine Massage, Ausführen zum Essen, Blumen etc oder bleibe ich abwartend und passiv und nix geht? Man könnte doch eigentlich auch dem/der gran-telnden Ordnungshüter*in oder Nachbarn mit einem lustvollem (heimlichen) Tiefstatus begegnen, ein bisschen das Ego streicheln und somit Ärger in Spiel umwandeln.
Überhaupt, wie spielerisch kann ich Situationen nehmen? Wie kann ich anderen Leuten mal den Ball zuspielen? Andere positiv verstärken? Was für tolle, interessante Angebote, Inspirationen für die nächste Improsession und Storys lauern eigentlich überall?
Welche Berufe begegnen mir im Alltag, was könnte die Geschichte der alten Dame an der Bushalte-stelle sein? Wie bewegt sich eigentlich mein Kollege? Und was könnte das heimliche Hobby meiner Chefin sein …
Die Liste ist endlos.
Es ist eine aktive Entscheidung, ob wir wach und neugierig sein wollen, und man kann es auch im Alltag üben.
Vielleicht nehmt ihr Euch für den Rest dieser Staffel einfach pro Woche eine Sache mit aus dem Un-terricht und untersucht diese eine Woche lang für Euch im Alltag.
Au ja, tolle Idee Konstanze und lieber Herr Schweinhund: Sie sind mal ruhig, jetze!
Natürlich gibt es da Unterschiede. Es gibt das Kind, dass die Sandburgen von allen kaputt macht und sich freut. Diesen zerstörerischen Impuls meine ich nicht.
Ich meine den Harlekin, den Schelm, den Schummler, der die Spielfläche ausdehnen möchte, Grenzen verschieben und neue Regeln einführen will. Der mit Tricks und Überraschungen arbeitet. Immer mit der Achtsamkeit, das Spiel an sich nicht zu zerstören, sondern es zu bereichern.
Beim ABC einfach mal 10 Buchstaben hinter einander benutzen. Bei Zug um Zug einfach mal einen zweiten Zug direkt hinterher zu machen, wenn es sich richtig anfühlt. Im Klatschkreis einfach mal das Klatschen in etwas anderes verändern.
Traut euch. Es ist überraschend, wie viel Neues entstehen kann, wenn man außerhalb der Regeln denkt.
Da ich derzeit vor allem in Deutschland bin, habe ich ein deutsches Improphänomen bemerkt, dass ich »Vernünftigkeit« nenne.
Es gibt eine ganze Menge deutscher Improspieler, die vernünftige Charaktere spielen, welche in glaubwürdigen Situationen angemessene Lösungen zu nachvollziehbaren Problemen finden. Das kann dann zu jeder Menge unnötiger Details in der Szene führen, zu Verhandlungen, Problemlösungsverhalten und generell einem Mangel an Spaß.
Ein Freund hat mir mal gesagt: »Wenn zwei deutsche Improspieler einen Autounfall improvisieren, werden sie wahrscheinlich ihre Versicherungsnummern miteinander austauschen.« Nun gibt es viele Möglichkeiten, das Austauschen von Versicherungsnummern so zu spielen, dass es eine sehr komische, absurde, satirische oder einfach nur alberne Szene wird. Mit »Vernünftigkeit« meine ich dagegen, dass die Spieler den tatsächlichen Vorgang spielen, so realistisch wie möglich und mit allen Details, die dieser Vorgang wirklich beinhaltet.
Woher kommt das? Und was bedeutet es, weniger vernünftig zu sein?
Ich glaube, es kommt von der Neigung, Dinge »richtig zu machen«, »keine Fehler zu machen«, »keine unnötigen Risiken einzugehen« und »nicht zu übertreiben, sondern glaubhaft zu bleiben«.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass meiner (und nur meiner) Meinung nach das Gegenteil von »vernünftig sein« nicht heißt, überzuschnappen, was auch immer zu sagen, Verrücktheit und Chaos auf der Bühne zu verbreiten und die Szene in einen Riesenschlamassel zu bringen.
Nein. Es gibt einen Mittelweg. Weniger vernünftig zu sein, kommt für mich von der Auffassung, dass wir ins Theater gehen, um Dinge zu sehen, die etwas größer als das Leben sind, Charaktere zu sehen, die durch etwas hindurchgehen, was wir selber nicht können und vielleicht auch gar nicht wollen. Um das Leben von Anderen zu erleben, mit all seinem Schmerz, seiner Schönheit, seiner Absurdität und so weiter.
Überlassen wir doch daher das Vernünftige unserem normalen Leben und werden auf der Bühne lieber etwas wagemutiger.
Lasst uns unsere Aufmerksamkeit weniger darauf lenken, Lösungen zu finden, sondern mehr darauf, unsere Charaktere in Schwierigkeiten zu bringen, aber auf eine ehrliche und engagierte Art, so dass das Publikum sich mit ihnen identifizieren kann, eine Beziehung aufbauen, sich um sie sorgen kann.
Lasst uns nicht »das Richtige« als Charaktere machen, sondern eher das Falsche. Nicht um verrückte Dinge zu tun, sondern weil unser Charakter sich darum bemüht, das Beste zu tun. Nur leider ist ihr Bestes ein Schlamassel und wir, das Publikum, können uns identifizieren oder sympathisieren oder einfach erstaunt sein über die Art, wie sie mit der Situation umgeht.
Lasst uns nicht unsere normalen alltäglichen Leben auf der Bühne duplizieren, sondern unsere Leben als eine vertraute Basis benutzen, um dann etwas Anderes oder Größeres entstehen zu lassen.
Lasst uns Freude an den unermesslichen Möglichkeiten haben, eine Geschichte zu erzählen, lasst uns wunderbare Geschichten erzählen und keine vernünftigen Geschichten.
Ihr könnt diese Ideen verfolgen und trainieren. Indem ihr bei euren eigenen Angeboten klar seid und den Angeboten der Mitspielenden wirklich zuhört und sie benutzt, könnt ihr weniger vernünftige Szenen entwickeln. Und wenn das geschieht, werden die Augen eurer Mitspielenden vor Spielfreude aufblitzen. Und das ist doch das, worum es letztlich geht, oder?
P.S.: Dies sind meine Beobachtungen und nur meine. Wenn Du anders darüber denkst, ist das völlig OK. Es ist gut, verschiedene Perspektiven zu haben.
Ein:e Spieler:in geht auf die Bühne und nimmt den Vorschlag »Küche«.
Die nächste Minute wird damit verbracht, Töpfe und Pfannen pantomimisch zu etablieren. Löffel. Messer. Schubladen. Backöfen, Herde, Mixer, Schränke. Und immer einen Kühlschrank im Hintergrund, zehn Schritte vom Herd entfernt.
Warum machen wir das? Um das Publikum zu überzeugen, dass wir in einer Küche sind? Das wissen sie doch, der Vorschlag kam ja von ihnen.
Was will das Publikum in der ersten Minute einer Szene?
Ganz einfach. Sie wollen das »Wer« wissen! Wer ist in dieser Szene? Wer ist das?
Niemals fragen sie sich, wo denn wohl der Kühlschrank steht.
Wir benutzen zuviel Zeit, um darüber nachzudenken, was wir wohl gleich sagen könnten. Obwohl das Publikum eher wissen will, wer da jetzt redet.
Wir springen in die Szenen mit einer ausgedachten Geschichte, bevor wir überhaupt wissen, wer in dieser Szene eigentlich vorkommt. Die Stärken und Schwächen eines Charakters sind viel wichtiger als pantomimisches Suppekochen.
Die Wahrheit ist: Wenn Du herausbekommst, wer in der Szene vorkommt, wird sich die Geschichte von alleine schreiben.
Vergeudet keine Zeit mit unnützer Pantomime oder damit, einen Grund zu finden, in einer Küche zu sein. Fragt euch lieber, wer da in dieser Küche ist.
Nun kommen in unsere Improschule ja eher Menschen, die keine Schauspielkarriere anstreben, sondern einfach ihre Spontaneität und Kreativität trainieren möchten. Entsprechend machen wir gerade in den Schnupper- und Anfängerkursen Übungen zum Trainieren der grundlegenden Fähigkeiten des Improvisierens, wozu die Fähigkeit »jemand anderes zu sein« nicht gehört. Aber: wir benutzen nun mal Improvisations-THEATER zum Erlernen des Improvisierens, und das hat dann eben doch auch mit Schauspielerei zu tun. Manche Schüler:innen haben Spaß daran, sich in andere Charaktere zu verwandeln und machen dies mit unterschiedlichem Talent und Erfolg. Anderen ist dies nicht so wichtig, sie legen eher Wert auf das improvisierte Entwickeln einer Szene, haben also beim Spielen eher die Autorenperspektive.
Doch auch ein guter Autor muss lernen, sich in seine Figuren hineinzuversetzen, von daher werden alle Impro-Lernenden früher oder später mit der Frage »Wie gelingt es mir am besten, jemand anderes zu sein« konfrontiert. Zumal im Improkurs ein wichtiges Hilfsmittel, welches Schauspielende im Theater und Film nutzen, wegfällt: Kostüm und Maske.
Natürlich können wir durch veränderte Körperhaltung und Stimme schon mal äußerlich einen Charakter behaupten und ich bin auch ein großer Freund davon, damit herumzuspielen. Aber jede äußere Verstellung muss letztlich noch von innen gefüllt werden. Und das heißt: von unserem eigenen Selbst. Denn bewusst oder unbewusst nutzt man immer persönliches »inneres Material«, um jemand anderes zu werden. Das kann im Sinne des berühmten »method acting« heißen, dass man persönliche Erlebnisse (das »emotionale Gedächtnis«) benutzt, um dem Erleben der gespielten Figur nahekommen. Wofür beim Improvisieren aber oft keine Zeit ist.
Was ich dagegen als sehr hilfreich und auch für unsere Zwecke praktisch gut umsetzbar finde, ist die Arbeit mit Archetypen bzw. »Unterpersönlichkeiten«. Mir gefällt die Vorstellung, dass unser eigenes Selbst eine Mischung verschiedener archetypischer Unterpersönlichkeiten ist, die gewissermaßen in unserem Inneren wohnen. Je nach Situation hat mal die eine oder der andere die Oberhand. In der Psychologie wurde dieses Konzept von C.G. Jung erstmals formuliert, der 12 Archetypen benannte (wie z.B. »der Herrscher«, »der Liebende« oder »der Weise«). Andere arbeiten mit deutlich mehr Unterpersönlichkeiten, geben ihnen Bezeichnungen wie »die träumerische Prinzessin« oder »der wütende Rebell«. Während es in der Psychologie dabei immer um Vorgänge in unserem Unterbewusstsein geht, kann es für schauspielende Menschen spannend sein, sich dieser Unterpersönlichkeiten bewusst zu werden und sie spielerisch auf der Bühne zu nutzen. Wenn ich im Kontakt mit meinem inneren »kaltblütigen Zerstörer« bin, kann ich zum Beispiel glaubhaft einen Mörder spielen, auch wenn ich (hoffentlich) keine entsprechende persönliche Erfahrung in meinem Leben hatte. Wähle irgendeinen Archetypus aus und meist hast Du sofort ein starkes inneres Bild, mit dem du arbeiten kannst. Nimm es bewusst hinein in eine Szene und sie wird direkt lebendiger und authentischer.
Diese Art des »jemand anderes sein« kann man übrigens auch auf der »Bühne des Lebens« nutzen. Schon Shakespeare schrieb: »Die ganze Welt ist Bühne, und alle Fraun und Männer bloße Spieler.« Später führte der amerikanische Soziologe Erving Goffman diesen Gedanken in seinem Werk »Wir alle spielen Theater« detailliert aus: Jeder Mensch hat ein Repertoire von Rollen, die er – teils bewusst, teils unbewusst – in verschiedenen Interaktionssituationen des Alltags anwendet. Je bewusster ich mir nun meiner jeweiligen Rollen bin, umso mehr kann ich auch mal wagen, damit zu spielen, um in bestimmten Situationen mal anders zu agieren oder zu reagieren als sonst. So kann ich einem Klienten gegenüber meinen »interessierten Forscher« herausholen oder bei einem Polizisten meine »liebevolle Mutter«. Wenn wir in unseren Kursen Statusarbeit machen, hat das übrigens auch viel mit diesen Gedanken zu tun.
Vielleicht legt ihr also diesen Monat mal euren Fokus auf das Erforschen eurer persönlichen Archetypen sowie eurer Alltagsrollen. Macht euch eine kleine Liste und spielt damit herum. Und vor allem: Habt Spaß dabei, auch ganz ohne Alaaf und Helau!
2021
Brauchen wir Impro-Spielende überhaupt Vorschläge vom Publikum?
Gute Frage.
Nicht unbedingt. Wir könnten auch einfach so beginnen, wie es die Crumbs* vor vielen Jahren schon getan haben. Wir könnten uns gegenseitig inspirieren, wir könnten auch in eine Zeitung schauen.
Warum tun wir es also? Oft, weil wir es so gelernt haben. Manchmal, um zu beweisen, dass wir improvisieren (Wenn es richtig gut wird, glauben es trotzdem viele Zuschauende nicht. Könnte ja abgesprochen sein). Selten, um wirklich etwas zu erfahren.
Um herauszufinden, was wir erfahren können oder sollten, sei hier eingefügt, was Impro-Theater für das Publikum überhaupt ausmacht:
1. Es erlebt den Entstehungsprozess mit allen Höhen und Tiefen und gleichzeitig das Ergebnis.
2. Es erlebt den Bühnen-Menschen in seiner Arbeit als Schauspieler.
3. Es erlebt interessante Charaktere in guten Geschichten.
4. Es erlebt aktuelle Themen auf der Bühne.
Wiederfinden können sich die Besucher*innen in einer Geschichte, die Ihnen auch passieren könnte. Oder in einer Angst, die ein Schauspieler vor einer improvisatorischen Aufgabe hat. Oder in einem für Sie spannenden Thema.
Wir könnten also etwas erfragen, von dem wir glauben, dass es zu einer berührenden oder lustigen Geschichte führt. Oder nach einem Merkmal, dass zu einer spannenden Figur passt und uns selbst dazu inspiriert. Wir könnten nach einer schauspielerischen Hürde fragen oder nach einem Thema, dass jemanden im Publikum betrifft. Und: Es sollte uns überraschen, denn sonst bräuchten wir nicht zu fragen.
Dafür müssen wir eine Atmosphäre erzeugen, in der es dem Publikum überhaupt erst möglich wird, solche Fragen persönlich zu beantworten. Und das ist nicht leicht, denn es kommt, um sich zu amüsieren, um zu lachen. Der Moment des Einholens sollte davon abgekoppelt sein, sonst bekommen wir immer Vorschläge, von denen die Gäste glauben, sie seien lustig. Und kein Mensch im Publikum möchte sich blamieren. Auch das müssen wir wissen.
Nehme ich gleich das Erste oder warte ich so lange, bis etwas Besseres kommt?
Gute Frage. Einen Mittelweg finden. Nicht zu lange warten und wenn es geht, das Erste nehmen. Es sei denn: Der Einwurf entspringt zu stark dem Wunsch, originell zu sein. Zur Not auch Dinge ablehnen, um dem Publikum zu zeigen, welche Art von Inspiration wir nicht brauchen.
Fazit: Eine wertschätzende Atmosphäre erzeugen. So viel wie nötig, so wenig wie möglich erfragen und so persönlich es geht. Und dann den erst besten Vorschlag nehmen. Denn: Im Grunde können wir aus Allem etwas machen. Es ist unsere Entscheidung, wie wir einen Vorschlag in die Improvisation einbringen. Oder ganz ohne »Input« anfangen, dann kann sich der Metzger in der Sauna entspannen.
*Historisches Impro-Duo aus Winnipeg, Kanada.
Es ist äußerst hilfreich, wenn man die oben erwähnten Tricks und Tipps kennt und anwendet. Aber es ist auch gut, wenn man sie einfach mal vergisst und spielt. Denn wenn uns die »Regeln« unfrei machen, wenn man Angst hat Fehler zu begehen, wenn man stets bestrebt ist, dass man alles richtig macht, dass der andere alles richtig machen muss und im schlimmsten Fall nur darauf lauert, ob der andere was falsch macht, um ihn dann zu kritisieren, kann das eine spaßfreie Zone werden und das hat nichts mehr mit Improvisieren zu tun.
Miles Davis hat über das Improvisieren gesagt: »When you hit a wrong note, it’s the next one that makes it god or bad.« Wenn du einen falschen Ton spielst, macht der folgende Musik draus (oder nicht). Es gibt also nicht wirklich einen falschen Ton; er eröffnet die Chance, es mit dem Ton danach zu richten. Darum gehts! Das ist Improvisieren: etwas aus dem Unerwarteten, scheinbar Falschen, Irritierenden, den Ablauf Störenden zu machen. Das ist doch, was wir der ganzen Welt erzählen, wie Impro im Leben hilft. Also lasst uns einander mal wieder wirklich überraschen. Versucht mit Spaß aus dem vorangegangen Satz oder Zug was zu entwickeln - ohne Argwohn, mit enormer Lust und Freude. Freestyle! Nicht routiniert sein, sondern wirklich herausgefordert durch die unerwarteten Dinge und Situationen mal wieder ins Schleudern geraten, mit den Angeboten umgehen, sie aber nicht umgehen. Weg mit dem Satz: »Ich kann nur improvisieren, wenn du dich an die Regeln hältst.« Mögen die Spiele beginnen.
Beate ist Schauspielerin und Impro-Trainerin. In Berlin ist sie zurzeit in ihrem prämierten Lieblingsstück #BerlinBerlin vom Theater Strahl zu sehen. Nächste Termine: 9.,10., 23. November und 21.Dezember.
Habe gleich mal überlegt, worüber ich schreiben könnte und eine wunderbare, zur Jahreszeit passende Idee gehabt: Jetzt, wo die Früchte an den Bäumen alle reif werden, schreibe ich über »Reife«. Wann zum Beispiel ist eine Szene »reif« für eine Veränderung? Das Publikum spürt das ja meist sehr genau: wenn nichts Neues passiert, wenn die Energie zu lange auf einem Level bleibt oder aufs Maximum gesteigert wurde. Und wann ist die Szene so »durchgereift«, dass man sie beenden könnte und sollte? Auch hier spürt es das Publikum oft früher als die Spieler auf der Bühne: wenn die essentielle Frage der Geschichte (das »Versprechen«) beantwortet wurde. Wird der Bösewicht besiegt? Verliebt sich der Nachbar in die Heldin? Bei Langformen können es auch mehrere Fragen sein, die im Laufe des Spiels entstehen, aber eine davon ist immer die zentrale Frage der Story. Und die ist dann quasi der »Reifeanzeiger«. Wobei auch die Beantwortung der Nebenfragen möglichst nicht vergessen werden sollte.
Man könnte auch noch über die persönliche Reife des Improvisierenden philosophieren, die mit Themen wie »Erfahrung«, »Gelassenheit« oder »persönliche Entwicklung« zu tun hat.
Doch halt – habe ich nicht schon mal was darüber geschrieben? Hmm, kann mich nicht so genau dran erinnern. Zum Glück werden alle »Fokusse« ja hier auf der Website archiviert. Ich muss ein bisschen scrollen, aber dann finde ich es: vor genau 5 Jahren, Oktober 2016, »Über Reife«. Hmm, was jetzt? Einfach nochmal ein bisschen anders über das Thema schreiben? Die alten Fokusse liest doch eh niemand oder sie wurden längst vergessen...
Könnte aber auch peinlich sein, wenn es doch jemand merkt und mich drauf aufmerksam macht.
Also lieber doch ein neues Thema. Nur welches? Hmm...
Zum Glück erinnere ich mich an einen Satz, den ich selber oft beim Unterrichten sage: »Nimm, was schon da ist!«. Hat nicht Konstanze mal einen schönen Fokus dazu geschrieben? Stimmt, August 2020: »Alles da«. Ja, es lohnt sich, im Fokus-Archiv zu stöbern.
Bei mir scheint ja »Vergesslichkeit« da zu sein, also grüble ich nicht länger, prüfe kurz im Archiv, ob es schon was darüber gibt - puh, zum Glück noch nicht - und habe mein neues Thema.
Jeder Improvisierende kennt das Phänomen: Wie war nochmal der Name dieses Charakters? Vergessen. Der genaue Titel des Songs, den ich improvisieren soll? Vergessen. Oder ich latsche durch den imaginären Tisch, den ich doch vor kurzem selber erst etabliert habe. Vergessen.
Das Publikum merkt es in der Regel sofort. Die Mitspielenden manchmal auch, manchmal nicht (weil sie es selber vergessen haben). Aber wenn, dann ist es gut, wenn sie meinen »Fehler« veröffentlichen, oder netter gesagt: mich an das Etablierte erinnern. Das Publikum reagiert meist mit einem Lachen, für viele ist es quasi ein Beweis, dass da auf der Bühne tatsächlich improvisiert wird, und alle werden diesen Fehler verzeihen, da es eine grundsätzliche Hochachtung vor den Improvisierenden auf der Bühne gibt. Vor allem aber sind aufgekommene Unklarheiten damit für alle beseitigt: Ich heiße Stefan und nicht Michael (jaja, wahrscheinlich Michael mit zweitem Namen – garantierter Lacher im Publikum) und bin dein Onkel und nicht dein großer Bruder.
Was bezüglich des Namens- und Objekte-Vergessens hilft: direkt nach dem Etablieren des Namens diesen häufig im Dialog wiederholen oder das Objekt immer wieder benutzen, damit sich das festsetzen kann. Wiederholung, eine einfache Memo-Technik.
Problematischer ist es, etwas zu vergessen, was eine Bedeutung für den Fortgang der Story haben kann. Das Publikum hat das nämlich noch im Kopf. Und will dann zumindest wissen, was eigentlich aus der geplanten Schatzsuche geworden ist. Oder warum es plötzlich egal ist, dass die Geschichte auf einer Insel spielt. Der wahre Grund dafür ist meist: vergessen. Wobei ich glaube, der eigentliche Grund ist noch ein anderer: gar nicht mitbekommen. Allzu oft sind Improvisierende eben doch nicht ganz im Moment und ganz beim Partner und dessen Angebot. Sondern im eigenen Kopf: Da wird überlegt, welches Angebot als nächstes gemacht werden kann oder welches Kostümteil für den geplanten Charakter am besten ist.
Mein Rat für diese Art des Vergessens: Achtsamkeit! Bleib im Moment und bei deinem Partner! Nimm das, was schon da ist. Halt es für bedeutsam. Sag innerlich wirklich »JA, und...«, indem du auf dem, was schon da ist, mit deinem Angebot aufbaust, anstatt es mit deinem vermeintlich stärkeren Angebot dem Vergessen anheimzugeben. Wenn ein »Fehler« geschieht und dir auffällt, mach es offenbar und findet gemeinsam eine Legitimation dafür, gebt dem Ganzen Sinn. Denn streng genommen, gibt es ja gar keine Fehler, sondern nur neue Angebote...
Und wer es schafft, so zu spielen, improvisiert dann wahrhaftig mit großer Reife!
Corona hat was mit mir gemacht.
Was passiert mit einer Schauspielerin, wenn sie nicht mehr spielen darf?
Wohin mit all der Intensität? Dem LAUT sein wollen, dem Spielen wollen, dem Strahlen wollen?
Ich bin komisch geworden in der Corona-Zeit. Wie der Rilke-Panther manchmal in meiner kleinen Stadtwohnung.
Meine Nachbarn mussten viel ertragen und auch meine Freunde.
Oft bin ich in den Wald gerannt, hab dort getobt, gejodelt, geheult… arme Wildschweine :)
Wir brauchen Räume der Ekstase.
Wir brauchen Räume der Entfaltung.
Für mich ist die Bühne immer ein Ort des Schutzes gewesen. Paradox, ich weiß.
Aber hier streife ich meine kleine, enge Person ab und darf alles sein: Monster, Engel, Kugelfisch.
Geschichten erzählen, Tanzen, Singen, das ist ein Urbedürfnis des Menschen.
Es geht wieder los. Mein Herz krabbelt aus einer dunklen Grube.
Ich freue mich so sehr auf euch, die ihr in die Theater kommt, die ihr in die Kurse kommt!
Wir schaffen uns einen Raum, in dem alles möglich ist, wo der Alltag draußen bleibt, wo wir Geschichten lauschen, lachen, weinen oder gar selbst für zwei Stunden wieder Panther im Dschungel sind.
Habt eine Absicht.
Wählt eine Richtung.
Sage dir, du möchtest eine romantische Szene. Sage dir, du möchtest etwas Gruseliges machen. Steige ärgerlich in eine Szene ein. Gib deinem Selbst eine Hoffnung für diese Szene. Wähle etwas, von dem du glaubst, dass die Show es gerade braucht oder was dein:e Partner:in gerne mag. Es ist, als würdest du dir selber einen Vorschlag für die Szene machen. Es kann natürlich sein, dass dein:e Partner:in eine andere Idee hat oder dass keiner auf das eingeht, was du versucht hast zu beginnen. Sei also immer bereit, dich anzupassen und deine Absicht wieder loszulassen. Solange eine klare Entscheidung getroffen wurde, ist es egal, von wem sie gewesen ist. Jede Gruppe sollte hierüber einmal sprechen: Welche Art von Szenen möchtet ihr machen, wofür wollt ihr bekannt sein? Stimmungen und Energie, Stile und Gefühl. Je größer die Bandbreite, desto besser. Das macht es leichter, die Richtung am Beginn einer Szene zu wählen.
Denkt mal an die Art von Shows, bei denen sich jede Szene gleich anfühlt. Sie fangen ähnlich an, sie hören ähnlich auf.
Wir brauchen Abwechlsung. Das Publikum will all deine Fähigkeiten sehen. Sie wollen lachen, weinen, schreien und im Herzen berührt sein. Egal, ob es eine Langform ist oder ob es kurze Szenen sind. Ob es eine Genre-Show ist oder ein improvisiertes Tanztheater über den Sinn des Lebens. Abwechslung hält das Publikum bei Interesse, macht es neugierig, was wohl als nächstes passiert und bringt es zur nächsten Show zurück.
Und der beste Weg, diese Abwechslung hinzubekommen, ist mit einer Absicht anzufangen. Ein:e tolle:r Improspieler:in wird immer sehen, was bereits in der Show gemacht wurde und etwas Neues zum Einbringen finden. Habt keine Angst, mit einem Ziel zu beginnen.
Wir alle wollen unsere Bühnenzeit vor den Augen des Publikums. Darum lasst uns keine Zeit vergeuden. Nehmt euch einen Kompass, setzt die Segel und beginnt die Reise mit einer Absicht.
Das Publikum wird euch dafür dankbar sein.
Ohne jemals an solch einem Seminar teilgenommen zu haben, glaube ich zu ahnen, was ungefähr Gegenstand einer solchen Schulung ist. Wahrscheinlich würde sie mir guttun, ich tendiere dann aber doch zum Belegen von anderen Kursen bzw., nee ich bin ehrlich: zum in der Sonne sitzen und lesen. Und dennoch isses ja wahr, lieber Zeitgeist, es kann nicht schaden, bissel weniger aufs Handy zu schauen und bissel mehr auf die anderen und sich selbst zu achten. Wenn jetzt endlich die Impro-Kurse und -Workshops im direkten Kontakt wieder anfangen, sind wir natürlich doppelt gefordert, aufmerksam miteinander umzugehen und in diesem Bereich, in dem man sich im übertragenen und vor allem auch im wörtlichen Sinne nahekommt, zu spüren oder einfach zu fragen, wie es den anderen geht in Bezug auf Abstand und Nähe, vielleicht auch darauf: Wie geht’s den anderen und sich selbst beim Spielen, was ist geblieben an Unsicherheiten durch dieses verdammte Virus. Und was ist im Spielen miteinander vielleicht (noch) nicht wieder so selbstverständlich möglich wie vor Corona.
In diesem Sinne: Lasst uns achtsam miteinander umgehen.
Christoph moderiert die Open Stage am 4.7. Springt auf die Bühne und guckt wie es ist: das geliebte Spielen nach dieser Maskenzeit. Wir freuen uns auf Euch! Karten hier
Buddhas Lehre von Verzicht und Selbstbeherrschung war in dieser Zeit gut zu üben.
Buddhas Weisheit ist auch auf die Improvisation übertragbar.
Seit vielen Jahren ist mir die Reduktion in der Improvisation ein großes Anliegen.
In meinen Kursen »Stille aushalten« beschäftige ich mich intensiv mit den sprachlosen Momenten.
Entbehrung
Verzicht
Reduktion auf das Wesentliche
Diese Reduktion auf das Wesentliche schafft Stille, Stille schafft Zeit für das Denken, Denken schafft Inhalt, Inhalt bleibt.
Geht nicht. Der Spaziergang hat nicht geholfen, nicht das Kochen, nicht das Telefonat.
Meine Gedanken verzetteln sich. Konstant immer wieder da, während ich hier so sitze, ist die Sehnsucht.
Ich will auf die Bühne, ich will spielen, mich in direktem, ganz nahem Kontakt auseinandersetzen, will die knirschenden und ganz leichten und die magischen Momente wiederhaben. Ich bin allein nicht besonders kreativ, ich brauche ein Gegenüber. Wie egoistisch, lauter »ich«. So ist das manchmal, da gibt es keine Ablenkung und ich zerfließe einfach in der Sehnsucht.
Ihr fehlt mir, ihr Kollegen*innen, ihr Schüler*innen, ihr Zuschauer*innen.
Und ja, so habe ich das gelernt, ich fokussiere mich wieder auf das »Licht am Ende des Tunnels« und freue mich auf euch.
Wenn ich dagegen unterrichte, geschieht etwas anderes mit mir. Der natürliche Hass und die Verabscheuung, die ich für die menschliche Rasse empfinde, wandelt sich in Begeisterung, wenn ich Menschen sehe, die spielerisch miteinander umgehen. Spielerisches Miteinander ist mein Lieblingszustand bei Menschen. In diesem Zustand nehme ich bei ihnen an, dass sie die besten Absichten haben und niemandem wehtun, niemanden erniedrigen oder beleidigen wollen. Ich gehe davon aus, dass sie versuchen, so gut wie möglich, spontan miteinander zu spielen.
Warum erzähle ich euch das alles? Weil ich denke, dass gerade jetzt, wo wir alle von zu Hause aus improvisieren, es leicht passieren kann, dass wir uns von etwas angepiekst fühlen, das jemand gesagt oder gemacht hat. Und da wir zumeist zu Hause sind, denken wir immer wieder darüber nach, es lenkt uns ja nicht so viel ab wie sonst, und unsere verständliche Angespanntheit gießt noch weiteres Öl ins Feuer. In unserem Kopf wird es ganz klar: Jemand hat etwas vollkommen Unangebrachtes und Inakzeptables getan oder gesagt. So ein Monster! Aber ist er oder sie das wirklich?
Manchmal sagen oder tun Menschen unangebrachte Dinge, und diese Dinge sollten benannt werden, und wir sollten eine klare Grenze ziehen. Und manchmal, wenn etwas, was im Unterricht passiert, dich verwirrt oder anpiekst, ist es gut, ein Gespräch darüber zu suchen. Rede mit deinem Lehrer, rede mit demjenigen, der das ausgelöst hat, stoße eine Diskussion darüber in der Gruppe an. Davon können letztlich alle profitieren und etwas lernen. Eine Diskussion über eine Meinung - egal welche - sollte immer aus einer Haltung der Neugier und des Verstehen-Wollens kommen und nicht aus einer Anklage heraus.
Manchmal versucht jemand auch nur, so gut wie möglich mitzumachen, und wir interpretieren sein Angebot oder seine Bemerkung oder Geste als einen Angriff auf uns, und sogleich (ver-)urteilen wir. Wir kategorisieren. Vielleicht fangen wir sogar an zu hassen.
Daher, wenn euch bei einem Kurs etwas anpiekst, ist das völlig okay und ich bin sicher, dass jedeR Lehrende bereit ist, euch zuzuhören und euch auch Hilfe anzubieten. Wenn ihr das Gefühl habt, dass eine Grenze überschritten wurde, benennt das, regt eine Diskussion darüber an und, wenn nötig, fordert Handlungen und Maßnahmen dagegen ein. Aber nehmt ansonsten gute Absichten beim anderen an. Nehmt an, dass dieser Mensch sich nichts dabei gedacht hat, sondern als Kursteilnehmer einfach nur versucht hat, das Beste zu geben.
Manchmal bin ich davon selber irritiert, denn es könnte mir tatsächlich richtig beschissen gehen, seit März 2020 habe ich nicht mehr richtig gearbeitet… (In meiner Wahrnehmung zählt der Sommer komischerweise nicht, obwohl wir da spielen und unterrichten konnten. Aber dadurch, dass das in der Relation zu sonst in der Summe eher wenig Arbeit war, wertet mein Hirn das nicht als »ich habe gearbeitet«.)
…tut es aber nicht! Und das liegt daran, dass ich seit vielen Jahren täglich Yoga praktiziere, davon bin ich überzeugt.
Es geht mir wahrhaftig nicht immer gut!
Ich habe häufig Zweifel, ob wir den Theaterbetrieb jemals wieder in vollem Umfang aufnehmen können werden. Es schlägt mir aufs Gemüt, dass ich das, was ich so sehr liebe, nicht tun darf, und dass gerade auch das Singen aktuell als besonders riskant betrachtet wird…
Das Singen…, das so sehr beglückt, wenn man es gemeinsam mit anderen praktiziert! Das uns direkt mit unserem Herzen in Verbindung bringt und mit unseren Emotionen! Das macht mich tieftraurig.
Ich rede jetzt mal gar nicht von dem Geld, das ich nicht verdiene…
Doch auf der Matte ist das alles nicht mehr wichtig. Ich konzentriere mich auf die Bewegungen, auf‘s Atmen und einfach auf das »hier bin ich«. Die Umstände werden dadurch nicht besser, aber meine Stimmung. Die Yogapraxis wirkt auf den ganzen Menschen, nicht nur auf Muskeln und Gelenke, sondern auch auf die Organe, die Atmung, die Gedanken, das Verhalten… Ich begreife den Körper als ein Instrument, das uns geschenkt ist, um als Mensch in dieser Welt Erfahrungen zu machen. Wir sind selber dafür verantwortlich, dieses Instrument gut zu pflegen und gut zu behandeln, ungeachtet der äußeren Umstände.
Und was hat das jetzt mit Impro zu tun?
Eine wichtig zu lernende Lektion in der Impro ist Verantwortung übernehmen. Das ist eine Lektion, die zu üben sich im wahren Leben zu 100% bezahlt macht. Indem ich Yoga praktiziere, mich gesund ernähre, nach innen schaue, übernehme ich die Verantwortung für mein Wohlbefinden und für meine Gesundheit. Und was tust du, damit es dir gut geht?
Zwischendrin blitzt es dann auf, das kann doch nicht sein? Wo bin ich da gelandet? Jetzt tanze ich vor dem Bildschirm gemeinsam mit anderen, stelle Standbilder mit Menschen, die sich irgendwo anders befinden, überreiche Geschenke in die Kamera und unterhalte mich mit Menschen so vertraut und ungezwungen, als ob wir gemeinsam in einem netten Café bei leckerem Latte Macchiato säßen. Ein Teil in mir wehrt sich gegen diese neue Realität. Ein Trotz spült sich an meine gedankliche Oberfläche: Ich will nicht mehr. Jetzt reicht es, diese Pandemie kann meinerseits aufhören, ich habe da viel Neuartiges erlebt, durchdacht und finde: Es reicht! Es fühlt sich an, als ob die Szene schon mindestens 7 Enden hatte und immer ging es doch weiter. Wenn das beim Impro passiert, dann übernehme ich als Spielerin Verantwortung und sorge dafür, dass die Szene endet. Und da ist dann eben der Unterschied zwischen Fiktion und Realität.
In der Realität akzeptiere ich die scheinbar nie enden wollende Szene Pandemie und versuche, so gut online mitzuspielen, wie es geht. Und ich spüre weiterhin: Es fehlt mir etwas Wesentliches, die körperliche Nähe! Dieses Spüren der anderen Person, das ist nicht ersetzbar! Meine Liebe zum Theater hat maßgeblich damit zu tun. Ich will andere direkt erleben, sie beobachten mit allen Sinnen, die Unterschiedlichkeit von Begegnungen erfahren.
Klar liegt in jeder Situation auch eine Chance, okay, wir als Impromenschen sind trainiert, alles zu akzeptieren, ja genau und das mache ich ja auch! Und ja, ich werde immer wieder überrascht, das stimmt. Wie unerwartet schnell wir uns beim Online-Improvisieren verbunden fühlen, gemeinsam lachen können und tatsächlich eine Nähe entsteht. Und ja genau, die Geschichten und Szenen sind online anders, teilweise klarer strukturiert, konzentrierter, auch persönlicher. In den eigenen 4 Wänden lauern plötzlich unentdeckte Angebote und Geschichten, die bisher nicht vorstellbar waren. Ja genau, das ist auch faszinierend und deshalb improvisiere ich auch weiterhin online!
Und freue mich auf das Feuerwerk der Begegnungen im Frühjahr oder hoffentlich im Sommer:
in Präsenz mit allen Sinnen!
Außer die Tauben zu beobachten, die sich auf der Chaiselongue, auf der sie wie dahingegossen liegt, niedergelassen haben.
Und außer über diesen Anblick anscheinend zu sinnieren.
Und außer ganz bewegungslos zu bleiben, um die Tiere nicht aufzuschrecken.
Und außer den Fächer aus Pfauenfedern bereitzuhalten, falls die Hitze unerträglich werden würde.
Und außer… Man könnte die Aufzählung hier noch lange fortführen, denn eigentlich kann man nicht nichts tun. Es sei denn, man ist tot.
Mir geht es dieser Tage manchmal ähnlich: Ich liege auf dem Sofa und tue nichts. Jedenfalls nichts von dem, was ich in dieser sonst sehr produktiven und arbeitsreichen Zeit tun würde: mich auf einen Auftritt vorbereiten, Texte schreiben, zur Probe oder einer Show fahren etc. Nein, ich liege einfach nur da. Und statt der vielen Dinge, die ich sonst tun würde, sinniere ich, denke ich nach, gehen mir Dinge durch den Kopf, beobachte ich unseren Hund oder die kahlen Äste der Bäume vor dem Fenster.
Das süße Nichtstun ist etwas, was ich in diesem Ausmaß lange nicht gekannt habe, und anfangs hat es mich eher deprimiert. Mittlerweile habe ich es aber auch als etwas Inspirierendes kennengelernt. Es hängt von der Einstellung dazu ab: Wenn es einem gelingt, sich dem Dolce Far Niente mit Neugier zu öffnen, führt es oft zu Ideen, die in einem geschlummert haben und nur darauf gewartet haben entdeckt zu werden.
Gerade schreibe ich an einigen Songs und Szenen für ein Nummernprogramm, und die besten Ideen habe ich tatsächlich in diesen Momenten des vermeintlichen Nichtstuns, auch wenn ich gar nicht die Absicht hatte, über diese Dinge nachzudenken. Inspirationen kommen, wann sie wollen, man kann sie nicht erzwingen. Aber man kann ihnen quasi ein Bett bereiten. Und wenn sie wollen, kommen sie zu einem wie Tauben zu der jungen Frau auf dem Bild mit dem Titel: Dolce Far Niente.
2020
Ja, was ist alt, wann ist man das denn eigentlich. Einer von uns (natürlich verrat' ich nicht wer) hatte in unserer Anfangsphase felsenfest verkündet: »Wenn ich 50 bin, hör ich damit auf«. 50, das hört sich natürlich so weit weg an, wenn man Mitte 30 ist - wir lächelten damals eher drüber, weil es sogar kurios erschien, uns vorzustellen, dass wir das mit 50 immer noch machen. Nun hat die Mehrheit von uns diesen magischen Geburtstag längst gefeiert, und da wir alle noch an Bord sind, hatte zumindest einer sich geirrt.
Tja, wie lange machen wir, mache ich das noch. Doch warum sollte das Alter eigentlich eine Rolle spielen? Je selbstverständlicher es wird, dass unsere Kunstform professionell unabhängig vom Jahrgang gespielt wird, desto mehr wird es zu einer »normalen« Kulturform. Es wäre grotesk, im Film- oder »etablierten« Theaterbereich eine Altersbeschränkung auch nur zum thematisieren. Dass Improtheater vorrangig als eine Bühnenform für eher jüngere Menschen wahrgenommen wird, sollte eigentlich eher Ansporn sein, dabei zu bleiben.
Natürlich ist die Frage entscheidend, wie und was wir auf die Bühne bringen, was unsere Themen sind, inwieweit wir unser Alter akzeptieren und auch »damit spielen«. Manches machte man früher selbstverständlicher, obwohl ich mich generell nie leicht damit getan habe, z.B. Katzen und Hunde und Kühe zu spielen. Das fällt mir zusehends immer schwerer, doch die Einstellung müsste eigentlich sein: Dann spiel' ich halt alte Hunde. Und unser Alter bietet die Chance, generationenmäßig diverser aufgestellt zu sein. Das, was wir in der internationalen Zusammenarbeit schon seit längerem praktizieren, dass Ende 50-Jährige mit Anfang 20-Jährigen improvisieren, so etwas wird vielleicht auch bei uns Gorillas künftig normal sein. Wobei es auf der Bühne ist wie im Leben: jung an Jahren bedeutet ebensowenig automatisch frisch, innovativ, am Puls der Zeit wie dass reifere Jahrgänge qua ihres Alters konservativ und altbacken agieren. Es kommt natürlich auf die Einstellung, auf die Selbstreflexion an, darauf, wie bewusst und offen wir durchs Leben gehen und die Themen unserer Zeit zum Gegenstand unserer Arbeit machen.
Nicht falsch verstehen – das heißt keinesfalls, dass wir immer der gleichen Meinung sein müssen! Es heißt lediglich, dass wir als gute Improspieler*innen (wie auch als gute Menschen) immer offen sein sollten, die Meinung des anderen respektvoll zu reflektieren.
Eine spannende Improszene entsteht nicht, wenn 2 Figuren von Anfang an dasselbe wollen. Eine spannende Improszene entsteht, wenn unterschiedliche Figuren einen Weg finden, die Situation, in der sie stecken, zu meistern.
Lasst uns gemeinsam Wege finden! Als Improspieler*innen und als Menschen!
In den mystischen Praktiken geht es stets darum, ganz im gegenwärtigen Moment zu sein und den inneren Geist frei zu machen, denn nur dadurch können wir nach Meinung der Mystiker Zugang zu etwas bekommen, was man eigentlich gar nicht benennen sollte (da Worte stets eingrenzen), was aber trotzdem oft mit Worten wie »Urgrund«, »Unendlichkeit«, »Universum«, »Göttlichkeit« oder »Gott« bezeichnet wird. Die wichtigste dieser Praktiken ist natürlich die Meditation (die es übrigens nicht nur im Buddhismus oder Hinduismus gibt).
»Ganz im gegenwärtigen Moment sein«. »Den inneren Geist frei machen«. Genau darum geht es auch beim Improvisieren. Nur geschieht dies bei Impro-Übungen nicht meditativ, sondern in spielerischer Aktivität. Viele Übungen werden sogar absichtlich mit hoher Geschwindigkeit gemacht oder schwierigen Regeln versehen: Damit nämlich der bewusst denkende und bewertende Geist nicht mehr mitkommt und wir stattdessen spontan, aus unserer »Urtiefe« heraus handeln. Dies wird dann von den meisten als befreiend wahrgenommen, mit befreitem Lachen begleitet, gelegentlich auch mit einem Staunen versehen über das, was da gerade (in diesem Moment) aus einem selbst hervorgekommen ist.
An dieser Stelle kommt nun auch das Thema »Ego« beziehungsweise »Loslassen des Egos« ins Spiel. In fast allen mystischen Praktiken – ob beim Meditieren oder beim Sufi-Tanz – geht es stets darum, dass das ständige Plappern des Egos aufhört, sich letztlich auflöst und als eine Welle des großen Ozeans begreift. Das ist äußerst schwer, denn das Ego hat natürlich enorme Angst vor der Auflösung, das ist ja ein bisschen wie Sterben. Auflösung heißt übrigens nicht Auslöschung, denn, um im Bild zu bleiben, der Ozean braucht ja die Welle, um sich auszudrücken.
Das Thema »Ego« ist auch beim Improvisieren ein großes Thema, ich habe vor zwei Jahren schon mal einen Fokus dazu geschrieben und will mich hier nicht unnötig wiederholen (wer mehr lesen möchte: Juni 2018). Nur soviel: Wirklichem und gelungenem »Miteinander Improvisieren« steht das Ego oft im Wege.
Bei vielen Partnerübungen (z.B. bei der Spiegelübung) gibt es das Phänomen, dass manchmal nicht mehr klar ist, welcher Partner gerade führt und welcher folgt. Es gibt auch den Impro-Spruch »Follow the Follower«. Nur: Wem oder was folgen wir denn dann eigentlich?
Und dann gibt es diese Impro-Szenen, bei denen wir hinterher nicht mehr nachvollziehen können, wie diese ganz besondere Idee in die Szene kam, wer von den Spielern dafür verantwortlich war. Sie war »einfach da«, ist »einfach entstanden«. Genau diese Szenen sind es meist, die von den Spielern als besonders gelungen wahrgenommen werden; Szenen, bei denen sich das Improvisieren ganz leicht anfühlt (»einfach« eben), bei denen man ein richtiges Glücksgefühl hat. Und im Gegensatz zu den meisten anderen Impro-Szenen bleiben diese Szenen auch noch länger im Gedächtnis und werden dann angeführt, wenn man nach zwanzig Jahren gefragt wird: An welchen Impro-Moment erinnerst du dich besonders?
Ich wage daher zu behaupten, dass diese Momente durchaus auch »mystische Erfahrungen« sind: ein bisschen geheimnisvoll vielleicht, aber erfüllend und beglückend, da wir uns für einen kurzen Moment frei von unserem Ego gemacht haben und ganz im Hier und Jetzt waren.
Und unabhängig davon, ob ihr selber einen Zugang zu irgendeiner Form von Spiritualität habt oder nicht, wünsche ich euch beim Improvisieren viele solcher Momente!
Normalerweise würde ich euch jetzt was übers Reagieren erzählen. Wie sehr ich Reaktionen liebe. Du solltest immerzu auf deinen Partner reagieren. Das hilft nicht nur der Story, es hilft auch dem Publikum, Spaß beim Zugucken zu haben. Es hilft deinem Partner dabei, inspiriert zu bleiben, anstatt sich den nächsten Schritt ausdenken zu müssen. Es hält die Energie oben und dich davon ab, »kopfig« zu werden. Also jede Menge an Vorteilen.
Den besten Ratschlag zum Thema Schauspielen bekam ich mit 16. Ein Lehrer/Regisseur fragte mich: »Was bedeutet Schauspielen?« Dumm und naiv wie ich war, antwortete ich: »Jemand anderes zu sein?«
»Nein«, sagte er, »Schauspielen bedeutet reagieren.« (auf Englisch klingt das besser: »Acting is reacting.«)
Ich habe das immer behalten. Jedes Mal, wenn ich auftrete.
ABER
Heute bin ich hier, um euch von einer anderen Lieblingsmöglichkeit von mir zu erzählen. Dem Nichts.
Nichts zu machen ist eine Möglichkeit. Nichts wie in »rein gar Nichts«. Bewege dich nicht. Atme, falls Du musst, aber ansonsten bewege dich nicht. Häufig im Leben weißt Du nicht, was Du sagen sollst. Weil Du vielleicht nicht in der Lage bist, die Information, die Du gerade bekommen hast, zu verarbeiten. Ich denke an Eltern, die ihr Kind fragen: »Warum hast Du denn die Mundharmonika ins Klo geworfen?« Das Kind antwortet nicht. Es starrt mit leerem Blick geradeaus und versucht irgendeine Antwort zu finden, die die Eltern beruhigen könnte. Was dazu führt, dass die Eltern noch wütender werden.
Und das ist der Schlüssel. Wenn der Partner auf deine Nicht-Reaktion reagiert, dann war es die Sache wert und gut für die Szene.
Ein fehlgeleiteter Improspieler könnte jetzt meinen, das sei doch Blockieren. Ich will jetzt nicht näher auf die falsch verstandene und übertrieben häufige Benutzung des Begriffs »Blockieren« eingehen, aber grundsätzlich glaube ich, dass es als Ausrede von Spielern benutzt wird, die wollen, dass ihr Partner genau das tut, was sie wollen. Gegenüber dem, wozu ihr Partner gerade inspiriert wurde. Ein guter Improspieler sollte nie (oder fast nie) den Partner anklagen. Ihr könnt euch die Möglichkeiten, die ihr in der Szene gewählt habt, anschauen und überlegen, wie ihr sie besser hättet unterstützen können. Aber das ist jetzt ein anderer Blogeintrag.
Deine Wahl, Nichts zu machen ist anders als die Wahl, irgendetwas nicht zu machen. Verwechsle nicht die Wahl, die ein Charakter trifft mit trägem Schauspielen. Improspieler ziehen es vor, zu reden statt Gefühle zu zeigen. Das würde ich träges Schauspielen nennen. Zeig mir dein Gefühl, bevor Du mir dein Gefühl erzählst. Die Wahl, ein stilles Elternteil hinter einer Zeitung zu sein, während das Kind einem von seinem Tag erzählt, ist eine Entscheidung. Dieser weise, ruhige Elternteil braucht eben Nichts, um seine Geduld und seine Weisheit zu zeigen.
Wenn du dich dazu entschließt, nicht zu reagieren und dich nicht zu bewegen, dann ist es deine Verantwortung, sicherzustellen, dass dein Partner sich sicher fühlt und ihr miteinander verbunden seid. Wenn ich mit jemandem zum ersten Mal zusammen spiele, würde ich dieses Mittel eher nicht benutzen, da ich seine Fähigkeiten nicht kenne. Wenn ich aber mit jemandem arbeite, den ich als starken Spieler kenne, dann unbedingt Ja.
Ich war in Italien und spielte eine Szene mit dem großartigen Antonio Vulpio. Ich war ein Vogel. Er war jemand, der mich von seinem Zaun vertreiben wollte. Ich blieb einfach sitzen. Ich bewegte mich nicht. Ich versuchte nicht, einen Vogel darzustellen. Kein Geflatter, keine kleinen Kopfbewegungen. Ich habe nicht versucht herumzufliegen. Ich habe nicht getschilpt oder gekrächzt. Ich stand nur auf der Bühne und habe Antonio angeschaut. Sein Charakter wurde wütender und wütender und ließ die Reaktionen immer größer werden. Die Zuschauer liebten diese Zuspitzung. Ich kenne Antonio. Ihm ging es gut. Er brauchte es nicht, dass ich irgend etwas mache. Ich besprach mich hinterher mit ihm, um sicherzugehen und ja, ihm ging es sehr gut bei der Szene, er liebte sie. Ich sollte noch erwähnen, dass das Publikum fassungslos war. Viele hatten noch nie eine gute Szene mit jemandem gesehen, der Nichts macht. Die Leute waren mehr von meiner Entscheidung beeindruckt als davon, wie Antonio die Szene gespielt hat. Dabei verdient er die Auszeichnung mehr als ich. Ich habe einfach einen tollen Improspieler gesehen, der Spaß hatte, also habe ich ihm den gelassen und hatte Freude dabei.
Was mich zu einer anderen starken Möglichkeit bringt, wie wir Nichts nutzen können.
Der Standardimpuls vieler Improspieler bei Szenenarbeit ist es, reinzuspringen, sich anzupassen oder den Partner zu spiegeln. Leider stiehlt das häufig den Fokus. Ich ziehe es oft vor, den Partner einfach sein zu lassen. Wenn er einen Lauf hat, wenn ihm die Bühne gehört und er das Publikum zu fesseln weiß, schau ich gerne dabei zu. Wie oft habe ich gesehen, wie ein Spieler einen starken Monolog beginnt, das Publikum ist bei ihm, und dann kommt der Partner rein und sagt: »Mit wem sprichst Du da?« Womit er ihm den ganzen Wind aus den Segeln nimmt. Ein klassischer Fall bei dem Nichts die bessere Wahl gewesen wäre. Bleib an der Seite stehen. Achte auf Anzeichen, wie wohl sich dein Partner gerade fühlt. Sieht es so aus, als hätte er zu kämpfen, streift er ab, verliert er Fokus? Dann geh rein und rette ihn. Aber wenn das, was auf der Bühne gerade passiert, funktioniert, dann lass es sein. Vielleicht braucht es ja keinen Kellner. Bitte, bitte, Leute: Wir brauchen keinen Kellner, keinen Maître de cuisine, keine Hilfskraft oder lustigen Koch in JEDER Restaurantszene! Lasst das Paar einfach in Ruhe ihr Dinner haben. Hört auf zu denken, dass das Publikum erst glaubt, dass dies ein Restaurant ist, wenn ihr als Kellner kommt und die Tageskarte vorlest. Bitte!
Die besten Improspieler können eine Szene allein mit einem Stuhl spielen und dich dabei zum Weinen, Lachen oder Schreien bringen.
Also: Versucht es. Wählt die mutige Entscheidung, keine Entscheidung zu treffen. Wenn du den richtigen Partner hast, der darauf reagiert und das Publikum dabei ist, kann es sein, dass Du weiter nichts zu tun brauchst. Wenn eine Szene gut ist, braucht sie dich vielleicht nicht. Vielleicht braucht diese Zooszene keine 17 Affen in einem Käfig.
Nichts. Ein weiteres Werkzeug in unserem Kasten. Benutzt es weise, meine Freunde. Trinkt von seiner Kraft.
»Schauspielen bedeutet Reagieren.«
Und keine Reaktion ist eine gute Reaktion, wenn sie richtig benutzt wird.
Das richtige Werkzeug für die richtige Aufgabe.
»Besser und schneller«... ohje, oh nein, bitte nicht!, denke ich dann (natürlich unsagbar liebevoll) und muss an all die Szenen denken, in denen vor lauter Angeboten und Ideen, gar kein Spielfluss entstehen kann und ich dann rufe: Stopp! Seid nicht so kreativ! Nehmt doch erst mal das, was da ist und vertieft das.
Das ist es, worum es mir hier in diesem Fokus heute geht. Ich möchte gern den Druck rausnehmen, einen EINfall nach dem anderen haben zu müssen und sich hurtig, hurtig! wunderwas AUSdenken zu müssen. Ich will hier ermutigen, vom Schlauch herunter zu steigen, die Dinge von selbst fließen zu lassen und die Fähigkeit zu entwickeln, dass einem*r AUFfällt, was alles schon da ist. Die Fähigkeit zu entwickeln, das WAHRzunehmen, das EINzuatmen (inspirare), was schon längst da ist. Ihr versteht?
Nehmen wir doch mal das Wort: Idee. Es kommt aus dem Griechischen, ist ein Verbalabstraktum vom griechischen Wort »idein«, welches die Bedeutungen »sehen, erblicken, zu erfahren suchen« hat. Eine Idee haben bedeutet also vielleicht genauso gut, etwas zu sehn, was schon da ist und es aufzugreifen, wie etwas in seinem Kopf zu kreieren und es dann auf die Bühne zu donnern...
Es gibt einen Unterschied, zwischen einem Einfall — das ist oft »ZUfällig« — und einer Wahrnehmung. Und dann gibt es ja noch das Ausdenken. Letzteres können wir meistens gar nicht gebrauchen. Denn dann passiert es — man kann es regelrecht körperlich sehen — dass derjenige der da ausdenkt, anfängt in sich selbst etwas zu suchen, quasi in den Kopf geht (der Blick kehrt sich nach innen) und somit raus geht aus der Situation, sich abtrennt von den Spielpartner*innen und dem was gerade auf der Bühne passiert.
Beides ist natürlich wichtig beim Impro. Den EINfall haben und dass Dir AUFfällt, was da gerade wunderbares schon alles da ist.
Ein klares Angebot machen und also erst mal und immer wieder was rausgeben, ist notwendig, um eine Szene im Gange zu halten, aber eben das Wahrnehmen und Sehen, dessen was schon längst auf dem Tisch bzw. auf der Bühne da ist bzw. in Dir selbst als reichhaltiger Fluss an Gedanken und Gefühle bereits vorhanden, ist mindestens genauso wichtig, meines Erachtens nach, sogar oft die höhere Kunst. Das Angebot, welches in Dir als natürlicher Impuls entstanden ist, ist immer richtig — organisch, heißt das übrigens im Schauspiel-Jargon.
Sehen zu können, was deine Spielpartner*innen Dir gerade für ein wunderbares Angebot gemacht haben, sei es noch so mini oder unbewusst und dies wahrnehmen zu können, und auch, was dein Körper Dir die ganze Zeit — eben ganz organisch — schon als Angebot macht, das ist, in dem ganzen Stress und Druck, gut und witzig sein zu wollen, gar nicht so easy. Das erfordert Wachheit und Offenheit und Durchlässigkeit.
Was für für ein Gefühl hat deine Spielpartner*in bzw. seine/ihre Figur eigentlich gerade? Ist es Angst? Freude, Liebe, Unsicherheit? Was macht das mit deine Figur? Was hat sie/er da gerade genau gesagt? Wie hat er/es gesagt. Kannst Du deine eigenen Impulse erlauschen? Gut! Reicht schon! Und dann sag ich: »Go for it!«
Hast Du einen Mini-Impuls der Wut? Dann vergrößere sie einfach! Such nicht nach einem schlagfertigen Satz, nimm das, was da ist und verstärke es und sei es ein wutentbrannter Aufschrei, ganz ohne Worte. (Eh viel stärker) Lausche auf deine Spielpartner*in, lass das was sie/er zu bieten hat, in Dich EINfallen: Das ist Inspiration genug.
Wie sehr das Publikum es liebt, wenn Dinge, die da angesprochen waren, wieder aufgegriffen werden. Wenn es nicht achtlos weggeworfen wird, liegengelassen, sondern wenn es wiederkehrt, sei es auch »nur«, dass deine Figur den selben kleinen Gluckser von sich gibt, den Du vorhin aus einem spontanen, unausgedachten Impuls heraus Dir selber angeboten hast. Oder wenn wir in einer Geschichte das anfänglich erwähnte rostige Fahrrad wieder in die Story holen. Wenn Du dem, was schon da ist, einfach Bedeutung gibst, dem was deine Spielpartner*in Dir anbietet und Du es verstärkst, ist das fürs Publikum oft viel beglückender, als ein Feuerwerk an lustigen Ideen, die sich, sind wir ehrlich, oft schwerlich noch miteinander verknüpfen lassen. Keep it simple. Hör auf kreativ sein zu wollen. Hör zu. Schau hin. Alles ist schon da und wenn wir es wahrnehmen und ihm Bedeutung geben, hat es eben Bedeutung und könnte wahr-lich, wahr-scheinlich, wahr-haftig geil sein.
1. Von Charakter zu Charakter: Sie spielen die Szene und entwickeln eine Geschichte. Die Kommunikation entspricht den Rollen und sollte das Stück voran bringen. Hier ist alles erlaubt und sollte viel ausprobiert werden. Ohne Worte, mit Worten. Mit Händen und Füßen. Es spricht der Körper oder die Figur im Dialekt. Je nach Genre, Theaterstil und Rollenfach. Rhythmus kann helfen und natürlich viel Gefühl. Wichtig ist das »Zug um Zug«-Prinzip. Das sich abwechselnde Geben und Nehmen von Angeboten.
2. Von Spielerin zu Spieler: Während die Figuren die Szene spielen und im Austausch sind, sollten auch die Spieler dahinter kommunizieren. Das ist nötig, denn sie erfinden (mit ihren Charakteren) gemeinsam eine Geschichte, sie erstellen ein Produkt. Und im Idealfall stehen alle beteiligten Spieler dahinter. Um das sicher zu stellen, bedarf es einem Feedback-System. Es muss möglich sein, sich abzugleichen und auszutauschen: Bist du damit einverstanden, was wir dem Publikum präsentieren? Mache ich zu viel oder eher zu wenig? Haben wir eine Aussage gefunden, hinter der wir beide stehen können? Das zu fragen und zu beantworten oder Zweifel anzumelden ist höchste Impro-Kunst, denn es passiert meistens zwischen den Zeilen. Es kann auch in der Figur geäußert werden oder auch mal direkt. Noch besser, die Spieler kennen sich und er-spüren am Spiel des Gegenübers, was Diese oder Dieser gerade denkt.
3. Von Spieler zu Publikum: Die Spieler sollten in ständigem Kontakt und Austausch mit dem Publikum stehen. Das ist wichtig um herauszufinden, was gerade übergeordnet im Moment passiert. Bringen wir das Publikum einfach nur zum Lachen oder Verhandeln wir gerade ein ernstes Thema? Halten wir den Zuschauern einen Spiegel vor? Begeben wir uns auf Glatteis? Ist das, was wir gerade spielen, lustig oder diskriminierend? In dieser Kommunikation geht es darum, die Erwartungen der Zuschauer zu kennen, zu spüren und die eigenen Wünsche damit abzugleichen. Sich mit dem Publikum zu verbinden und den Verlauf der Vorstellung gemeinsam zu gestalten. Dazu gehört auch das Einholen der Vorschläge, das Eingehen auf Lacher oder »übertriebene« Reaktionen. Hier fließt natürlich die Kommunikation von Spielerin zu Spieler mit ein, um gemeinsam zu handeln und Position zu beziehen.
Fazit:
Da das alles mehr oder weniger gleichzeitig passiert, ist es schwierig, jede Kommunikation immer mitzubekommen. Das muss auch nicht sein. Es hilft aber, sich vor der Vorstellung die 3 Ebenen bewusst zu machen. Vielleicht mit dem Formulieren von Wünschen an sich und die Mitspieler. Z.B.: »Lasst uns heute in der Figur mehr zuhören«. Oder: »Heute versuche ich mit dir eine gemeinsame Aussage zu dem oder diesem Thema zu finden«. Oder etwas zum Umgang mit dem Publikum. Mit diesem Bewusstsein lässt es sich nach einer Show viel besser besprechen, was eigentlich wie passiert ist. Es lässt sich besser benennen. Denn eins ist gewiss: Impro ist immer Kommunikation, auf allen Ebenen!
Noch ein Fazit:
Jetzt, in Zeiten von Corona, in denen wir nicht nur auf einer Bühne stehen, sondern auch via Internet Geschichten streamen oder über Zoom improvisieren, fallen die beiden zuletzt genannten Ebenen teilweise weg. Auch das sollte uns bewusst sein.
Ein willkommener Lichtstreif am Horizont waren und sind seit einer Weile die Streaming-Auftritte im Weißenseer Delphi-Theater, die wir mittlerweile zwar nicht durchgängig wöchentlich, aber durchaus regelmäßig anbieten. Tatsächlich lässt sich dort auch ein wenig musikalisch experimentieren, was im normalen Impro-Alltag meist bislang nicht möglich war: Neben der „sicheren Bank“ des Keyboards habe ich mich mit einer Loop-Station, zwei Gitarren und auch einer alten Klarinette, die ich seit Jahren nicht mehr angefasst habe, im Delphi eingedeckt und probiere mich seitdem trial-and-error-mäßig und durchaus mit leichter Rücksicht auf Verluste dort musikalisch etwas aus. Doch etwas ganz entscheidendes fehlt: ihr. Das Publikum. Die physisch wahrnehmbare Lust auf witzige, schräge, absurde, berührende, urkomische Momente, das Gelächter, die Zwischenrufe, die auf einmal einer Szene eine völlig neue und unerwartete Richtung geben können, der tosende Applaus. Gerade beim Impro geht dadurch in der Praxis leider viel Kult verloren, und das ist bitter. Dennoch muss ich gestehen, dass unser neues Delphi-Format uns allen durchaus Spaß macht. Denn immerhin sind wir zusammen an einem Ort, können gemeinsam improvisieren und gezwungenermaßen etwas Neues ausprobieren, wenn auch auf Abstand und ohne physisch anwesendes Publikum. Und ohne zu wissen, wie das, was man macht, auch wirklich beim virtuellen Publikum ankommt. Aber Impro geht eben zur Not auch mit Facebook- und Youtube-Input und so manche überschwängliche Kommentare und die vielen virtuellen Applauszeichen stimmen einen hinterher sehr freudig und berührt. Wir hoffen einfach, dass wir den Menschen und unseren Fans da draußen in diesen Zeiten etwas Gutes tun und somit einen kleinen Ersatz für unsere regulären Shows anbieten können!
Das gemeinsame Spielen mit Musik auf Zoom ist noch eine Herausforderung und, so viel sei gesagt, Spaß macht es nicht gerade. Aber wer weiß, vielleicht schafft es die Internet-Community auch hier, mittels genial-einfacher technischer Innovationen den Knoten so platzen zu lassen, dass wir irgendwann alle von zu Hause aus latenzfrei miteinander Songs improvisieren und wunderbare Szenen mit Musikbegleitung spielen können, die nicht total für die Tonne klingen. Momentan tun sie es noch, und zwar sowas von.
(Und an alle, die an dieser Stelle sagen möchten: Moment! Die viele schönen Zoom-Videos von Orchestern und Bands, die „Freude schöner Götterfunken“ und „You Can’t Always Get What You Want“ miteinander so schön aus ihren Wohnzimmern gespielt haben, die sind doch auch alle live aufgenommen! Denen sei geantwortet: Nein, sind sie nicht. Es ist alles Fake, Leute. Alles. Jeder hat das - wenn überhaupt - einzeln bei sich aufgezeichnet und irgendein momentan sonst auch arbeitsloser Tonheini musste das hinterher in mühevoller Kleinarbeit zusammenschneiden und -mischen. Und Lady Gaga hat dabei sogar noch ihr Mikro verkehrtrum aufgestellt.)
Ja, so ist das mit der zu Musik zu Coronazeiten. Vielleicht beschreibt dieser letzte augenzwinkernde Text in Klammern aber doch ein klein wenig, wie es mir und den meisten meiner Kollegen und Musikerfreunden derzeit geht: Es ist gerade alles sehr anders als sonst bzw. vorher. Viel Streaming, Zoom und irgendwie doch alles Fake. Viele müssen sich derzeit umstellen, neue Konzepte ausdenken, umorientieren, weiterbilden und dabei durchaus viel nun vorhandene Zeit totschlagen. Hoffen wir also alle, dass die gegenwärtige Situation kein Dauerzustand bleiben muss und es irgendwann zumindest ansatzweise wie früher weitergehen kann. Denn Impro-Auftritte oder überhaupt Musik-Machen ohne Mitspieler und Publikum ist wie Vollkorn-Dinkel-Nudeln ohne Sauce: Ganz schön fad.
Insgesamt ist das aber so kein gutes Fazit für die nahe Zukunft und diesen Text. Also bleibe ich optimistisch und sage: Schluss mit dem Gejammer! Der Untergang der Kunst stand doch schon immer kurz bevor, immer schon war 90 Prozent von allem Schrott und kurzsichtige Schlupflöcher wie Musik auf Zoom haben sich schon immer nachträglich als große Irrtümer der Geschichte herausgestellt. Während ich, hier angekommen, also über ein passendes Fazit für diesen Text nachdenke, spielt meine Frau neben mir auf ihrem Handy spielend passenderweise „The Show Must Go On“ an, Freddys bittersüßen Schwanengesang auf dieser Welt. Was gleichzeitig aber so was von unsterblich klingt, ein Satz wie für die Ewigkeit in Stein gemeißelt, als schrie er einem zum letzten Mal die unerschütterliche Wahrheit entgegen: Kein Zoom! Kein Streaming! Wir brauchen die Show, Leute! Macht es weiter, irgendwie! Und dann nehmen wir das diesen Moment doch mal als Impro-Angebot für ein Fazit an. Also: The Show Must Go On.
Aber ich war auch neugierig. Und wer, wenn nicht wir Improleute, geht am besten mit dem um, was im Moment ist? Und das ist nun mal gerade die Verlagerung des Soziallebens ins Internet.
Relativ schnell kam der Tipp, dass »Zoom« ein für unsere Zwecke am besten geeignetes Videokonferenz-Tool ist. Und nach ein bisschen internem Herumprobieren war klar: Das bieten wir an für die Improschule (deren Betrieb ja ansonsten erst mal auf Eis gelegt werden musste). So legten ein paar von uns im März als »Online-Pioniere« los.
Die Erkenntnisse: »In echt« macht es mehr Spaß. War zu erwarten. Aber: Auch online ist ganz schön viel möglich und macht es ziemlich viel Spaß. Das hätte ich so am Anfang nicht gedacht. Völlig überraschend: Manche Übungen sind online sogar besser als analog. Und: Das Medium lässt ganz Neues entstehen. Wenn die Laptopkamera zur Filmkamera wird, mit der man bewusst umgeht, können ganz eigene und spannende Szenen entstehen.
Partnerarbeit ist super durch die »Breakout-Räume« möglich, das sind separate virtuelle Räume, in die ich als Host die Teilnehmer schicken und miteinander arbeiten lassen kann. Viel Spaß macht es auch, wenn ich dabei zwischendurch Teilnehmer in andere Räume verschiebe. Als Teilnehmer bekommt man dann immer wieder überraschend einen neuen Partner. Und als Host fühlt man sich ein bisschen wie Gott:)
Mittlerweile läuft die zweite Staffel der Online-Kurse und die dritte wird vorbereitet. Neben den Standardkursen gibt es auch viele thematische Kurse, die bewusst versuchen, die Situation und das Medium zu nutzen.
Nicht zuletzt bieten Onlinekurse die Möglichkeit, dass auch Leute, die nicht in Berlin wohnen, an den Kursen teilnehmen können. Und dass tolle auswärtige Lehrer aus unserem internationalen Netzwerk an unserer Improschule Kurse anbieten können.
So ist für uns auch jetzt schon klar: Auch in Nach-Corona-Zeiten werden wir weiterhin Online-Kurse im Angebot haben.
So zeigt sich auch hier die alte Improweisheit: Alles ist ein Angebot und mögliches Geschenk. In diesem Sinne: Danke, Corona!
Stefan wird als Gastdozent die Impro4ever-Klasse vom 4.5.-22.6. unterrichten. Sein Thema: Spiel mit Masken.
Vor zwei Jahren spielte das Ensemble Ernst von Leben im bayerischen Seeon seine TV-Persiflage «Brauer sucht Frau«. In eben diesem Seeon treffen sich regelmäßig die – wie ich finde – zuweilen kopflos agierenden Köpfe der CSU (vgl. u.a. 69 Afghan*innen zum 69. Geburtstag abschieben). An diesem Abend vor doch eher altem (= Ü65) und mittelaltem Publikum (=Ü55) spielten wir also. Bei «Brauer sucht Frau« entscheiden die Zuschauer*innen am Ende, welche*n Partner*in der um die Herzen buhlende Brauer, oder wie an diesem Abend Brauerin – übrigens ist es in Seeon schon politisch, dass es eine weibliche Brauerin gibt – heiratet. Das Publikum hatte die Wahl zwischen einem Mann, der die katholische Kirche ausnimmt und einem Homosexuellen, der nur zum Schein eine Frau heiraten will. All diese Charaktere entwickelten sich aus den Vorgaben des Publikums. Im Nachhinein freute ich mich sehr, dass die oberbayerischen Zuschauer*innen selbst für dieses Ende verantwortlich waren und im Grunde eine politische Entscheidung treffen mussten. Sie entschieden sich übrigens für… Antwort später...
In der zweiten Anekdote geht es wieder um einen Bayern: Horst Seehofer (derzeit: Berlin). Das eben genannte Ensemble spielte bei einem teilweise improvisierten Theaterprojekt mit Prager Künstler*innen im letzten Jahr anlässlich des 30-jährigen Mauerfalls am legendären Theater »Na zábaradlí« in Prag. In diesem Theater arbeitete damals übrigens der spätere Premierminister Václav Havel als Dramaturg und Hausmeister. Bei der Premiere waren viele vom bayerischen Botschafter – ja es gibt eine bayerische Botschaft in Prag – geladene Gäste anwesend. Ich improvisierte einen Monolog, bei dem ich mich immer mehr hineinsteigerte und sprach über Horst Seehofers bayerisch perspektivierte Sicht auf Deutschland, der damit endete, dass ich sagte, wie peinlich es mir ist, dass der deutsche Innenminister in seinem Haushaltsplan für 2019 vergaß, Geld für die Feierlichkeiten anlässlich des Mauerfalls einzuplanen und dass es dann nicht verwunderlich sei, dass von einer erneut oder immer schon gespaltenen Gesellschaft gesprochen werde. Ein Zuschauer aus der ersten Reihe rief noch während des improvisierten Monologs, dass man hier auf dem Theater sei und die Politik sein lassen solle und ich antwortete, dass ich aber gerade hier auf dem Theater die Politik nicht sein lassen wolle, aber ohnehin gleich fertig bin. Ich habe keine Ahnung, ob ich diesem Mann irgendetwas sagen konnte, empfand meine Reaktion und den Monolog dennoch richtig. Daher gebe ich ihn hier auch wieder.
Nun kehren wir zu den eingangs gestellten Fragen zurück, und wie die Anekdoten zeigen, bin ich der Meinung, dass man auf der Improvisationstheater-Bühne durchaus politisch sein kann und damit evtl. auch ein bisschen was bewegen kann. Die Schauspieler*innen beim Improvisationstheater sind immer Darsteller*innen, wie Bertolt Brecht sie in seinem Ideal eines Schauspielers des epischen Theaters forderte. Es ist ganz offensichtlich, dass sich v.a. improvisierende Schauspieler*innen live auf der Bühne in Rollen hineinversetzen, sie sind immer sie selbst und die handelnde Figur zugleich. Alles, was auf der Bühne als Charakter geschieht, gespielt oder gesagt wird, ist immer auch etwas, was der Schauspielende auch sagt. Wenn ich beispielsweise einen pädophilen Priester spiele, speist sich das, was ich spiele, aus meinen Erfahrungen – zum Glück keinen persönlichen – und meiner Phantasie. Für das Publikum jedoch agiert dort immer Felix Forsbach als pädophiler Priester, da es evtl. sogar aus einer Vorgabe des Publikums entstand und ich live in den Charakter schlüpfte. Das Improvisationstheater bietet einen sichereren Rahmen als das geschriebene, inszenierte Schauspiel, da alles Gesagte und Gespielte immer nur in dem Jetzt-Moment entsteht und auch wieder verschwindet. Eine außenstehende Zensur gibt es beim improvisierten Theater nicht. Um so wichtiger ist es, eine Art innere Zensur zu haben, denn nur mit dieser ist es möglich, auf der Improvisationstheater-Bühne auch politisch zu spielen und zu handeln. Ich kann mir kein schlimmeres Einschlafen nach einem Auftritt vorstellen als das, bei dem ich darüber grübele, ob ich nun als Charakter zu realistische frauen- oder fremdenfeindliche Sachen gesagt habe und vielleicht jemand im Publikum dachte, dass dies nicht die gespielte Meinung des pädophilen Priesters Peter war, sondern die von Felix Forsbach. Daher ist es wichtig, sich dessen immer bewusst zu sein: Wir sind brecht‘sche Darsteller*innen und immer wir selbst und der gespielte Charakter auf der Bühne.
Improvisationstheater ist episches Theater, auch wenn es zuweilen kurz und kurzweilig ist. Wir erreichen immer Menschen, wenn wir auf der Bühne stehen. Umso wichtiger ist es für Schauspieler*innen, und dabei spielt es keine Rolle ob es Schauspielende mit geschriebenem Text in inszenierten Aufführungen sind oder wir als Improvisierende, dass wir einen sicheren und auch guten Standpunkt vertreten. Dies sollte meiner Meinung nach auch in die Schauspielausbildung einfließen. Es gibt wenig Peinlicheres, als wenn Schauspieler*innen aus den Rollen herausschlüpfen und auswendig gelernte politische oder soziale Thesen deklamieren oder wenn sich Improvisierende in peinlichen ernstgemeinten Weltverbesserungsergüssen ergehen und das nicht authentisch ist. Seid immer (auch) Ihr selbst auf der Bühne, aber seid gut!
Nach diesen deklamierten Schlussthesen bin ich jedoch noch die Antwort schuldig: Welchen Partner die Brauerin in Seeon laut des Publikums heiraten sollte! Ich weiß es nicht mehr, denn beide Ehen wären in meinem Sinne eines gelungenen politischen Agierens auf der Bühne in Seeon gewesen. Weswegen ich schreiben kann: Es ist gut ausgegangen. Dem Publikum wurde gezeigt, dass es Scheiße ist, gegen Homosexualität zu sein und dass auch Katholik*innen korrupte Ärsche sein können. Aber das Ende ist immer gut: es ist die Liebe zu einer Brauerin! ;)
Wenn Ihr Interesse habt, könnt Ihr drei Lieder des »Ernst von Leben« Ensembles anhören, die vielleicht den Spagat zwischen einfühlendem Charakterschauspiel und politischer Positionierung verdeutlichen:
Meyerhold
Darstellende Kunst im öffentlichen Raum
chemnitz nach rené
Was denkt Ihr darüber? Während des Festivals initiieren wir zu diesem Thema eine Podiumsdiskussion »Political Correctness und Zensur in Impro«. Wir freuen uns auf Streitgespräche, lasst uns miteinander und mit unseren Festival-Kollegen in Austausch treten oder vielleicht sogar den eigenen Horizont zu erweitern. IMPRO 2020 Podiumsdiskussion Donnerstag, 19.3.2020 um 16.30 Uhr im Ratibor
Richten wir doch mal, zur Erweiterung unserer Spielmöglichkeiten, unsere Assoziationen ins Abstrakte aus. D.h. vielleicht spüre ich ja bei der Inspiration Wald z.B. Enge. Was löst diese Assoziation in meinem Körper aus, welche Haltung, welchen Spannungszustand nimmt er ein? In welcher Geschwindigkeit bewege ich mich bzw. meine Spielfigur? Evtl. führt ein Körperteil den Charakter dabei? Welche Emotionen werden durch diese Körperhaltung, diesen Spannungszustand, die Geschwindigkeit frei? Welche Wechselwirkungen mit meinem Spielpartner entstehen, wenn bei mir z.B. Nähe als abstrakte Assoziation aufkommt und ich mich entschließe, immer dicht an ihm zu bleiben, rein räumlich?
Eventuell habe ich ja auch gar keinen Einfall, aber einen starken Impuls, weil ich spüre, dass die Szene gerade noch etwas oder jemanden benötigt. Also entschließe ich mich z.B. ganz einfach, das was die Spielfiguren auf der Bühne machen zu kopieren oder in den Kontrast zu gehen. Dabei habe ich keine konkrete inhaltliche Absicht, mache aber ein starkes Angebot oder unterstütze eines.
Es gibt ein paar Techniken, die relativ simpel umzusetzen sind und eine recht starke Wirkung haben können. Wie ich mich z.B. eben nur entscheide, ob ich nah oder fern zu meinem Spielpartner bin. Ich habe dabei noch nicht festgelegt, ob ich der geliebte Ehemann oder der böse Chef bin. All das kann gerne daraus entstehen, aber gerne auch mal erst im zweiten oder dritten Schritt. Dann aber vielleicht mit einer anderen Substanz, weil zuerst Emotionen, Körperlichkeit, Räumlichkeit entstehen konnten, bevor behauptet wird: »Ich bin dein dich liebender Ehemann im Esszimmer« ohne, dass die Zuschauer sowie die Spielpartner das aber spüren, sehen, nachempfinden oder dadurch inspiriert werden.
Hier ein paar Techniken, die als Handwerkszeug für Improspieler trainiert werden können, um ein facettenreicheres, tieferes Spiel zu ermöglichen:
- Nähe und Distanz (rein räumlich zum Spielpartner)
- Kopie oder Kontrast (klar kopieren oder starker Kontrast)
- Welches Körperteil führt (welche Emotionen werden evtl. durch diese Körperhaltung frei?)
- 5-Sekunden-Regel (erst frühestens nach ca. 5 Sekunden eine sprachliche Replik geben)
- Subtext (Mantras, Kraft der Gedanken. Weniger im Sinne von: »Ich bin ein Ehemann. Ich bin ein Ehemann. Ich bin ein Ehemann.« Sondern eher: »Ich bin sehr liebevoll!« …)
- Statusübungen (wie gelange ich über Körperlichkeiten oder Subtexte in einen Status. Welchen Status habe ich gegenüber einem Charakter, einem Raum, hat die Figur eine hohe gesellschaftliche Stellung, aber dabei einen tiefen Status? Etc.)
- Geschwindigkeit (schnelle – normale – langsame Bewegungen? Was lösen sie aus?)
- Spannungszustände (Körperlich betrachtet. Ist der Charakter eher fest, durchlässig oder schlapp? Was passiert dadurch?)
- 4 Bewegungsformen nach Tschechow (molding, floating, flying and radiating.)
- Psychologische Gebärden/Gesten nach Tschechow (sie erfordern jedoch allerhand Training!)
- uvm.
Also, wer Lust und Interesse hat, das Spektrum seines Improtheaterspiels zu erweitern, kann ja gerne mal diese Techniken in unseren Kursen lernen und anwenden. Und natürlich wie immer (ganz im Sinne von Tschechow): »With a feeling of ease!«
Lutz unterrichtet das Schnupperwochenende am 14.+15.3. und die Abendklasse Montag Fortgeschrittene (2.3.- 27.4.2020).
Theaterspielen hingegen macht etwas mit dem menschlichen Denken, Erleben und Verhalten.
Aber was genau macht es denn?
Ich kann mich gut daran erinnern, wie beeindruckt ich war, als ich die erste Importheater-Show gesehen habe. Das war in Würzburg. Damals war ich in der zehnten Klasse. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich so etwas einmal selbst machen würde. Einige Jahre später habe ich dann einen Improtheaterkurs besucht. Und obwohl ich als Sängerin einiges an Bühnenerfahrung mitbringe, war ich schon eher skeptisch, ob ich es schaffe Szenen »einfach so« zu improvisieren. Mittlerweile weiß ich: Ich schaffe das. Ich habe immer noch Respekt vor dem spontanen Einfallsreichtum und ein bisschen Lampenfieber vor jedem Auftritt, aber ich schaffe das. Und ich glaube, jeder kann das schaffen (mit ein bisschen Übung).
Improtheater hat mir gezeigt, was in mir steckt. Es hat mir geholfen, ungewisse Situationen im Alltag aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wenn ich nicht genau weiß, was auf mich zukommt, dann denke ich an meine Improvisations-Superkräfte und sage mir, irgendwie werde die Herausforderung schon meistern … und sollte etwas schief gehen, dann haben die anderen wenigstens was zu lachen.
Mein Denken, Erleben und Verhalten hat sich durch meine Improerfahrungen also verändert. Auch einige wissenschaftlich durchgeführte Interviews zeigen, dass Viele nach eigener Einschätzung vom Improtheaterspielen profitieren. Aber lassen sich diese Auswirkungen über die breite Masse zeigen? Dies möchte ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit untersuchen. Dazu habe ich eine Studie konzipiert, in der Impro-Neulinge vor und nach ihrem Anfängerkurs einen Fragebogen zu einem spezifischen psychologischen Konstrukt ausfüllen. Durch den Vorher-Nachher-Vergleich können Veränderungen gezielt sichtbar gemacht werden. Als Vergleichsgruppe sollen Teilnehmer von »normalen« Sportkurse befragt werden.
Damit eine Untersuchung jedoch aussagekräftige Ergebnisse produziert, ist eine große Stichprobe notwendig, d.h. je mehr Personen teilnehmen, desto besser kann die Wirklichkeit abgebildet werden. Ich freue mich also über jede und jeden, der mitmacht.
Johanna Dupke studiert Psychologie und Englischlehramt an der Universität Bamberg sowie Theaterpädagogik an der Universität Bayreuth, und ist nebenbei als Musikerin tätig.
Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit hat sie eine quantitative Studie entwickelt, die untersucht, ob sich im Laufe eines Impro-Einsteigerkurses spezifische Veränderungen im Denken und Erleben, feststellen lassen. Es ist toll, hilfreich und wichtig für die Nutzung von Impro in unterschiedlichen Bereichen, dass Wirkungen von Impromethoden wissenschaftlich erforscht werden.
Johanna wird zu Beginn der Anfängerkurse im Januar ihre Fragebögen verteilen und wir freuen uns über eine rege Beteiligung und viele ausgefüllte Fragebögen!!!
2019
Aber ungefähr nach einem Jahr stellt sich bei etwa der Hälfte der Spieler ein Gefühl von Frustration ein. Sie glauben, stehenzubleiben, nicht weiterzukommen. Manche geben sogar das Hobby, das ihr Leben so sehr verändert hat, auf. Wie kommt es, dass bei vielen Impro-Praktizierenden die anfängliche Begeisterung nach einigen Monaten verfliegt?
Dafür gibt es meines Erachtens zwei Hauptgründe:
Erstens, wir lernen nicht linear. Das heißt, unsere Lernkurve zeigt nicht kontinuierlich nach oben. Vielmehr erleben wir große Aha-Momente, gewissermaßen Lern-Explosionen, in denen Körper und Geist sich verändern, in denen uns Vieles auf einmal klar wird, in denen sich eine neue Erfahrungswelt öffnet. Dann wieder erleben wir Plateaus. Wir arbeiten uns intensiv an einem Thema ab, scheinbar ohne jeglichen echten Erfolg. Die Diskrepanz zwischen Wissen und Können führt zu Frust. Wir brauchen eine Weile, bis wir dieses Plateau verlassen und die Lernkurve wieder Schwung aufnimmt. Das kann mitunter im Schlaf passieren. Wer je ein Musikstück auf einem Instrument gelernt hat, weiß, dass es manchmal hilft, nach intensivem Üben, das Stück zwei Tage ruhen zu lassen, und plötzlich wissen die Finger selber, was zu tun ist.
Zweitens glauben viele Schüler, das Impro-Lernen finde allein im Workshop statt. Das ist ein großer Irrtum. Der Workshop liefert die physische Erfahrung, das gezielte Ausprobieren. Aber dieses praktische Ausprobieren muss an den Geist gekoppelt werden, um der Erfahrung ein Ziel zu geben. Das heißt, ein wichtiger Teil des Lernens findet zwischen den Workshops statt.
Wie können wir diese Erkenntnisse praktisch umsetzen?
1. Akzeptiere das Plateau und das diskontinuierliche Lernen.
Habe Vertrauen, dass sich ein Problem, das du jetzt hast, lösen wird, wenn du einfach weiterarbeitest. Viele fortgeschrittene Impro-Schüler kämpfen zum Beispiel nach einem Jahr mit dem Thema Storytelling. Sie versuchen, sich Strukturen zu merken und diese dann ins Spiel einzubauen. Aber dieses »strukturelle Spielen« wirkt steif und fade. Also versuchen sie noch tiefer ins Thema Storytelling einzudringen. In solch einer Situation ist es am besten, wenn man sich auch wieder auf andere Themen fokussiert, in dem Vertrauen darauf, dass das Wissen nach und nach wie Sediment auf unser Unbewusstes legt, bis wir schließlich frei sind, damit zu spielen, ohne uns darauf konzentrieren zu müssen.
2. Habe ein Notizbuch.
Ist es dir auch schon so gegangen, dass du nach einer Woche nicht mehr wusstest, was ihr beim letzten Workshop ausprobiert habt? Wenn man sich aber nicht mehr erinnert, ist es so, als hätte der Kurs kaum stattgefunden. Es genügt schon, sich drei, vier kleine Notizen über den Workshop zu machen, um den Lerneffekt enorm zu steigern. Man notiere, was man bemerkenswert fand. Das kann einfach eine Liste von Übungen und Spielen sein, interessante Szenen, Hinweise des Lehrers, die man seltsam fand, lustige Sätze, die in Szenen geäußert wurden usw. Jede schriftlich notierte Beobachtung setzt einen mentalen Anker.
3. Lerne zwischen den Workshops
Lernen bedeutet, wie schon gesagt, nicht nur Erfahrungen zu machen, sondern auch, diese Erfahrungen geistig, sinnlich und ästhetisch zu vertiefen.
Nehmen wir das klassische Thema Status. Übungen zu diesem Thema sind meistens sehr spaßig und lehrreich. Aber wir können diese Erfahrung auf ein ganz anderes Level heben, wenn wir uns zwischen den Workshops damit beschäftigen: Wie funktioniert Status bei dem Pärchen am Nebentisch im Café? Wie wird in klassischen Filmen mit Status umgegangen? Welchen Status nehme ich selber in bestimmten Situationen ein? Schon allein das Beobachten und bewusste Registrieren hilft, um uns hier weiterzubringen. Aber wir können auch auf anderen Ebenen lernen: Es gibt inzwischen Dutzende Bücher zum Thema Improtheater, in denen aus unterschiedlichen Perspektiven die Impro-Welt betrachtet wird. Wir können uns selbst Gedanken machen und sie tagebuchartig zu Papier bringen. Und schließlich können wir mit Mini-Übungen trainieren (einminütige Schauspielübungen vorm Spiegel, einminütige Schreibübungen usw.)
4. Gehe mit einer persönlichen Herausforderung in den Workshop.
Vielleicht hast du in den letzten Wochen von deinem Impro-Lehrer als Feedback gehört, du mögest mehr zuhören. Dann nimm dir genau das als Herausforderung für den nächsten Workshop vor, unabhängig davon, was das »offizielle Thema« des Workshops ist. Beschränke dich auf eine Herausforderung. Widme dich wenigstens einmal dem »Fokus des Monats«.
5. Trainiere gezielt Einzelfähigkeiten.
Jeder, der mit Improtheater beginnt, bringt schon ein bestimmtes Set an Fähigkeiten mit, aber eben auch einige Schwächen. Manche dieser Schwächen werden in Workshops kaum oder gar nicht trainiert, haben aber Auswirkungen auf die Performance. So gibt es zum Beispiel nur wenige Impro-Lehrer, die sich ausführlich dem Thema Stimme widmen. Schließlich steht ja das Improvisieren im Zentrum der Workshops, nicht die professionelle Stimmbildung. Wer eine leise Stimme hat, sollte sich also bei Gesangs- oder Stimmlehrern gezielt zusätzlichen Input suchen. Dasselbe gilt für kreatives Schreiben, Pantomime, Tanz usw.
6. Probiere andere Lehrer aus.
Nach einigen Monaten klingt die Stimme des Lehrers zu vertraut. Ich freue mich immer heimlich, wenn meine Schüler begeistert von einem Vertretungslehrer schwärmen, von dem sie dieses oder jenes gelernt hätten und verkneife mir die Bemerkung, dass ich seit Wochen versuche, genau das mit ihnen zu üben. Offenbar war dann genau seine, etwas andere Herangehensweise nötig, um ihnen die Tür zu öffnen. Nach einer Weile braucht man aber auch mal komplett anderen Input. Denn Impro-Lehrer, wie genial sie auch erscheinen mögen, haben auch ihre Macken und blinden Flecken. Man probiere andere Stimmen und Sichtweisen aus. Allein in der Impro-Schule der Gorillas unterrichten derzeit 23 Impro-Lehrer.
Plateaus erreicht man im Laufe einer Impro-Karriere immer wieder mal. Manchmal erscheinen sie als frustrierend, manchmal weiß man sie sportlich zu nehmen. Entscheidend sind die Geduld und die Bereitschaft, Impro als Projekt zu verstehen, das man nie komplett gelernt haben wird, sowie das Wissen, dass man, egal, auf welchem Level man sich befindet, die Impro-Welt stets mit Anfänger-Augen betrachten sollte.
Unser Impro-Kollege Dan Richter (von Foxy Freestyle) hat nicht nur diesen Dezember-Fokus für euch geschrieben, er verfasst gerade auch ein 12(!)bändiges Werk über Improtheater. Die ersten drei Bücher sind bereits erschienen: »Die Grundlagen« (Bd. 1), »Gruppen, Geld und Management« (Bd. 8) und »Impro-Shows« (Bd.9). Kann man alle HIER direkt vom Erzeuger kaufen, selber lesen oder verschenken…
Ich denke, der Hauptgrund, warum gerade zu Anfang einer Szene oft negativ begonnen wird, ist die Bequemlichkeit, sich NICHT für etwas entscheiden zu müssen. Spätestens dann aber, wenn die erste negative Figur auf der Bühne ist, sollte man das als klares Angebot erkennen, eine positive Kraft dagegen zu setzen. Denn früher oder später braucht eben nahezu jede Geschichte ein vitales Zentrum, etwas was auf dem Spiel steht, mit dem man sich als Zuschauer identifizieren kann. Bei James Bond ist es die Rettung der Welt, es geht aber auch einige Nummern kleiner. Nur: es sollte größer sein, als man selbst!
Spielt einen Menschen, der der armen Mutter eine teure Herz-OP ermöglicht! Der in den Kampf gegen Wuchermieten zieht! Der zwei Liebenden hilft, zueinander zu kommen! Der das Unmögliche schafft und die SPD wiederbelebt! Oder auch einfach nur einmal noch an Weihnachten die ganze Familie zusammenbringt... SEID POSITIV!
Ich nehme das zum Anlass, zu einer Reflexion in Bezug auf Impro einzuladen. Was möchte ich, dass von dem was ich spiele, bleibt?
Impro ist eine vergängliche Kunst, und trotzdem kann man Menschen berühren, indem man authentische Figuren spielt und Geschichten erzählt, die einem selbst relevant erscheinen. Es ist auch nicht unwichtig, wie ich mit meinen Kollegen bin.
Ganz gut, sich (und auch mal die Kollegen) zu fragen: Spielen die eigentlich gerne mit mir? Bin ich eine Spieler*in, die Kollegen auf der Bühne gut aussehen lässt? Wie sieht es aus mit meiner inneren Bewertung? Kann ich das, was Kollegen auf der Bühne tun, wertungsfrei akzeptieren? Wenn nicht, wie kann ich konstruktiv weiterspielen mit dieser Person?
Jeder ist selber verantwortlich dafür, was für ein Mensch er oder sie sein möchte.
Sowohl im Leben, als auch auf und hinter der Improbühne.
geschrieben von Björn Harras
Improszenen sind oft voll beladen mit Aktionen und Informationen. Jede will die Szene vorantreiben und dass sie irgendwie auch gut wird. Das ist total verständlich, allerdings kann es dabei leicht passieren, dass der Fokus der eigentlichen Szenen verloren geht. Dabei hilft oftmals ein kurzes Innehalten. Nicht den nächsten Gedanken ausspucken, oder dem nächsten Handlungsimpuls sofort folgen, sondern bewusst das eben Getane sacken und wirken lassen, nochmal nachspüren. Vielleicht habt ihr ja schon das gefunden, worum es eigentlich geht. Hinzu kommt, dass dieser kurze Moment der Stille auch dem Zuschauer hilft, das Gesehene zu verarbeiten. Sich selbst zu ordnen und für sich zu schauen, was die Geschichte mit einem selbst macht. Vielleicht baut ihr sogar bewusst Pausen ein. Verabredet euch, dass zwischen jedem Satz und jeder Handlung 3 Sekunden Stille und Nichtstun liegen müssen. Ich bin mir sicher, ihr werdet ganz neue Welten in den Szenen und in euch selbst entdecken.
Björn unterrichtet den deutsch-englischen Kurs »Impro für Schauspieler*innen« zusammen mit Inbal Lori (8.10. bis 26.11.). Ebenfalls zusammen mit Inbal gibt er den englischsprachigen Kurs »Voneinander lernen: Wochenende für professionelle Schauspieler*innen und performende Improvisationskünstler*innen« (2.+3.11.).
geschrieben von Karin Werner
Wahrscheinlich erwähne ich es zu hundertsten Mal, wie großartig es ist, wenn Stimmung und Konzentration auf der Bühne es zulassen, dass man mit vermeintlich unwichtigen Kleinigkeiten spielt. Plötzlich ist es da und »will gespielt werden«. Die Tasse ist heiß (ja irgendwie ein Klassiker), die Schublade ist schwergängig, der Schrank hat einen besonderen Geruch, was auch immer. Neulich war es das unglaubliche Gewicht einer Perücke. Man deutet dieses Detail also an und die Spielpartner nehmen es wahr und spielen mit. Es geht nicht ums Vergrößern oder wichtig machen. Dieses Spiel läuft nebenher. Man könnte auch sagen, es schwebt, tanzt einfach mit.
Karin gibt den Schnupperkurs in Potsdam am 14.+15.9. Sie unterrichtet die Abendklasse Montag für Anfänger (12.8 bis 30.9.) und in Potsdam die Abendklasse Mittwoch für Anfänger/Fortgeschrittene (14.8 bis 2.10.).
geschrieben von Urban Luig
Viele Fans des Improvisationstheaters halten dem Improtheater die Treue, weil sie durch Ihre Vorschläge das Bühnengeschehen mitbestimmen können. Das zeichnet diese Theaterform aus. Die Vorgaben des Publikums haben eine immense Bedeutung für den Verlauf des Abends. Deshalb ist es wichtig, diesem Thema mal den Fokus zu geben.
Wer Impro-Fan ist, und den Glauben hat, dass seine Vorgaben den Abend wirklich maßgeblich beeinflussen, sollte hier nicht weiterlesen. Denn das ist nicht der Fall.
Natürlich: Wenn wir Improspieler uns ans Publikum wenden und fragen: »Ok, meine Frau hat mir gerade gesagt, dass Sie mich seit Jahren mit meinem besten Freund betrügt. Wie reagiere ich darauf?« – »Geil!« Dann ist das meist ein Lacher, und wenn die Spieler den Vorschlag halbwegs ordentlich umsetzen, kommt auch eine amüsante Szene dabei raus.
Aber die Verantwortung für den Theaterabend haben immer die Schauspieler auf der Bühne. Hinter den Kulissen habe ich nach einem verpatzten Impro Auftritt schon oft das Argument gehört: »Das waren aber auch doofe Vorschläge!« Sicherlich gibt es auf der einen Seite das großartige und inspirierende Theaterpublikum, vor dem es Spaß macht zu spielen. Auf der anderen Seite gibt es auch ein nerviges Publikum, das es einem schwer macht. Da hat man dann als Improspieler mehr Arbeit, um den Abend hinzubekommen. Aber die muss man sich machen, und kann nicht einfach dem Publikum die Schuld für einen misslungenen Auftritt geben.
Der Klassiker ist, dass das Publikum »Geil! Schwul! Klo!« auf die Bühne ruft.
Fortgeschrittene Improspieler hören des öfteren: »Warum nicht mal den Vorschlag ‚Klo!‘ nehmen!?« Natürlich gibt es — wie für jeden anderen Vorschlag — auch eine Million Möglichkeiten tolle Szenen zu improvisieren, die auf dem Klo spielen.
Bei diesen «witzigen« Vorschlägen ist der Umgang mit dem ersten Impuls besonders wichtig. Improspieler sollten Ihre Sensibilität dafür schärfen, wie sie auf nervige Vorschläge reagieren. Es kommt immer wieder vor, dass die Spieler ihre schlechte Laune, die sie durch doofe Vorschläge bekommen mit auf die Bühne nehmen, und gerne wird dann auch die Szene schlecht.
Das allerwichtigste ist also, dass die SPIELER inspiriert von dem Vorschlag sind! Auf welche Weise auch immer. Am besten ist natürlich, sie haben wirklich große Lust darauf, das Märchen mit dem Titel: »Das goldene Eichhörnchen« zu spielen, und haben eine starke Inspiration für den Beginn der Geschichte. Oder sie haben Lust die Herausforderung anzunehmen und erstmal drauflos zu improvisieren, weil sie keine Ahnung haben, wohin die Reise mit diesem Titel gehen könnte. Denn es gibt ja auch noch die MITSPIELER! Man muss ein Gespür dafür entwickeln, ob die KOLLEGEN vielleicht inspiriert sind. Leider gibt es genug MODERATOREN, die dieses Gespür nicht haben. Der Moderator fragt: »Ich hätte gern ein Film-Genre« – »Woody Allen!« ruft jemand, und der Moderator ist zufällig Woody Allen – Fan und kennt alle Filme in- und auswendig. Leider keiner der Spieler, die stumm mitansehen müssen, wie der Moderator die Szene einzählt, weil er sich so freut und inspiriert durch den Vorschlag ist. Aber ER muss die Szene ja nicht spielen. Also sollten sich die Spieler auf keinen Fall scheuen, dem Moderator auf charmante Art zu signalisieren, dass sie mit einem Vorschlag nichts anfangen können. Die Chance, dass die Szene Käse wird, ist einfach sehr hoch. Und schlechte Szenen möchte man eben als allerletztes sehen.
99% der Zuschauer wollen vor allem starke Szenen sehen. Man hat es schon oft erlebt, dass nach der Vorgabe »Das goldene Eichhörnchen« ein wunderbares Märchen von vorne bis hinten improvisiert wurde, und alle waren begeistert – aber plötzlich merkt man: Es kam nirgendwo ein Eichhörnchen vor! Schon gar kein goldenes. Das ist dann meist ein schöner Lacher, aber der Qualität des Abends tut es überhaupt keinen Abbruch.
Natürlich ist man im Zuschauerraum gespannt, wie die Spieler einen Vorschlag umsetzen, der auf die Bühne gerufen wird. Und viel vom Zauber und der besonderen Komik des Improtheaters kommt durch diesen Mechanismus. (Nicht zuletzt deswegen sind Game-Shows besser besucht als Langformen. Der Zuschauer kann einfach öfter Vorschläge machen.) Dadurch kann es an einem Abend schöne Gags geben – aber es bleibt das »Gewürz« eines Impro-Abends. Das »Fleisch« sind starke Figuren, starke Beziehungen und starke Geschichten. Und dafür sind die Spieler verantwortlich.
Als Zuschauer bei Impro-Shows rufe ich auch gern mal einen Vorschlag auf die Bühne. Eine Erfahrung ist hier besonders wichtig: Ich fühle mich durch meinen Vorschlag mit für das Geschehen auf der Bühne verantwortlich. Wenn durch meinen Vorschlag die Szene nach vorne losgeht und grandios wird, ist das auch mein Erfolg. Wenn sie schlecht wird, bin ich besonders enttäuscht. Die Impro-Spieler auf der Bühne sollten sich dieser besonderen Art der Verantwortung bewusst sein. Jeder, der aus dem Zuschauerraum etwas auf die Bühne ruft, macht sich auch angreifbar. Wertschätzender Umgang seitens der Spieler ist also sehr wichtig. »Großartiger Vorschlag! Vielen Dank, das nehmen wir!« gibt dem Zuschauer ein sehr gutes Gefühl und ich finde, man könnte sich im Impro-Theater häufiger für die Mitarbeit des Publikums bedanken. Denn natürlich schmeckt gut gewürztes Fleisch viel besser als ungewürztes.
Zusammen mit Karin unterrichtet Urban den Impro4ever-Kurs »Abendklasse Montag Impro4ever "Schauspieltechnik und Impro am Beispiel von Schiller/Tschechow/Brecht« (7.10.-25.11.). Am ersten Dezember-Samstag gibt‘s »Impro für (Groß-) Eltern und Kind (auch für Tanten und Onkel)« (1.12.)
geschrieben von Luise Schnittert
Immer wieder stellt sich mir die Frage: Wie viel müssen wir proben? Wie viel Struktur brauchen wir? Was wollen wir festlegen? Gerade was die Themen Storytelling und Genre-Arbeit angehen.
Die Meinungen dazu gehen auseinander: Wo fängt Impro an und wo hört es auf? Ist es denn dann noch Impro, wenn wir Strukturen, Storytelling-Bausteine, festen Archetypen (Charaktere) etc. nutzen? »Zu kopfig!«, sagen viele, zu viel routiniertes »Runterspielen« und zu wenig spontan!
Impro ist ja auch scheitern – ich muss nicht wissen, wie das Genre X/Y genau geht, ich darf ja scheitern und werde dafür sogar vom Publikum gefeiert. Ich soll in Schwierigkeiten geraten und darf Dinge behaupten, ich darf Klischees spielen, ich darf daneben liegen. Ich bediene mich dann nicht an Guidelines oder einer bestimmten Form, sondern schöpfe aus dem, was ich gerade zur Verfügung habe, was ich im Herzen trage, was da ist. Ich improvisiere und bin einer, der es eben wagt, der kreativ ist, der im Moment ist und ja sagt. Ein schöner Gedanke und ja auch eigentlich das, was wir wollen – oder? Keiner geht ins Improtheater, weil er einen perfekten Shakespeare sehen will.
Ich merke, dass ich wohl trotzdem zu der Sorte Improspieler gehöre, die wohl doch etwas mehr Form mögen. Warum? Weil es mir Freude macht, mich mit Formen und Strukturen zu beschäftigen. Weil ich mich im Beschränkten freier fühle. Weil ich es schön finde, ganz und gar in eine Thematik einzutauchen, Experte zu werden. Weil ich gutes, ausgereiftes Handwerk schätze und liebe. Weil ich Professionalität damit verbinde. Weil ich finde, dass das »Scheitern« keine Entschuldigung sein darf und weil ich glaube, dass Impro Struktur braucht. Nicht pauschal aber doch meistens. Sonst feiert sich die Form selbst und das begeistert mich nicht mehr.
Ich vergleiche es oft mit einem Jazzmusiker, der improvisiert. Er ist Experte seines Instruments, er kennt die Tonart, er kennt die Struktur des Songs. Auch das Spielen für Kinder hat mich zum Nachdenken gebracht: Denen ist nämlich egal ob wir improvisieren oder nicht, die wollen eine schöne, spannende Geschichte. Die feiern uns nicht, weil wir uns trauen, ohne Text auf die Bühne zu gehen.
Natürlich ist das Proben von Strukturen, Form, Storytelling mühsam. Es fühlt sich hölzern an. Wenn man gewohnt ist, frei davon auf die Bühne zu gehen, ist es erstmal nur Beschränkung.
Wenn dann die Form nicht genau getroffen ist, bleibt der Effekt oft aus und man scheitert beim Versuch es »richtig« zu machen. Dann kommt schnell der Moment, wo man es wegwirft und doch wieder bitte so schön frei und ohne »Kopf« zusammen spielen möchte. Da braucht es einen langen Atem.
Vor ein paar Wochen haben wir Gorillas einen »Schreiben«-Workshop gemacht und festgestellt, wie komplex das Thema ist und wie viel es zu lernen gibt. Nicht umsonst gibt es den Beruf des Schriftstellers. In den USA ist Impro ganz fest verwoben mit »writing«, weil man als Improspieler eben auch Geschichtenerzähler ist und gute, komplexe Figuren spielen möchte, die ihre Heldenreise antreten.
Ich denke, dass es sich lohnt, an dieser Stelle dran zu bleiben, sich etwas durchzukämpfen. Die Form in Fleisch und Blut übergehen zu lassen. Dann kann man sie auch bewusst loslassen, sich frei darin bewegen und mit ihr »spielen«. Ich entscheide, wann ich in den Bausteinkasten greife. Natürlich darf man die Magie des Impros nicht verlieren. Die Magie ist für mich, dass man beim Improvisieren wagt, ins Ungewisse zu gehen und etwas im Moment zu erschaffen. Die Magie des »PRÄSENT« seins. → Ist das nicht ein Widerspruch? Ich glaube nicht.
Es bleibt wohl immer ein Spannungsfeld und so unterschiedlich wie wir Menschen sind, ist eben auch unsere Improvisation.
Luise unterrichtet den englischen Kurs English Evening Class Wednesday Beginners / Advanced zusammen mit Lee (14.8. bis 2.10.).
geschrieben von Michael Wolf
Liebe Improspieler, unsere Bewegung vergrößert sich zusehendes. Immer mehr Menschen begeistern sich fürs Improvisationstheater. Landauf, landab werden Kurse und Improcamps angeboten. Immer mehr Gruppen entstehen und immer mehr Vorstellungen suchen ihr Publikum.
Ich habe mir in den letzten Jahren einige Shows dieser neuen Gruppen angesehen, leider aber auch einige, die nicht dazu beitragen, die Zuschauerzahl des Improvisationstheaters zu vergrößern. Woran liegt das? Ich stelle mal einen Vergleich zu Musikern z.B. Jazzer her, die auf der Bühne improvisieren. Manchmal denkt man, okay, nicht gerade mein Geschmack. Was aber festzustellen ist, das diese Free Jazzer, die Improvisatoren der Musik, ihr Instrument, meist virtuos verstehen. Sie sind MUSIKER. Eine musikalische Kenntnis ist vorhanden und hörbar.
Viele Improvisationsschauspieler hingegen verstehen aber genau dieses, ihr Instrument, nicht. Dieses Instrument ist ihr Körper, ihre Stimme. Ein Verständnis von der Schauspielerei, der Gesetzmäßigkeit der Bühne ist nicht vorhanden. Leider unternehmen sie meist wenig Anstrengungen sich diese Kenntnisse anzulernen. Sie lernen die Techniken der Dreier Synchron oder der Armrede und betrachten diese erworbenen Techniken als Lizenz dafür, auf die Bühne zu gehen! Ich würde mir wünschen, dass ihr dafür mehr tut, beschäftigt euch mit Dramaturgie, mit Stanislawski oder Lee Strasberg. Nehmt Sprach-, Stimm- oder Gesangsunterricht. Lest, probt und arbeitet. Und zollt der Bühne Respekt.
Michael unterrichtet zusammen mit Lutz Albrecht die Abendklasse Montag für Anfänger (6.5. bis 17.6.). Zusammen mit Barbara Klehr leitet er den Kurs »Figuren und ihre Dramaturgie« bei der Sommerakademie auf Schloss Trebnitz.
geschrieben von Christoph Jungmann
Meine Überlegungen beziehen sich vor allem auf öffentliche Aufführungen, und die stehen ja sicher für einige oder auch viele von Euch irgendwann an. Es beginnt mit der Frage: was anziehen für den gesamten Abend, also quasi als Grundausstattung? Sich »kostümieren« oder einfach so auf die Bühne schlappen? Ich denke, beides hat etwas für sich, wobei ich das ganz coole »ich lass das an, was ich eh gerade trage« inzwischen ein bisschen problematisch finde. Die Cracks aus Nordamerika, bei denen ich das erstmals sah und die das immer noch so machen, können sich das Understatement meist leisten, weil ihr Impro-Können groß genug ist. In manchen Fällen aber kann das ganz und gar Private ein mangelndes Bewusstsein oder um es vielleicht etwas altmodisch pathetisch zu sagen: mangelnden Respekt gegenüber der Bühne als einem besonderen Ort zum Ausdruck bringen.
Die andere, große, prinzipielle Frage ist: Kostüme beim Impro? Ick habe vor 22 Jahren angefangen mit dit Janze, zeitgleich bei Theatersport Berlin und den Gorillas, und in beiden Gruppen waren Kostüme von Anfang an üblich. Bei Theatersport gabs in der Mitte der Bühne eine kleine Auswahl auf einer Garderobenstange, die die Bänke beiden Teams getrennt hat, bei den Gorillas eine relativ große Auswahl in der Garderobe. Daran hat sich bei uns bis heute nichts geändert. Ich musste dann aber feststellen: quasi niemand in Deutschland, Europa und Nordamerika arbeitet mit Kostümen, als gäbe es eine Art stilles Agreement darüber.
Ich kann nicht erklären, warum das so ist. Es spricht ja durchaus auch etwas dafür, ganz drauf zu verzichten (und das haben wir 15 Jahre lang im Jazzclub Schlot auch praktiziert): denn es erhöht die eigene Fokussierung auf das Geschehen auf der Bühne, ich bin nicht abgelenkt durch Gesuche im Backstage und verpasse womöglich, wo die Kollegen die Tür auf der Bühne etabliert haben. Es fordert die Akteure heraus, eben absolut alles, auch das Äußere des Charakters, darzustellen, zu erschaffen.
Dennoch: aus meiner Sicht überwiegen die Vorteile, Kostüme zu nutzen, ohne dass es eine Kostümschlacht wird. Gerade in den »schnellen« Shows helfen sie bei der Figurenfindung, es unterstützt die Szene, reichert sie an. Ich liebe z.B. das »Jacken«-Game, das ganz einfach daraus besteht, eine Jacke eines Zuschauers, einer Zuschauerin anzuziehen. Was macht das mit mir, wenn ich diese Kleidungsstück trage? Diesen Prozess an mir selbst zu verfolgen und das Publikum an diesem Prozess teilhaben zu lassen, wie die Jacke mich verändert, macht zudem großen Spaß. Dass das, was unseren Körper umhüllt, uns selbst beeinflusst und die Wahrnehmung dessen, was wir an und in unseren Mitmenschen sehen, einen Einfluss auf die Beurteilung dieses Menschen hat, ist denke ich unbestreitbar. Dies lässt sich auf die Bühne übertragen. Und wenn die Szene vorbei ist und ich die Jacke ablege, lasse ich auch den Charakter wieder los. Die Freude am Spielen im ganz naiven Sinne, im Ausprobieren, im »in-eine-Rolle-Schlüpfen« wird durch ein Kostüm, eine Brille, einen Hut erleichtert; so einfach und 1:1 sich das anhört, so einfach ist es für mich auch.
Christoph unterrichtet zusammen mit Thomas den Anfängerkurs dienstags (30.4. bis 18.6.). Auf der Sommerakademie auf Schloss Trebnitz unterrichtet er mit Regina den Kurs »Neue Wege ins Impro-Glück« (1. bis 4.8.).
geschrieben von Inbal Lori
Wenn niemand unsere Dialoge schreibt, wenn keiner uns inszeniert oder darüber entscheidet, wie wir das machen was wir machen, dann heißt das vor allem eines: Wir selbst sind der Inhalt dessen, was wir improvisieren. Alles was wir sind, was wir wissen, was wir lieben, hassen, denken, was wir gehört oder erfahren haben – all das kann und sollte berechtigtes Material für unsere Improvisationen sein.
Zu improvisieren heißt nicht, jemand ganz anderes zu sein. Es bedeutet, man selbst zu sein, in unterschiedlichster Art und Weise. Es bedeutet, die Erfahrung, in dieser komplexen, wundervollen Welt ein Mensch zu sein, mit hinein zu nehmen in die Szenen/Geschichten/Charaktere, die wir spielen.
Ich glaube, dies zu verstehen kann uns helfen, interessante Entscheidungen während des Spielens zu treffen. Mit »interessanten« Entscheidungen meine ich ehrliche, emotionale, menschliche Entscheidungen, welche eine Geschichte bereichern, ihr dienen und sie voran bringen, anstatt sie stecken zu lassen, während wir diskutieren, kämpfen oder versuchen zu gewinnen! Ich nenne diejenigen Improspieler, die stets versuchen zu gewinnen, die immerzu die witzigsten, schlauesten, schnellsten sein wollen, die »Klugscheißer-Spieler«: Nichts berührt sie, nie sind sie wahrhaftig, nie blicken sie über ihren eigenen Tellerrand hinaus. Manche mögen sowas – ich dagegen halte das für verschwendete Zeit beim Zuschauen. Ich habe keinen Eintritt bezahlt, um zu sehen, wie toll du bist, ich will eine gute Show sehen, und das ist ein großer Unterschied.
Die erfahreneren Improspieler können das größere Bild sehen, sie folgen »der inneren Logik des Charakters und der äußeren Logik der Geschichte«, wie Tim Orr es genannt hat, und sie benutzen ihre eigenen, wahrhaftigen Erfahrungen, um diese zu bereichern.
Manchmal kann das heißen, dass dein Charakter alles verliert. Oder dass du einen miesen, bösartigen Charakter spielst, den alle Leute hassen. Oder dass du ein politisches Thema einbringst, dass für dich relevant ist und das gerade zum Inhalt der Szene passt. Und manchmal heißt das auch etwas ganz anderes.
Nachdem ich das gesagt habe, möchte ich noch auf zwei andere Dinge kommen, die ich für wichtig halte:
Impro (so wie ich es betreibe) ist Komödie, immerzu Komödie. Das bedeutet, dass ich alles, was ich bin, weiß, denke, was ich gesehen und gehört habe, was ich sein will oder nicht sein will, dass ich all dies benutze, um eine reichere Komödie zu spielen, die die Menschen zum Nachdenken, zum Weinen, zum Zweifeln, zum Kümmern bringt – und natürlich zum Lachen! Es geht nicht darum, sich selbst eine Psychotherapie-Session zu geben, während man in die Dramen des Lebens abtaucht.
Der andere Grund, warum ich mich selber in meine Shows einbringe, ist, dass ich es vermeiden möchte, Propaganda zu machen. Ich möchte das Publikum nicht belehren oder davon überzeugen, dass meine Ansichten und Standpunkte die richtigen sind. Ich möchte sicher sein, dass die Inhalte, die ich einbringe, vor allem der Geschichte bzw. Szene dienen und dieser ermöglichen, reicher zu werden. »Reicher« heißt für mich, dass die Geschichte/Szene etwas aussagen kann, über das Leben, die Menschheit, Beziehungen, Liebe, Hass und anderes. Mein Job ist es meiner Meinung nach, Gedanken und Gefühle im Publikum anzuregen, während ich sie zum Lachen bringe (und nicht, indem ich sie belehre).
Darum mache ich Impro und das ist der Grund, warum ich es liebe. Es gibt so vieles, was ich in so unterschiedlicher Art nutzen kann, und alles ist ein Ausdruck meiner selbst.
Eine andere Person, Du vielleicht, wird das komplett anders machen als ich. Ist das nicht fantastisch?
geschrieben von Jana Kozewa
»…der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« (Friedrich Schiller)
Unser Alltag, unser Leben in und mit unserer Gesellschaft ist geprägt von Leistungsdruck, Anpassung und dem Bestreben nach »funktionieren« auf der einen Seite, und dem Suchen nach einer sogenannten Work–Life–Balance auf der anderen Seite. Wie schaffen wir diesen Spagat? Wie schaffen wir es noch, wir selbst zu bleiben? Wie schaffen wir es, unsere wilde, lustvolle, kreative Seite nicht zu verlieren?
WIR SPIELEN!
Und da gibt es viele Möglichkeiten. Die einen treffen sich zu klassischen Spieleabenden, die anderen gehen mit Schwert und Pfeilen in den Wald zum gemeinsamen Rollenspiel…
Wir gehen noch einen Schritt weiter. Wir lassen es zu, dass das Spiel für den Moment die Führung übernimmt. Wir geben uns ganz dem Unvorhergesehenen hin. Wir lassen uns ein und sind offen für absolut alles. Und das ist eine Freiheit, die wir in dieser Intensität nur beim Improvisieren erfahren, die wir aber mit etwas Übung auch in unser Leben außerhalb der Improbühne mitnehmen können. Deswegen mein Aufruf: Spielt! Spielt euch die Seele aus dem Leib! Spielt und vergesst dabei alle Grenzen, die euer erwachsenes Hirn euch einredet! Spielt und seid frei!
Jana unterrichtet die Abendklassen montags Fortgeschrittene (7.1. bis 25.2.) und die Impro4ever Abendklasse Montags »Dramaturgie und Storytelling« (4.3. bis 29.4.).
geschrieben von Robert Munzinger
Als ich eine Zeit lang nach meinen Vorstellungen an der Vagantenbühne in Berlin, bei denen ich klassisches Sprechtheater spielte, noch mal kurz ins Ratibortheater gegangen bin, war mir aufgefallen, wie unterschiedlich das Publikum auf Improtheater reagiert, verglichen mit den Zuschauern an der Vagantenbühne. Ich war um ca. 21:40 Uhr fertig dort, und kurz nach 22 Uhr im Ratibor. Dort liefen dann oft noch die letzten 20 Minuten der Gorilla-Shows. Was war der Unterschied?
Beide Produktionen waren Komödien, beide kamen gut an, trotzdem waren die Zuschauer der Improshow mehr bei der Sache, gefesselter, irgendwie mehr »drin«, es ging ein anderer Sog von den Geschehnissen auf der Bühne aus als an der Vagantenbühne, das war für mich unübersehbar.
In meiner Erinnerung sitzen die Rezipienten der klassischen Komödie eher zurückgelehnt, amüsiert, aber passiv in Konsumentenhaltung auf ihren Plätzen, während das Ratibor-Publikum gespannt, manche vorgebeugt, mitbeteiligt am Bühnengeschehen wirkt.
Was ist so spannend bei gelungener Improvisation?
Es ist meistens eine andere Form von Spannung als die, die in guten Krimis oder Thrillern durch die fesselnde Handlung entsteht. Im Zentrum der Impro-Spannung steht die Frage: »Scheitern oder Gelingen?« Gute Improvisateure setzen sich immer wieder dem Scheitern aus, fordern sich gegenseitig, gehen an Grenzen. Wenn z.B. ein Spieler dem anderen das Mikro reicht und sagt: »Wir hören die Gedanken dieses Charakters in einer Jazzballade.«, dann entsteht automatisch Spannung, weil auch ein Scheitern in der Luft liegt.
Natürlich kennen die Gorillas die Stärken ihrer jeweiligen Bühnenpartner genau, und es ist auch völlig legitim, dass sie diese zum Tragen bringen, wenn sie die besonders musikalischen Kollegen zum Singen und die literarisch versierten zum Rezitieren eines Gedichtes herausfordern. Aber die Zuschauer wissen ja nicht um diese Stärken, insofern ist es für sie egal, welcher der Akteure welche Herausforderung meistern muss. Und sie denken vielleicht: "Oh, Gott, jetzt auch noch Singen! Ein Glück, dass nicht ICH da jetzt stehe!!"
Interessant finde ich, dass es tatsächlich nicht darauf ankommt, dass alle Herausforderungen gemeistert werden, sondern im Gegenteil: Gerade dadurch, dass man in JEDER Improshow die Spieler auch scheitern sieht, bleibt es spannend!
Und für uns als Improspieler liegt in dieser Erkenntnis die Aufforderung, immer wieder etwas zu wagen, ohne unsere Stärken zu vernachlässigen.
Robert unterrichtet die Abendklasse Montag Anfänger (7.1. bis 25.2.).
2018
geschrieben von Barbara Klehr
Heraus! Aus einer Komfortzone, aus einem Raum den ich gut kenne. Das Wort »Forderung« impliziert etwas von außen Kommendes, möglicherweise etwas Unbequemes und nicht unbedingt meine eigene Entscheidung.
Auf der Improbühne erleben wir Gorillas Herausforderungen in Form von Aufgaben, die wir einander stellen. Zugegeben, 80% davon fordern uns nur gespielt heraus. Wirkliche Herausforderungen sind für mich zum Beispiel, mit einem Kollegen zu spielen, der mich derzeit stark kritisiert oder mit dem ich gerade Schwierigkeiten habe. Auf die Bühne gehen, obwohl ich zutiefst traurig bin, weil ich mitten in einer Trennungssituation stecke. Oder zu einem Thema zu improvisieren, das mich aktuell sehr aufwühlt.
Das Schöne am Improvisationstheater ist für mich, dass es eine »bessere Welt« kreiert, in der wir als Spieler, indem wir die Improregeln befolgen, einander unterstützen und respektvoll sind. Das macht etwas mit mir, dieses gemeinsame Ringen um das Gelingen der Szene. Dieser positive Umgang miteinander ist nicht selbstverständlich und auch nicht im alltäglichen Zuhause. An dieser Stelle trägt Impro meiner Meinung nach wirklich zu einer besseren Welt bei, weil wir für diese Zeit tatsächlich gut miteinander umgehen und uns bemühen. Auch wenn ich im Unterricht erlebe, wie ihr Schüler um etwas kämpft (zum Beispiel euch verändern zu lassen, oder die Zug-um-Zug-Regel endlich einzuhalten) und wie glücklich ihr seid, wenn euch etwas gelungen ist, dann hat das auf mich eine Wirkung. Dieses beglückende Gefühl nehme ich mit in den Teil meines Lebens, in der die Beteiligten gar nicht nach den Improregeln spielen.
Was deine persönlichen Herausforderungen im Bereich des Improtheaters sind, das kannst du am besten für dich selber beantworten. Ich glaube, dass die Kurse ein prima Forum darstellen, in dem man sich über dieses Thema auch mal austauschen kann. Damit können Kollegen oder der/die Lehrer*in zu Komplizen werden, die dich darin unterstützen, deinen Herausforderungen offensiv zu begegnen. Damit wird der Kurs zum echten Trainingsraum.
Impro ist nicht das wahre Leben, aber im wahren Leben können wir eine Menge von Impro profitieren.
Barbara unterrichtet die das Schnupper-Wochenende am 16.+17.2. Zusammen mit Regina veranstaltet sie am 23.+24.3.2019 das Symposium »Improv in Therapy«, das sich mit dem Thema Impro im therapeutischen Kontext befasst.
geschrieben von Marie Wellmann
Marie ist die Büro-Chefin der Gorillas und saß mit Ramona (Spielerin, Improschule-Leiterin und Sisters of Comedy-Anstifterin) auf ein Käffchen zusammen. Marie erzählte von ihrer Kolumbienreise und wie sie dort für Impro-Spielerinnen ein Seminar gab zu »Frauen und Impro«. Marie, die Impro »nur« vom Zuschauen kennt, entpuppte sich einmal mehr als sehr genaue Beobachterin und als Ramona fragte: Schreibst du uns darüber einen Fokus? war ihre Antwort: JA GENAU. UND hier ist er:
Über Jahrhunderte oder auch Jahrtausende hinweg ist unsere Gesellschaft geprägt von der männlichen Vorherrschaft, die sich auf so vielen Ebenen auch heute noch fortsetzt. Das Patriarchat ist angeblich schon angezählt, aber noch hält es sich wacker (und mit einiger Gegenwehr). Erst kürzlich habe ich einen Artikel gelesen, dass in unserem – doch so gleichberechtigt erscheinenden – Land immer noch kaum Frauen in leitende Regierungspositionen kommen.
Ein Blick in die Geschichtsbücher bringt ebenfalls eine Fülle an männlichen Figuren hervor, die scheinbar zu 90% alleine die Weltgeschichte bestimmt haben. Unsere Sprache bildet in vielen Fällen vornehmlich den Maskulinus ab: Wir sprechen also vom »Pilotenstreik«, den »Astronauten« und der »Zahnärztekammer«, meinen aber selbstverständlich auch Frauen damit. Zwar gibt es dazu eine insbesondere in Deutschland starke Gegenbewegung, die mithilfe von Sternchen, Großbuchstaben und dem althergebrachten »innen« versucht, diese fehlende Sichtbarkeit der Nicht-Norm zu verändern, aber so richtig durchgesetzt hat sich das alles noch nicht.
Was bedeutet das für Impro? Für die Szenen, die gespielt werden, aber auch für die Sichtbarkeit von Frauen ab dem ersten, ganz simplen Moment: Wieviele Frauen sind auf der Bühne zu finden, und was stellen sie dar? Welche Geschichte(n) werden erzählt, und wie kann man das beeinflussen, wenn doch gilt: »Folge dem ersten Impuls«?
Assoziationen basieren auf dem, was wir kennen, und bei einer schnellen Assoziationskette dominieren gerne die tief verankerten Rollenbilder, die wir über Jahre immer wieder vorgelebt und vorgelesen bekommen haben: die Frau als Mutter, die Frau als Tochter, die Frau als fürsorgende Person, die Frau als zickige, zänkische Störerin. Ob es eine Rollenzuweisung von einem männlichen Mitspieler ist oder eine selbstgewählte Definition – denn auch Frauen haben den Brain wash in sich - diese Muster wiederholen sich und setzen sich gerne erstmal durch, weil sie tief verinnerlicht sind. Historische Szenen, die zu Zeiten Bismarcks spielen, kommen ganz ohne Irritation auch gut ohne starke Frauenfiguren aus. Weil wir die Geschichte dieser Frauen nie gehört haben. Aber muss das so bleiben? Um es zu durchbrechen, ist eine Bewusstheit nötig, die sich üben lässt. Reflektion, Diskussion, Aktion.
In meiner Erfahrung, findet dieses Reflektieren und Diskutieren noch nicht genug Platz. Und auch aufgeklärten, emanzipierten Frauen, die sich selbst nicht als unterdrückt empfinden, passiert es immer wieder, dass sie sich in einer Szene oder einem Charakter wiederfinden, die alte Muster repetieren. Auch hier fühlen sich viele Männer erstmal attackiert und zu Unrecht unter Beschuss, wenn Frauen ihre Gleichberechtigung auf sprachlicher oder szenischer Ebene zum Thema machen. Frauen stecken teilweise lieber zurück, weil sie nicht mit dem »bösen F-Wort« in Verbindung gebracht werden wollen, als die mitunter sexistische Szenenführung von Männern UND Frauen anzusprechen. Aber ohne Diskussion geht es nicht, ohne aktiv weiterzudenken und sich anderen Assoziationen zu öffnen lassen sich Muster nur im Schneckentempo verändern.
Vor 100 Jahren erhielten Frauen in Deutschland das Wahlrecht. Es gibt noch viel zu tun. In diesem Monat vielleicht mit einem Gespräch, wie auch in Impro-Shows bewusst mehr gleichberechtigte Frauen-Figuren Platz finden können. Mit der Frage an Spielkollegen, »wie nehmt ihr das eigentlich wahr?« Oder mit einem Brainstorming, welche Beziehungen es zwischen Frauen noch gibt, welche Berufe mal eine interessante Alternative wären, welche Orte vielleicht besonders prädestiniert für starke Frauen-Begegnungen. Reflektion, Diskussion, Aktion. Und los!
Am 12.11. spielen um 19.30 Uhr zur Feier von »100 Jahre Wahlrecht für Frauen« deutschlandweit
163 Komikerinnen an 28 Spielorten. Die Gorilla-Ladies haben sich mit den Rixdorfer Perlen zusammengetan und rocken den Abend. Karten für »Sisters of Comedy« hier.
Bei der IMPRO 2019 gibt es einen Workshop nur für »female identifying improvisers«, die sich genau mit dem Thema befasst: Welche Räume können Frauen* sich in der Improvisation miteinander eröffnen: www.improfestival.de – BIF Days: Creating Space Through Playing.
geschrieben von Leon Düvel
Der Herbst ist da, endlich! Die Blätter fallen - die Pilze wachsen. Das Eine geht, das Andere kommt. Dramatik und Dramaturgie entstehen nur durch Veränderung. Durch Wandel, Wechsel und Widerstände. Veränderung braucht aber als Gegenpol Beständigkeit. Yin und Yang. In der Impro-Szene müssen wir also erst mal etwas Klares etablieren, um es überhaupt wandeln zu können. Das bedeutet: starke Angebote machen. Definieren: Wer bin ich, wer bist du, wie ist unsere Beziehung?
Was kann alles verändert werden? Die Geschwindigkeit, die Lautstärke, die Gefühle, die Energie.
Eins bedingt das Andere. Durch ein neues Gefühl fange ich an, langsamer zu sprechen. Mehr Energie des Kollegen bringt mich dazu, schneller zu handeln. Eine leise Stimme lässt mich melancholisch werden...
Es geht darum, die Energie der Veränderung langsam bis zum Maximum zu steigern, um dann zu wissen, wo ein Ende oder weiterer Wechsel ansteht. Oder einfach ein Ruhepol. Also auch hier wieder Klarheit. Beständigkeit (ausbreiten) – Veränderung (Handlung voran bringen). Ein Musiker kann diesen Wandel gut unterstützen und auch lenken. An dieser Stelle möchte ich den Impro-Kollegen Eugen Gerein lobend erwähnen, der mit uns Gorillas diese Energiearbeit exzellent voran getrieben hat.
Im Grunde geht es auch um die ewige Polarität des Lebens: Krieg und Frieden, Liebe und Hass, Obst und Gemüse. Ja, ich möchte nicht zu pathetisch werden, denn Veränderung heißt auch Spaß am Spiel. Lust auf Widerstände und eben nicht fest kleben. Nicht an Ideen hängen. Nicht weiter wissen. Ach wie schön ist Panama.
Wenn ihr also demnächst im Wald einen Pilz findet, wisset, dass er vor einer Woche noch nicht da stand. Wenn euch ein Blatt des Ahornbaumes über die Stirn weht, sehet und freut euch über die neue Jahreszeit. Und wenn euch eure Vermieterin die Wohnung kündigt, merket, es ist Zeit zu handeln.
Leon betreut und koordiniert die Trainings-Anfragen im Businessbereich und unterrichtet die Abendklasse Montag Fortgeschrittene (29.10.-17.12.), die Abendklasse Dienstag Anfänger (30.10.-18.12.) und das Schnupper-Wochenende November (10.+11.11.).
geschrieben von Billa Christe
Ich finde, wir müssen mehr aus uns heraus schöpfen, mit Leichtigkeit. Mehr das Gelebte auf die Bühne bringen. Mit Leichtigkeit. Jeden Tag stehen wir Herausforderungen gegenüber, die wir mehr oder weniger gut meistern. Der Alltag mit seinen großen und kleinen Herausforderungen kann Inspiration sein für dich und deine/n Spielpartner/in. Das Publikum fühlt sich abgeholt und du gibst authentisch das Gefühl wieder. Ich finde es immer schön, wenn sowas mit auf die Bühne genommen wird. Ja, mit auf die Bühne. Wir sind Volkstheater. Wir spiegeln das Volk!
Komm doch mal mit einer Idee auf die Bühne (ich weiß, ihr habt immer gehört, mit keiner Idee auf die Bühne zu kommen). Jetzt heißt es »Impro 2.0«. Ich lass' mich dennoch auf die Idee meiner Partnerin ein, aber trotzdem hab ich was im Kopf. Etwas was mich gerade beschäftigt. Und wenn meine Idee nur »geparkt« ist, hol' sie raus, wenn sie gebraucht wird.
Und das versuche ich irgendwie in die Szene mit einwirken zu lassen, mal subtil, mal ganz offensichtlich. Je nachdem wie es passt. Ein Beispiel: Ihr bekommt »Strand« vom Publikum, dein/e Spielpartner/in kommt auf die Bühne: »Schatz, bringst du mal die Sonnencreme mit?«
So jetzt aufgepasst! Du bist definiert, aber das Thema, das ihr verhandelt, ist noch völlig offen.
Warum nicht dein Thema reinbringen, das, was dich gerade beschäftigt oder in deinem Freundeskreis gerade heftig diskutiert wird. Zum Beispiel: Du bereitest dich gerade auf den Auszug deines Kindes vor und das belastet dich doch sehr.
Ganz klar, dass du jetzt vielleicht im Laufe der Szene das Thema mit einbringst. Und aus einer »langweiligen« Strandszene wird eine Szene, die für dich und für das Publikum relevant ist.
Relevant. Was hat für dich Relevanz? Was ist dir wichtig? Nur du kannst das beantworten. Ist doch schön, mal darüber nachzudenken.
Natürlich müssen wir Mörderinnen und all das spielen, aber selbst da finde ich es toll, etwas von sich mit reinzubringen. Das kann ja auch sein, dass du zum Beispiel gerade aufgehört hast zu rauchen (Anm. d. Red.: Die Verfasserin des Textes raucht seit 4 Monaten nicht mehr!) und dass sich das auf dein Mordverhalten auswirkt.
Nimm es persönlich, nichts ist spannender als das wahre Leben.
In diesem Sinne, jetzt muss ich mal eine rauchen, weil ich wirklich vergessen hatte diesen Text zu schreiben für den »Fokus September« und ein bisschen Stress deshalb hatte. Apropos »aus uns heraus schöpfen…«
Ach, Quatsch, hab' ja aufgehört.
geschrieben von Karin Werner
Das Erarbeiten von Figuren fehlt mir manchmal in der Improvisation, da wirklich genau zu werden. Beim Impro habe ich allerdings die Chance auf viele verschiedene Charaktere. Trotzdem würde ich behaupten, da schleichen sich die zwei, drei Lieblingsvarianten ein, die gerade wenn das Spiel sehr temporeich ist, immer wieder auftauchen. Manchmal hätte ich gerne mehr Zeit, würde auch anderen mehr Zeit geben wollen, eine Figur zu entwickeln, nicht in jeder Szene, aber zwischendurch. Oder ist es doch die Herausforderung sehr schnell einen Charakter zu behaupten? Schaffe ich das auch mit leisen Figuren? Nehme ich mir die Freiheit, wirklich Neues zu probieren?
In den Kursen fordere ich dazu auf, zu beobachten und das, was man da wahrnimmt, mit auf die Bühne zu nehmen. Ich finde es großartig, wenn dann Charaktere entstehen. Und wenn dann noch der Mut zum Übertreiben, richtig »rumspinnen« aufgebracht wird, finde ich es perfekt.
So, nichts wie raus, beobachten, behalten, auf die Bühne mitnehmen und mal wieder jemand gaaaaanz anderes sein.
geschrieben von Christoph Jungmann
geschrieben von Thomas Chemnitz
Beim Impro bin ich Schauspieler, Autor und Regisseur in einer Person. Wie toll für mein Ego! Und wie schrecklich für meine Mitspieler – wenn ich es nicht schaffe, mein Ego in den Dienst zu stellen: Ich diene der Geschichte. Ich diene dem, was der Moment gerade verlangt. Ich diene meinen Mitspielern. Es gibt diese Impro-Weisheit: Messe deinen Erfolg beim Impro daran, wie gerne deine Mitspieler mit dir zusammen auf der Bühne sind. Das trifft es meiner Meinung nach. Denn keiner ist gern mit einem Spieler zusammen auf der Impro-Bühne, der ständig seine tollen Ideen durchdrücken will, ohne Gefühl für das was die Geschichte und die Mitspieler gerade brauchen. Dagegen freut man sich sehr über einen Mitspieler, der die Szene, die Geschichte und den von mir gespielten Charakter durch seine Ideen stärkt und voranbringt.
Vorantreiben und Ausbreiten, Hochstatus und Tiefstatus, große Gefühle und stille Momente – gutes (Impro) Theater braucht immer beides. Gutes Leben auch.
Vielleicht legt ihr in diesem Monat euren persönlichen Fokus mal auf die Seite, mit der ihr eher Schwierigkeiten habt. Ich wünsche euch viel Spaß dabei!
geschrieben von Luise Schnittert
Den Fokus des Monats möchte ich meinem guten Freund Kim Clark widmen. Im Jahr 2011 wurden wir Gorillas eingeladen beim Improvisationsfestival in Chicago teilzunehmen. Zu viert ging es los (Robert, Tom, Felix und ich). In Chicago wurden wir von David Fink begrüßt, unserem Gastgeber während der Zeit und, wie sich später herausstellte, Kim Clark’s Freund. Wir wohnten sehr zentral in Chicago in einem Haus und hatten eine wunderbare Zeit dort. Kim und David waren hervorragende Gastgeber und zudem echte Kenner und Liebhaber von Impro und Kunst generell. Zusammen gründeten sie ein eigenes Theater in Three Oaks, Michigan, namens »Acorn Theater« und waren überall in der Kunstszene in Chicago unterwegs. Hinzu kam, dass sie die nettesten, großzügigsten und witzigsten Menschen waren, die mir seit langem begegnet waren. Die Zeit verging sehr schnell. Wir durften während des Festivals 2x auftreten und nach einer Woche, war es schon vorbei. Wir wurden sehr herzlich empfangen - überall hieß es nur »awesome«, »your amazing«, »I loved your show!«. Ich war ein ziemlicher Impro-Anfänger und überwältigt von den ganzen Eindrücken. Es passiert nicht alle Tage, dass man in IO (Improv Olympics) auftreten kann. In unserer Freizeit versuchte ich Jazzclubs ausfindig zu machen und landete im spannendsten und besten Club, den ich je erlebt hatte: Green Mill. Im Rausch der musikalischen und theatralischen Eindrücke wusste ich, ich will zurück. Im Jahr 2013 war es dann soweit und ich entschied mich für drei Monate nach Chicago zu gehen (länger darf man ja nicht ohne Arbeits-Visum). Ich fragte Kim und David ob ich ihre Erdgeschoss- Wohnung mieten durfte, aber dort wohnte bereits ein Student, so boten sie mir ihre Bibliothek an. Für umsonst. Dort wurde das Schlafsofa aufgestellt und ich durfte bleiben, so lange wie ich wollte.
So begannen drei aufregende Monate in Chicago, zu Gast bei David und Kim. Ich war viel unterwegs: Impro-Mashups, Shows, Classes, Open Stages usw... David war hauptsächlich zuständig für das »Acorn Theater«, während Kim an der DePaul University »Writing« unterrichtete und an seinem Fernsehprojekt »Big Questions« arbeitete. Dieses Projekt brachte ihm einen Emmy ein, welches eine der unzähligen Dinge ist, die er gemacht und erreicht hat. Ich selbst staune gerade, was ich in seinem Wikipedia Eintrag lese, ich kann nicht fassen - I had no idea!
Zum Beispiel war er der Chef des »Writings-Programs« bei Second City und wurde später mit zwei anderen wie folgt von der »Chicago Sun« betitelt: »Second City Improv Comedy Legends«.
Während der drei Monate ging ich durch einige Täler. Mitunter ging mir Impro manchmal echt auf die Nerven, überall wurde man mit »have fun!« angebrüllt und der Druck witzig und schnell zu sein, wurde mir zuviel. Ich fühlte mich wie eine lahme Ente und wollte doch eigentlich Schauspielerin sein. Second City war eine Impro-Maschinerie mit tausenden Stundenten, Klassen und Shows. Wie eine große Universität und mit nichts zu vergleichen, was es hier in Deutschland gibt. Jeder Mensch in den USA schien einen Kurs zu belegen, erst recht die Schauspieler und Comedians, die es zu etwas bringen wollten. Impro wird oder wurde in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, Schiller und Goethe, sehr belächelt und als niedere Kunstform abgetan. In den USA ist sie DAS Sprungbrett für jeden der in die Entertainment-Branche möchte.
Für gewöhnlich stand ich morgens mit Kim auf und während er Kuchen zum Frühstück aß, war er schon bester Laune und plauderte fröhlich von all seinen Projekten und besonders darüber, wie sehr er es liebte zu unterrichten. Es war immer lustig und spannend sich mit ihm zu unterhalten und ich mochte unsere Gespräche sehr. Als ich mal wieder bedröppelt von einer Open Stage wiederkam, sagte er nur: »Luise, if you don’t think improv is funny then you’re a professional«. Er wusste immer mich aufzumuntern.
Irgendwann entdeckte ich kleinere Schulen und Theater und belegte andere Kurse. Ich lernte bei Jimmy Carrane: The Art Of Slow Comedy und fühlte mich mehr und mehr zu Hause. Ich ging zu Castings und bald musste ich entscheiden, ob ich, wie geplant, zurück fliegen wollte oder den Versuch starten wollte, ein Artist Visa zu beantragen. Ich flog zurück. Diese drei Monate haben mich sehr geprägt. Was die Amerikaner wirklich können ist »Yes, and« sagen. Die Impro-Regel Nummer eins. Die positive Energie und Motivation an Dinge heran zu gehen, ist faszinierend. Kim war einer der besten darin. Er hat es verstanden auf höchstem Niveau kreativ zu sein, die Fähigkeiten der anderen zu fördern, zu befruchten, immer weiter zu denken und das Leben von der positiven Seite zu sehen. Es bedeutet eben auch, zu den schwierigen Schlägen des Lebens »Yes, and« zu sagen und so immer in Bewegung zu sein. Ich denke oft an ihn, auf der Bühne und beim Unterrichten.
Letzten Samstag, am 21.04.2018 ist Kim gestorben. Mich hat es wie ein Schlag getroffen und komplett überrascht. Ich bin tief traurig und dennoch so voller Dankbarkeit, eine kurze Zeit Teil seines Lebens gewesen zu sein. Mein Fokus des Monats bist du, Kim, I miss you!
Luise unterrichtet vom 7.5. bis 2.7. zusammen mit Michael die Abendklasse Fortgeschrittene.
geschrieben von Lutz Albrecht
Schweiß rinnt dir den Nacken runter, Schwindel übernimmt die Kontrolle deiner Knie, dein Herz klopft, dein Brustkorb wird eng und verschnürt dir den Atem.
Flucht oder Angriff?
Mehr oder weniger kennen wir alle dieses Gefühl, wenn wir uns kurz vor einem Auftritt oder zu Beginn eines solchen befinden. Es kommt darauf an wie hoch das Fieber ist. Haben wir leicht erhöhte Temperatur, dann schenkt uns das Lampenfieber eine verstärkte Präsenz, eine erfrischende Wachheit, eine kräftige Konzentration und ein knackiges Reaktionsvermögen. Ist das Fieber allerdings hoch, dann leiden wir an Symptomen wie Zittern, Anspannung, Erröten, körperlicher und emotionaler Beklemmung, Konzentrationsmangel und Vergesslichkeit. Diese Symptome hindern uns, mit Leichtigkeit, achtsam, fokussiert und Ensemble orientiert zu spielen.
Was also tun, wenn das Fieber zu hoch steigt und eventuell sogar in Angst mündet?
Um Maßnahmen gegen zu hohes Lampenfieber oder die Angst einzuleiten, lohnt es sich zu verstehen, womit wir es zu tun haben. In gefährlichen Situationen schießt uns blitzartig, evolutionsbedingt, Adrenalin und Noradrenalin ins Blut, um uns auf Flucht oder Angriff vorzubereiten – um zu überleben. U.a. steigt der Blutdruck, die Muskeln werden stark durchblutet, um fliehen oder kämpfen zu können. Das passiert alles sehr schnell und automatisch (wenn man erst minutenlang überlegt hätte, ob der Säbelzahntiger gefährlich ist oder nicht, hätte er einen schon längst aufgefressen). Können wir das Adrenalin und Noradrenalin nicht durch körperliche Bewegung abbauen, dann bleiben wir im Alarmzustand und leiden an den oben genannten Symptomen.
Aber ist ein Bühnenauftritt eine gefährliche Situation? Auf jeden Fall keine lebensgefährliche. Warum bekommen dann aber einige Darsteller dieses hohe Fieber?
Lampenfieber ist mit der Erwartung verknüpft, dass die Qualität des Auftritts vom Publikum und eventuell auch von den Kollegen negativ beurteilt wird. Der Übergang zur Prüfungsangst ist fließend. Gedanken wie: »Wenn das Publikum und meine Kollegen mich negativ beurteilen, werde ich dann noch angefragt? Wenn ich nicht mehr angefragt werde, woher bekomme ich dann meine Jobs, mein Einkommen. Wie werde ich meine Miete zahlen…« Wenn sich die Gedanken derart katastrophisierend hochschaukeln, kann es (in Gedanken) schon existentiell werden.
D.h. ich habe negative Gedanken kurz vor dem Auftritt oder eine negative Grundhaltung an sich, wenn ich davon ausgehe, dass die Zuschauer/meine Kollegen meine Leistung schlecht bewerten werden. Glaubenssätze, wie z.B. »ich kann das nicht«, »ich bin nicht gut genug« oder »die anderen sind besser« etc. sitzen sehr tief und können das Fieber auslösen.
Diese Mantras, die wir entweder schon während unserer Kindheit eingeimpft bekommen oder uns selber zugelegt haben, kann man nicht so einfach über Bord werfen.
Was können wir also tun?
Als erstes hilft schon mal zu akzeptieren, dass wir Lampenfieber haben. Verdrängung hilft bei Ängsten nicht, aber sich ihnen stellen schon. Durch Bewegung können wir das Adrenalin und Noradrenalin abbauen. D.h. ein körperliches warm-up hilft sofort. Wir können uns zusätzlich auch durch positive Gedanken etwas beruhigen und unserem inneren Zensor Paroli bieten: »Ich habe Lust auf den Auftritt. Warum sollte der Auftritt schief gehen?«, »Es bereitet den Zuschauern Freude, einen Spieler beim Impro scheitern oder straucheln zu sehen. Was also soll passieren?«, »Ich bin nicht allein. Wir sind ein Team.«, »I’m so sexy!«
Wir können auch unsere vom Fieber ergriffenen Kollegen durch Zuwendung beruhigen: »Du bist doch ein guter Improspieler.« Oder wir atmen einen schönen Duft ein, z.B. Lavendel. Der Geruchssinn hat einen direkten Draht zur Amygdala (Mandelkern), der Gehirnregion, die stark an der Vermittlung von Gefühlen beteiligt ist. Oder wir lenken uns ab, z.B. durch warm-up spiele.
Langfristig gesehen habe ich die Möglichkeit, meine negativen Glaubenssätze umzuprogrammieren: »Ich kann das«, »ich bin toll« oder »ich bin zuversichtlich«. Ich kann mir nach und nach eine andere Haltung aneignen, mich selber umkonditionieren: tolerant mit Fehlern und Schwächen umgehen - mit den eigenen und denen der anderen. Den Leistungsanspruch runterschrauben usw.
Wir sind dem Lampenfieber oder der Angst also keinesfalls hilflos ausgeliefert.
»An sich ist nichts weder gut noch böse. Das Denken macht es erst dazu«. (Shakespeare)
Lampenfieber und Angst kommen schnell, aber Impro ist schneller – ätsch! (Lutz Albrecht)
Lutz Albrecht unterrichtet bis zum 30.4. die Abendklasse Anfänger Montags und ist auch als Gastspieler für die Gorillas auf der Bühne zu sehen.
geschrieben von Maja Dekleva Lapajne
Wenn im März der Winter so langsam zu Ende geht, ist es Zeit für ein Event, das zu meinen liebsten und für mich einflussreichsten gehört - für meine Arbeit und mein Leben überhaupt: das internationale Festival für Improvisationstheater in Berlin.
Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, als ich 2003 zum ersten Mal ankam und zwei sehr nette, aber merkwürdige Männer mit Hüten auf dem Kopf uns am Ostbahnhof abholten; wie ich mit offenem Mund bei den Shows zusah und spielte und wie mein Herz schneller schlug vor Freude; wie ich eigentlich nicht ins Bett gehen wollte, um keinen einzigen Moment zu verpassen mit diesen unglaublichen Künstlern; wie ich lange Diskussionen führte und Unmengen an Alkohol trank, wie ich endlos feierte; wie ich von zahllosen möglichen Entwicklungen dieser Kunstform träumte und wie ich daran zu glauben wagte, dass Theater spielen mein Beruf werden könnte; wie stolz ich auf mein Land war und darauf, es auf der Bühne zu repräsentieren; wie wir uns darauf freuten, der EU beizutreten; wie ich Salat mit Balsamicoessig aß und rohe Champignons und nachts Steinofen-Pizza; wie ich Spaß daran hatte, gegen das Bombardement der USA im Irak zu protestieren; wie ich daran glaubte, dass Impro-Prinzipien die Welt ändern können.
Jetzt bin ich älter. Ich muss mehr schlafen, ich stecke lange Nächte nicht mehr so leicht weg und ich bin nach zwei Gläsern Wein betrunken. Es ist nicht mehr so leicht für mich, Improshows anzusehen, oft bin ich gelangweilt oder frustriert. Manchmal werde ich ärgerlich, wie wir Improspieler*innen in Konventionen verfallen, zu denen uns keiner zwingt. Ich frage mich, wie ist es möglich, dass alles gleich aussieht, obwohl es improvisiert ist. Stolz gehört nicht mehr zu den Emotionen, die mich überkommen, wenn ich an mein Land denke. Die soziale, politische und ökonomische Situation ist nicht besser als 2003. Ich protestiere immer noch, aber nicht mehr mit Freude, sondern verzweifelt. Die Ungerechtigkeiten innerhalb der EU werden immer größer, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit nehmen zu, internationale Konzerne gewinnen Macht über Regierungen, wir haben uns mit der »Freiheit« arrangiert, billige Produkte zu kaufen, unter deren Herstellungsbedingungen der Rest der Welt leiden muss. Slowenien hat einen rasiermesserscharfen Zaun an der Grenze zu Kroatien gebaut, der eine blutige Linie durch eine Gegend gezogen hat, die früher mal ein Land war. Und so bin ich weder so optimistisch noch so enthusiastisch wie vor 15 Jahren. Und was am traurigsten ist: Ich glaube nicht mehr daran, dass Impro-Prinzipien die Welt retten können.
Aber! Impro ist immer noch meine größte Leidenschaft und mein wichtigstes Forschungsfeld. Und ich liebe die »Impro-community« - Künstler, Publikum, Lehrer, Schüler, Theoretiker, Kritiker - alle Liebhaber dieser unglaublichen Kunstform. Und ich freue mich auf das Festival, das wir (und wie schön, dass ich sagen kann: wir) in diesem Jahr Our Lives nennen. Menschen aus allen 28 EU-Ländern werden sich treffen, gemeinsam Theater spielen, diskutieren, Party feiern, sich verlieben, streiten, austauschen und gemeinsam kreativ sein. Im Gegensatz zu »Meinem Leben«, das dominiert wird von Selfies und persönlichem Fortkommen, individuellem Erfolg und dem Streben nach Geld, liegt unser Fokus auf der Suche nach einer lebendigen Gesellschaft, die sich untereinander versteht und zusammen arbeitet.
Im Gegensatz zu »unserem Leben«, das eine Uniformität impliziert, liegt unser Fokus auf unserer Unterschiedlichkeit, im Gegensatz zu »Leben«, wo wir uns mit allgemeinen Lebensläufen beschäftigen bzw. eine starke Distanz zum Recherchierten einnehmen, beschäftigen wir uns hier mit konkreten Leben - nämlich den unseren. Durch die Kunst können wir keine sozialen Umwälzungen bewirken, aber wir können gemeinsamer Kreativität einen Raum geben - einen Raum, in dem wir überleben können und dabei sogar eine gute Zeit haben. Wir entwickeln kleine, aber wichtige Modelle der Zusammenarbeit, der gemeinsamen Kreativität und Verbundenheit.
Im März, wenn der Winter langsam zu Ende geht, sollten wir uns treffen. Und wer weiß, vielleicht kommt der Frühling dann schneller.
Maja vom Kolektiv Narobov aus Ljubljana (Slowenien) ist künstlerische Leiterin des zweijährigen Projekts Our Lives, das wir Gorillas momentan gemeinsam mit drei anderen europäischen Ensembles produzieren.
geschrieben von Karin Werner
Ich hatte neulich einen Workshop, in dem es an diesem Abend unter anderem darum ging, zu dritt von einem Ereignis aus der eigenen Perspektive und in einer vorgegebenen Emotion zu erzählen. Die Vereinbarung war auch, dass sich das Gefühl zum Ende hin steigert und die Erzählung mit einer hohen Energie endet. Ähnlich also einer Runde beim »Großen 7«.
Es ist gar nicht so leicht, Emotionen auf der Bühne herzustellen und dann auch noch gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Nach einem eher zögerlichen Anfang legte eine Teilnehmerin so richtig los, erzählte sehr emotional und direkt ins Publikum, woraufhin die anderen fassungslos und sehr beeindruckt zuhörten. Nach einer gefühlt sehr langen Pause zogen sie dann nach. Es endete laut und turbulent.
Auch mich hat dieser plötzliche emotionale Einstieg in die Geschichte positiv überrascht und die beeindruckten Gesichter der anderen ebenso und die Kraft, die das Ganze hatte.
Ich denke, man sollte nicht das Ziel haben, irgendwen zu beeindrucken. Das geht schief. Sich beeindrucken lassen wiederum ist eine coole Sache. Solange das nicht lähmend ist. Gegen den Gedanken »Das schaffe ich nie«, sich von dieser Energie mitreißen lassen und selber was Neues wagen. Das isses.
Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, mich öfter mal wieder beeindrucken zu lassen, sei es von Workshopteilnehmern oder Kollegen und das dann auch zu verbalisieren.
Karin ist regelmäßig im Potsdamer Waschhaus mit den Gorillas auf der Bühne und unterrichtet dort das Schnupperwochenende am 17.+18.2. sowie die Abendklasse mittwochs für Anfänger und Fortgeschrittene vom 7.3. bis 25.4.
geschrieben von Björn Harras
Viele Sachen haben auf einer Impro-Bühne Platz. Sei es ein Flug durchs Weltall oder eine düstere Familienszene im Keller. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aber das ist oft leichter gesagt als getan.
Viele Szenen spielen in einer recht überschaubaren Welt. Der Vater, der Liebhaber, die Frau und Mutter oder das Geschwisterpaar sind Szenen, die jeder kennt. Dann kommt noch dazu, dass der eine die andere liebt und der liebt dann noch jemand anderen und fertig ist die Standardszene.
So weit – so langweilig.
Wie schaffen wir es also, unsere Fantasie zu erweitern? Wie schaffen wir es, aufregendere Szenen zu spielen? Wie schaffen wir es, über unsere Grenzen hinauszugehen?
Wir müssen uns einfach nur trauen. Wir müssen uns trauen, unsere eigene beschränkte Welt zu verlassen und uns mitten ins Abenteuer zu stürzen. Auch mal Angebote zu machen, die im ersten Moment nicht zur Szene passen.
Standardszene zwischen Mann und Frau? - Offenbare ihm, dass du eine unglaubliche Entdeckung gemacht hast und fliege mit ihm nach Südamerika und erlebe ein Abenteuer im Dschungel mit Eingeborenen und einem versteckten Schatz.
Denn Veränderungen sind der Motor jeder Szene. Wenn sich nichts verändert, bleibt sie so wie sie ist und sie läuft sich früher oder später fest. Denkt auch mal quer und versucht euch nicht zu zensieren. Diese Stimme im Kopf kennt doch fast jeder: »Ob ich das jetzt machen kann?« - JA KANNST DU!
In den heiligen Hallen unserer Improschule könnt ihr alles ausprobieren. Seid wütend, verletzlich, Astronauten und Piraten, winzig klein oder ein angelutschter Stift im Mantel des Weihnachtsmanns.
Traut euch! - Es kann euch nichts passieren.
2017
geschrieben von Lee White
Manche Lehrer versuchen Anfänger von tragischen Momenten wegzulenken. Sie sagen immer: „Bleib positiv! Suche ein positives Ende!“ Selbst ich sage Schülern, dass man sich mit tragischen Geschichten in schwieriges Fahrwasser begibt.
Wir brauchen tragische Momente in unseren improvisierten Geschichten. Diese ganze Positivität kann ein bisschen zu viel werden. Eine gute Show sollte ausgeglichen sein und eine Palette an Gefühlsmomenten haben. Trauriges und Tragisches gehört dazu. Also: Lasst uns über die Tragödie reden.
In diesem Wort steckt sehr viel. Im Storytelling gibt es viele verschiedene Ansätze dazu. In Improshows erlebe ich oft, dass für das Tragische wenig Fantasie verwendet wird.
Manche Improspieler glauben, dass es komisch ist, einer Szene ein trauriges oder tragisches Ende zu geben. Dass das Paar sich am Ende scheiden lässt oder einer den anderen umbringt, macht die Szene aber nicht gleich zur Tragödie – oder umgekehrt zur Komödie. Ein Charakter, der plötzlich zum Arschloch wird oder irgendetwas macht, das gar nicht zu ihm passt, nur um eine Reaktion zu bekommen oder um die Geschichte tragisch enden zu lassen, bringt es auch nicht. Ein trauriges Ende macht eine Story nicht zu einer guten Tragödie.
Im Leben passieren chaotische und zufällige Dinge, ohne ersichtlichen Sinn oder Grund. Manche zeigen das gerne in Szenen. Ich denke aber, dass dies eine bekannte Tatsache ist. Wir erleben sie tagtäglich. Warum sollte man es also zeigen? Wenn wir zeigen, dass das Leben ohne Grund grausam ist, dann müssen wir Menschen zeigen, die dies überleben können und dass das Leben trotzdem weitergeht.
Es kann funktionieren oder sogar gut sein, mit einem tragischen Akkord zu enden. Aber ihr solltet wissen, warum ihr eine Geschichte erzählt, die mit dem Schlussgedanken »Schlimme Dinge passieren im Leben« endet. Einfach so mit dem tragischen Moment aufzuhören, hinterlässt ein Publikum ohne viel Hoffnung und auf einen sorgenvollen Weg nach Hause.
Für mich als Zuschauer gibt es ein Element, das ich brauche, um mich am Ende einer tragischen Geschichte gut zu fühlen (Ja, ich möchte mich gerne gut fühlen nach einer Tragödie. Meine Mama sagte immer, wenn sie nach einer traurigen Show heulte: »Es geht doch nichts über ein paar gute Tränen.«)
Eine gute Tragödie sollte uns etwas vermitteln. Die Zuschauer müssen mitbekommen, wo der Protagonist, der nun so leidet, etwas falsch gemacht hat. Zeigt, was falsch gelaufen ist! Dann können wir die Lektion erkennen, die uns hoffentlich eine Erkenntnis über uns bringt, über unsere gemeinsame Existenz auf diesem Planeten. Die Zuschauer sollten Hinweise bekommen, wie sie es vermeiden können, die gleichen Fehler zu begehen wie der tragische Held. Vielleicht denken sie dann über ihre Vergangenheit nach und verändern ihre Zukunft. Für mich ist der Gedanke wichtig, dass die Zuschauer aus den Geschichten, die wir auf der Bühne erfinden, etwas lernen sollten. Aber auch nicht immer.
Bei einer Tragödie halte ich es für entscheidend, dass die Zuschauer mit etwas nach Hause gehen. Wenn es nicht Hoffnung im Leben ist, dann eine Lektion oder ein Gedanke, der eine neue Perspektive gibt. Was wir von Charakteren aus Geschichten lernen, leitet uns durch unser alltägliches Leben. Eine große Tragödie kann die Zukunft der Zuschauer verändern.
Lee White ist ein Kanadischer Improspieler, der seit einiger Zeit in Berlin lebt. Als eine Hälfte des Duos CRUMBS war er regelmäßiger Gast des jährlichen Improfestivals IMPRO. Lee unterrichtet das Taster Weekend am 2.+3.12. und die Abendklasse für Anfänger/Fortgeschrittene auf englisch vom 7.3. bis 25.4.
Liebe Fokus des Monats-Leser, übermorgen ist Abgabetermin für meinen Fokus des Monats. Ohje! Ich habe noch NICHTS, noch nicht mal eine Idee über was ich schreiben soll und eigentlich auch überhaupt keine Zeit mehr, da ich sowohl abends als auch tagsüber spiele, probe, unterrichte. Ich habe es lange vorher gewusst und -wie es so ist- immer wieder vor mir hergeschoben. Jetzt hab ich den Salat. Ich bin völlig überfordert! Ok. Wie war das noch mit den Impro-Tools? Ich nehme das was ist an. Sage ja zu dem was ist. So war das doch... Also - was ist? Ich bin überfordert. Das habe ich so Ramona gesagt, Hüterin der Fokusse des Monats und ihre Antwort war: »Dann schreib was Unperfektes. Schreib über Überforderung.« Sie traf den Nagel auf den Kopf. Hier ist er also, mein Fokus des Monats:
Überfordert sein
geschrieben von Konstanze Kromer
1. Mach deine vermeintliche Überforderung öffentlich oder
2. Nimm die Überforderung als Angebot.
Wie sehr haben wir Angst davor, mal nicht weiter zu wissen in einer Szene. Blockiert zu sein, keine Ahnung zu haben was da gerade passiert. Keine Idee zu haben...oh Gott!
»Dann mach es öffentlich«, sag ich. Sage einfach »Stopp«, wende Dich ans Publikum und frage z.B. »Wer ist er - mein Vater oder der Lehrer? Ich steh grad auf dem Schlauch.« Das Publikum weiß es und wird Dich lieben für Deine Offenheit.
Gerade letztens hatten wir das wieder bei einer Show. Es war alles völlig krude und kompliziert geworden, wir sahen nicht mehr durch und wir konnten das auch nicht szenisch klären. Da haben wir es einfach öffentlich gemacht. Haben das Publikum involviert, befragt und - Zack - war alles klar und wir konnten entspannt und lustvoll weiterspielen. Danke Publikum! Es ist unglaublich entlastend zu wissen, dass man das zur Not immer machen kann. Du musst nix verstecken, aushalten oder durchboxen. Zur Not eben: Öffentlich machen. So wie ich jetzt: Hilfe, ich bin überfordert mit diesem Fokusschreiben!
Die zweite Erkenntnis:
Alles ist ein Angebot. Stehst Du völlig verkrampft und schnappatmend auf der Szene: Dann ist deine Figur eben z.B. ein verkrampfter Tiefstatus, der gleich sein erstes Date seit 10 Jahren hat und nicht mehr in die Lieblingshose passt. Oder eine Frau, angeklagt als Hexe, die gerade furchtbar Angst vor der Folter hat und nicht weiß, wie ihr geschieht.... Whatever.
Selbst überfordert zu sein ist also ein Geschenk: Immerhin habe ich über das Öffentlich-Machen bei Ramona doch ein Fokusthema gefunden. Und hey, ich traue mich jetzt, einfach einen knappen unperfekten Text rauszuhauen. Danke Ramona!
Kleiner Tipp noch zuletzt:
Warte nicht im Unterricht, bis Du ran MUSST. So wie ich jetzt mit dem Fokusschreiben. Schmeiß dich einfach gleich rein in die Szene, auch wenn Du denkst, Dir fällt nix ein. Du ersparst Dir den ganzen »Vorher-Stress«. Und hinterher geht's dir super.
Jump and the net will appear!
Konstanze unterrichtet mit Charme, Klarheit und weisem Blick ab Januar den Anfängerkurs am Dienstagabend.
geschrieben von Inbal Lori
Impro regt Veränderungen an. Wer improvisiert, der ist mit Handlungen beschäftigt. Auf der Bühne soll gehandelt werden! Unweigerlich verändert sich dadurch auch die Situation. Im besten Fall bewirkt jede Aktion meines Partners eine Veränderung in meinem Spielverhalten und vice versa - ein Ping Pong-Spiel, das ungewöhnlichste Verhaltensweisen hervorbringen kann.
Als systemische Therapeutin ist mein Ziel, Menschen die Möglichkeit zu bieten, Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Beim Impro versuchen wir alles, was da ist, miteinander zu verbinden - aufeinander zu beziehen. Und da ist der Schritt Impro und Therapie in meiner Arbeit zu verbinden, naheliegend.
Wie kann beides verknüpft werden kann und wo sind überhaupt Verbindungen?
Je mehr ich mich mit der systemischen Therapie beschäftigt habe, desto mehr Verbindungen fand ich. Ich bin überzeugt, dass meine intensive Beschäftigung mit Impro auch meine eigene therapeutische Haltung prägt. Viele Aspekte von Impro sind dabei für mich wichtig: akzeptieren der Vorstellungen der Spiel- /Gesprächspartner, wahrnehmen des ersten Impulses bei mir und meinem Partner, den Fokus auf die Interaktion zwischen den (Spiel-) Partnern richten, Vertrauen in das, was gerade entsteht, haben und flexibel auf das, was entsteht, reagieren und Ungewohntes zulassen.
Bei meiner Tätigkeit in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und in einer psychiatrischen Ambulanz konnte ich das Potential von Improübungen nutzen. Ein Highlight war für mich die Statusarbeit mit den Jugendlichen. Zu erleben, wie sich einige in der Impro selbst überrascht haben, als sie plötzlich völlig anders agierten als sonst und das dann auch von den anderen wahrgenommen wurde. Plötzlich ist es möglich, auch mal mit direktem Blick jemanden anzusehen, ein Gespräch zu dominieren. Dieser einfach schöne Moment, wo der- oder diejenige plötzlich erkennt: ah das kann ich auch!
Wie können diese Erfahrungen aus der spielerischen Situation auf den Alltag übertragen werden? Wie kann das verantwortungsvoll begleitet werden? Welche Übungen sind in welchen Situationen und bei welchen Schwierigkeiten besonders hilfreich? Diesen Fragen stelle ich mir bei meiner Arbeit, finde Wege und suche nach weiteren Möglichkeiten. Und ich suche - welch ein Glück - nicht alleine, denn noch jemand bei den Gorillas befasst sich mit dieser Verknüpfung und erprobt sie: Barbara, als Musiktherapeutin. Bei unserem ersten Fachtag in diesem Frühjahr konnten wir uns mit vielen interessierten Therapeuten austauschen. Und im Herbst folgt ein Netzwerktreffen!
Auch andere nutzen bereits Improvisationstheatermethoden im therapeutischen Kontext, so wie die Kollegen von Second City in Chicago, die für Menschen mit sozialen Ängsten zusammen mit einem Gesundheitszentrum Improworkshops anbieten.
Und, um den Stein weit zu werfen: wann gibt`s wohl den ersten internationalen Austausch zu Impro und Therapie?
Regina gibt zusammen mit Barbara interessierten Therapeut*innen einen Einblick in das Mysterium Impro. Ganz praktisch, verspielt und mit Zeit zum Reflektieren werden verschiedene Übungen auf ihre Umsetzbarkeit in der therapeutischen Praxis abgeklopft. Die beiden können das, weil sie nicht nur Gorillas sondern auch Musiktherapeutin bzw. Systemische Therapeutin sind und genau für diese Verbindung brennen. Wir wünschen viel Spaß! (Wochenende 14.+15.10.2017)
geschrieben von Karin Werner
Und doch finde ich in der Improvisation Situationen, in denen ein sanfter oder auch fordernder Druck mir hilft, tiefer in eine Situation einzusteigen, einen ungewisseren Weg zu gehen.
Es ist großartig eine Figur auf die Bühne zu stellen, die das Publikum mag, mit der es lacht. Ja, natürlich macht es Spaß zu kokettieren, »noch einen drauf zu setzen«. Und dann kommt manchmal der Moment, in dem die Figur plötzlich in eine ernsthafte Situation gerät, die ich als Spieler spaßig auflösen kann oder ich mache mich verletzbar, lasse mich auf eine Emotion ein. Dieser Moment ist ein Geschenk.
Auch diejenige zu sein, die mit dem Gedanken »Komm jetzt, bleib hier dran!« versucht das Gegenüber zu halten und zu tragen, ist ein sehr dankbarer Augenblick auf der Bühne.
Natürlich auch beim Unterrichten. Was für eine Freude, zu sehen, wie es jemandem gelingt, einen Schritt vorwärts zu gehen, eine Angst zu überwinden. Das klappt nicht immer und dann will ich da sein und ermuntern, es immer wieder zu versuchen. So wie ich.
geschrieben von Leon Düvel
Ich werde manchmal nach der Show, wenn wir noch mit Gästen gemütlich am Tresen sitzen, gefragt: Hast du keine Angst, dass dir nichts einfällt? Hattest du schon mal einen Blackout? Ja, ich hatte schon mal einen Blackout. Und ja, früher hatte ich tatsächlich Angst, dass mir nichts mehr einfällt, Angst vor der Leere (...) Inzwischen zum Glück nicht mehr, denn ich weiß: Leere gibt Platz. Platz für den Spielpartner, Platz für die Phantasie der Zuschauer und Platz für die eigenen Gefühle. Also: Habt keine Angst vor der Leere!
Die Gefahr ist größer, viel zu reden ohne etwas zu sagen. Zu schnell neue Angebote zu machen, anstatt das Aktuelle auf die Spitze zu treiben. Nicht ins Detail zu gehen, um das große Ganze voranzutreiben. Da würde etwas Stille, eine »Leerstelle« gut tun. Eine Verschnaufpause, die das Gesagte, das Gespielte sacken lässt.
Die Leere sollte aber nicht dafür genutzt werden, wirklich auszusteigen. Es ist keine Pause für die Spielerin, den Spieler. Besser ist, man bleibt einfach dran: mit Spannung und Gefühl. Dann kommt von alleine das nächste Angebot. Alles eine Frage der Energie. Bleibt die Energie, bleibt die Spannung. Dann bleibt das Gefühl oder ein anderes kommt. Die Leere sollte nicht dazu führen, das die Improvisation stoppt (…) Dann sollte man sie füllen.
Die Leere ist eigentlich etwas sehr Schönes. Etwas, das wir suchen sollten, ja sogar Heiliges. Denn sie zu finden, ist unheimlich schwer. Nichts zu tun, ist fast unmöglich. Eine leere Bühne kann ein wichtiger Moment in einer Aufführung sein. Sie schafft Atmosphäre, gefüllt mit all den Gedanken und Bildern, die es zu verarbeiten gilt.
Wenn ich ehrlich in mich hineinhorche, so an der Bar, lauert da immer noch eine kleine Furcht vor dem Blackout (...) Aber das ist nicht schlimm, ist sogar gut, gut für die Auftrittsenergie. Dann bleibt »Impro« spannend und ein Drahtseilakt. Doch zu viel Angst sollte man nicht vor dem »Nichtwissen« haben, denn wenn es passiert, gibt es hoffentlich Fehler. Und wie ihr bestimmt wisst: »Fehler sollten Freunde sein«. Siehe Fokus Mai 2016. (Mehr Sorge hätte ich vor einem Stromausfall, dazu empfehle ich das Buch »Blackout« von Marc Elsberg)
Wenn wir uns dann nach meinem dritten alkoholfreien Hefeweizen (Impro-Spieler brauchen keine Drogen) am Tresen verabschieden, sage ich manchmal beim Auseinandergehen: »Mehr Sorgen würde ich mir machen, in einem eingeprobten Stück den Text zu vergessen.« Mein inzwischen betrunkener Gast (er ist kein Impro-Spieler) sagt dann gerne: »Tja, da musst du wohl improvisieren, wa?« (…) Und da fällt mir meistens nichts mehr ein. Gute Nacht.
Leon unterrichtet ab September die Bühnenklasse und die Heldenreise im Impro4ever-Level ab November, garantiert drogenfrei.
geschrieben von Billa Christe
In den letzten Jahren habe ich durch meine Streifzüge durch die Berliner Theaterwelt festgestellt, dass viele Regisseure mit der Improvisation als Mittel arbeiten. Schauspieler/innen werden angehalten eine Sequenz zu improvisieren und wehe sie wiederholt sich am nächsten Abend. Armin Petras, der jahrelang am Maxim Gorki Intendant war und viele, viele Stücke dort inszeniert hat, ist so jemand. Ich saß im Theater und dachte: „Warum ist das so authentisch?“ Weil improvisiert. Umgekehrt dachte ich dann: „Warum machen wir es nicht andersherum, und spielen mehr so als inszeniert?“ Gesagt, getan. Theater improvisiert entstand, jetzt als »#NEU« bekannt.
Improvisationstheater lebt davon im Moment zu sein, die Spieler und Spielerinnen gehen Risiken ein, wissen nicht, was sie tun? Ich glaube in all den Jahren - 20 Jahre wie ihr wisst - dass Improtheater mehr kann, als „nur“ Szenen spielen, die durch die Vorgabe des Publikums entstehen. Ich mag es, wenn ich Spieler auf der Bühne sehe, die genau wissen, was sie tun, bzw. so tun als ob, es behaupten. Die sich einlassen auf den Partner, aber auch der Partner sieht, was man selber spielen will. Ich lasse meinem Partner den Moment, einen dreiminütigen Monolog zu halten, so, als sei er aufgeschrieben, kein Gezappel, ganz sicher und natürlich behauptet, weil man ja nicht weiß, wohin die Reise geht.
Durch all die jahrelang gelernten Regeln („lasst euch aussprechen, alles ist schon da, lasst den Partner gut aussehen, tut was, fragt euch, was ihr miteinander zu tun habt“ ) haben wir die besten Voraussetzungen Theater zu spielen. Kommt auf die Bühne und wisst, wo ihr vorher wart, geht von der Bühne und wisst wohin: Das ist das 1x1 des Theaterspielens.
Ich bin dafür, das mehr zu machen, es zu unterrichten und auch zu spielen. Letzteres gelingt mir nicht immer, ich kokettiere dann doch wieder mit dem Publikum, aber egal, ich versuche es, der Weg ist das Ziel.
Das größte Kompliment ist doch, wenn die Zuschauer es nicht glauben können, dass die Szene eben frei improvisiert war. Das gibt dem Ganzen das gewisse Extra. Und es ist eine Riesenfreude, wenn man Geschichten und Gefühle hochholt, weil man sie kennt, sich darin auskennt.
Ab damit auf die Bühne, es ist Zeit dafür. Impro kann mehr. Mehr Theater.
Billa unterrichtet genau dieses Thema in einem Wochenendkurs am 17. und 18.6. Und weil der so schnell voll war, tut sie`s gleich noch mal und zwar am 2. und 3.9.2017.
geschrieben von Christoph Jungmann
Es war, glaub' ich, im Herbst 1985. Ich nahm im damaligen Transformtheater (wie lange etwas her ist, merkt man, wenn man es beim googeln nur mit großer Mühe findet) in der Hasenheide an einem Theaterworkshop teil bei einem polnischen Regisseur, ein älterer, geradezu weiser und sanfter Mann. Der sagte, nachdem ich eine Szene gespielt hatte, mit seinem charakteristischen Akzent: „Weißt Du, Theater iist vor allem: Iberraschung!“ Definitiv kein anderer Satz hat mein Berufsleben so begleitet wie dieser. Wenn ich einen Abend im Kino oder Theater verbracht habe und darüber nachdachte, warum fand ich es furchtbar oder warum bin ich, obwohl es doch eigentlich nichts auszusetzen gab, nicht begeistert, komme ich immer wieder zu dem Schluss: weil es mich nicht überrascht hat. Und umgekehrt, selbst wenn der Abend insgesamt nicht so doll war - wenn es eine Iberraschung gab, nehme ich zumindest eine bleibende Erinnerung mit.
Natürlich ist das Überraschungsmoment im Improvisationstheater allein schon durch sein Selbstverständnis deutlich vitaler als in anderen Theaterformen - man weiß nie, was kommt, aber stimmt das wirklich? Denn natürlich kann auch in unserer geliebten Impro das Erwartbare Einzug halten. Dass auf dem Impro-Arbeitsamt Willkür herrscht oder ein Pfarrer Knaben liebt oder der Russe Wodka trinkt, nuja, das kommt mir bekannt vor, auch wenn ich die Dialoge noch nicht kenne, weiß ich, wie der Hase läuft, ob mitspielend oder zuschauend. Und jetzt aber wird’s knifflig: Wo und wann negieren wir das von Johnstone so treffend „das Offensichtliche“ Genannte und wo werden wir „originell“? Puh, schwer zu sagen. Da gibt's, glaub ich, keine Regel dafür, das muss der Moment entscheiden, der Zauber der Bühne, die Intuition des Akteurs. Folge also Deinem Impuls, aber wenn der unsicher ist - mach das, was Du sonst nicht machst, spiele in der U-Bahn keinen Kontrolleur und keinen Obdachlosen, sei eine attraktive, nette Schwiegermutter. Überrasche sie alle: das Publikum, die Mitspieler*innen und Dich selbst.
Christoph unterrichtet während der Sommerakademie auf Schloss Trebnitz und sucht in seiner Domino-Klasse mit euch nach überraschenden Figuren und Charakter-Monologen.
(31.8. bis 3.9.2017)
geschrieben von Norbert Riechmann
Dieses Wort fällt beim Improvisieren immer wieder. Oft ist gemeint: der Raum, in dem wir - angenommen - spielen, uns bewegen, den wir erst einmal etablieren müssen. Das ist der eine Raum. Dann gibt es den Raum, den wir uns nehmen, den wir beanspruchen, den wir unserem Partner geben. Und den Raum, den wir bestimmten Dingen oder Gedanken geben, man könnte auch sagen, in diesem Fall steht »Raum« für »Zeit«. Wenn wir jetzt den »Musikraum« betreten - da gibt es auch »Räume«. Musikwissenschaftler sprechen vom „diastematischen Raum“; gemeint ist der Raum zwischen tiefster und höchster Note in einer Melodie. Ist dieser Raum groß, kann die Melodie große Bewegungen machen, oft ist sie dann besonders schwer zu singen. Oder ist der Raum klein, kann es schnell monoton werden.
Was hat denn das jetzt alles mit Impro zu tun, mit meiner Spontaneität?
Wenn wir bei Musik innerhalb der Improvisation nicht nur an »Singen« denken, dann kann dieser Begriff »Raum«, der ja in vielen Bereichen eine Art Platzhalterfunktion hat, uns helfen, anders, reicher, besser zu improvisieren, indem wir »Räume« entdecken, »Raum« geben, »Raum« einnehmen. Lernen, wahrnehmen, was neben dem konkreten Reden und Bewegen in einer Szene oder einen Format noch an Räumen da ist, sich auftut, uns entlastet, bereichert, im Idealfall vielleicht beglückt. Wenn wir darauf achten, stellen wir vielleicht fest, dass wir manchmal eben gar nicht reden müssen, weil die Musik unsere Emotionen viel besser transportieren kann als Worte. In Romantic Comedies kann man immer wieder sehen, wie das wirkt. Oder wir lassen uns von der Musik einen »Subtext« unterlegen, dann könnte z.B. eine ganz belanglose, fröhliche Szene etwas Bedrohliches oder Gruseliges bekommen… Wer kennt nicht den »Weißen Hai«. Oder wir lassen uns von der Musik ganz abstrakt »treiben«, arbeiten mit dem Temperament oder der Bewegung, die uns die Musik anbietet.
Es gibt natürlich noch viel mehr Möglichkeiten, mit dem Begriff Raum umzugehen, siehe oben.
Wenn wir uns trauen, diese Räume zu entdecken und zu erforschen, wird unser Spiel reicher, vielschichtiger, interessanter. Und wir haben letztlich mehr Spaß. Das ist doch ein sehr schönes Ziel, oder?
Norbert unterrichtet den Fortgeschrittenen-Dienstagabend-Kurs vom 23.5. bis 18.7. zum Thema »Musik«. Es geht dabei ums Singen, Hören, um Musik als dramaturgisches Element, zur Charakterunterstützung – na klar und um Raum. Anmeldung hier.
Die Sandwich Theorie
geschrieben von Jacob Banigan
Lass uns eine Improshow mal als ein Sandwich betrachten. Stell dir irgendein Sandwich vor, dass du magst. Aufgeschichtetes Essen befindet sich zwischen zwei Brotscheiben auf einem Teller, der vor Dir steht. OK? Das ist die Show. Du hast einen Teil deines Lebens, deiner Zeit und deines Geldes für einen Plan aufgewendet, um dieses Erlebnis zu haben. Doch bevor Du es aufisst, lass uns kurz betrachten, woraus es besteht.
Die Schichten eines Impro-Show-Sandwichs:
Das Format der Show ist das Brot. Es definiert Form und Struktur und hält alles zusammen. Unterstützt den Inhalt. Es ist die zuverlässige und trockene Schicht, die es uns erlaubt, den eigentlichen Inhalt zu genießen, ohne uns damit einzusauen. Es ist das, wodurch wir schon von fern das Sandwich/die Show erkennen. Wir sehen es oder hören davon und sagen: »das kann ich erfassen«. Es ist das Versprechen: »dies zu konsumieren, wird befriedigend sein«.
Die Fiktion ist das Fleisch beziehungsweise Protein.
Die gemeinsame Phantasie von allen im Raum, der Traum, in den wir uns alle einkaufen. Der Inhalt. Die szenischen Situationen, die Charaktere und ihre Welt. Es ist der Nährstoff, deshalb verzehren wir es. Der eigentliche, befriedigende Grund des Erlebnisses. Die Substanz. In der Regel ist es das, wonach wir bei einem Sandwich als erstes fragen: »Was ist da drin?« Aber, nun ja, wir wissen das erst, wenn wir dieses gemeinsame Erlebnis gehabt haben. Wir hoffen zwar, dass uns die Füllung füllt. Aber es ist ein Mystery-Sandwich, solange wir uns noch nicht entschieden haben, was wir in die Mitte tun.
Die Geschichte ist der Ballaststoff: Salat, Sprossen etc.
Das Fasermaterial, das uns dabei hilft, die Nährstoffe zu verdauen.
Die Geschichte legt sich über die Phantasie und erlaubt uns, Ursache und Wirkung zu verfolgen und so etwas vom eigentlichen Inhalt zu haben. Wir brauchen Geschichten, um das aufzubereiten, was in unserem gemeinsamen Traum geschieht.
Ohne diese Fasern würden wir das Produkt konsumieren, ohne etwas von seinen gesunden Vorzügen zu haben.
Die Spiele sind die Extra-Zutaten: Tomaten, Zwiebeln etc.
Die Herausforderungen eines objektiven Regelspiels. Die Vereinbarungen, die aus einem subjektiven »Spiel in der Szene« entstehen. Oder die Muster, die wir entdecken und dann weiterführen.
Alle haben eindeutige Strukturen, die für zusätzliche, überraschende Geschmackserlebnisse sorgen, wenn wir sie bemerken.
Und obwohl jede Schicht auf seine eigene Art schmackhaft ist, kann man sie doch nicht voneinander trennen und jede einzeln konsumieren, wie irgend ein Spinner. In Wahrheit müssen sie bei jedem Bissen zusammen erlebt werden... So macht man das. Von Augenblick zu Augenblick, Biss um Biss.
Diese Metapher kann noch ausgeweitet werden, um mehrere Aspekte einzubeziehen...
Das Theater ist der Tisch. Die Bühne ist der Teller. Wir möchten, dass diese sauber und präsentabel sind, wenn das Essen serviert wird. Die Sauerei, die wir danach hinterlassen, dient dagegen als Erinnerung an die wunderbaren Dinge, die da drin waren.
Das Bühnenlicht ist die Soße. Wärmender Senf, kühlender Ketchup.
Musik ist der Speck. Einfach gut.
Manchmal mögen wir billigen Käse. Wir wissen zwar, dass der nicht sonderlich gesund ist, aber was soll's, man lebt nur einmal.
Gepfeffert mit Witzen. Gesalzen mit Tränen.
Eine kleine Bestechung durch Schmalz wird manchmal gern genommen.
Ein Glas Wein an der Seite wird immer gern genommen.
Und jedes Sandwich, jedes Showerlebnis wird erweitert durch den Kontext seiner Konsumierung. Mit wem war ich da? Wo waren wir? Was ist da gerade in meiner Nachbarschaft, meiner Stadt, der Welt geschehen? Welche Umstände haben mich da hin gebracht? Dieses Sandwich hat mein Leben verändert... Ich habe das echt gebraucht.
Und du kannst dieses Erlebnis gar nicht angemessen erklären. Hast Du je versucht, ein Sandwich zu beschreiben und das Gefühl gehabt, der Zuhörer konnte wirklich verstehen, was es für dich bedeutet hat? Man muss einfach da gewesen sein.
Wir müssen sicher stellen, daß wir frische Waren servieren, keine Fertigprodukte. Wir sollten stolz auf jede Zutat sein, und hoffentlich kennen wir auch die Herkunft von jeder. Die Leute sollten den Tisch befriedigt verlassen, nach diesem speziellen Sandwich, und vielleicht überlegen sie sich neue Rezeptideen für das nächste Mal.
Jacob Banigan gehört zur Creme de la Creme des internationalen Improtheaters. Er spielt seit 27 Jahren Impro und hat maßgeblichen Anteil an der Weiterentwicklung dieser Kunstform. Er war künstlerischer Leiter des kanadischen Rapid Fire Theatre, ist seit geraumer Zeit Ensemblemitglied vom Theater am Bahnhof in Graz, der English Lovers in Wien und Teil der Rocket Sugar Factory. Mit letzterer ist er am 25. Mai im Ratibor zu sehen. Und er gibt rund um Himmelfahrt den wunderbaren Workshop „Ignore me!“ (25.5.-28.5.2017)
Ins Detail gehen
geschrieben von Michael Wolf
Rede mit deinem Sohn über seine Ausbildung.
Du beschmierst dein Brot, die Butter steht nicht griffbereit, nimm sie aus dem Butterfach im Kühlschrank, sie ist noch etwas hart, aber du schaffst es. Du verteilst die Butter gleichmäßig auf deinem Brot, du bist vorsichtig, da das Brot durch die harte Butter reißt.
Du erklärst deinem Sohn, dass Lehrjahre oft harte Jahre sind und die fetten Jahre erst noch kommen.
Öffne den Kühlschrank erneut, nimm dir ein Glas Marmelade, schließe den Kühlschrank, öffne das Glas mit einem Kraftakt, entferne etwas Schimmel von der Marmelade, erkenne, dass du nicht dein Buttermesser ins Marmeladeglas stecken darfst, nimm dir einen Plastiklöffel aus der Schublade. Mit diesem machst du dir Marmelade aufs Brot, nicht aber ohne zuvor die Besteckschublade zu schließen.
Du vermittelst deinem Sohn, dass das süße Leben auch für ihn beginnen wird.
Warum schreibe ich das? Um dir zu zeigen, dass du auf die Bühne gehen und handeln musst. Mache es dir nie bequem, gehe ins Detail.
Dann rede nie über das, was du gerade tust!
Aber du bekommst durch das Handeln Inspiration, Zeit und eine Metaebene.
Es ist so einfach: Handele detailverliebt und du wirst mit Inspiration beschenkt.
Anfänge
geschrieben von Robert Munzinger
Eigentlich ist es vollkommen egal, womit du eine improvisierte Szene beginnst. Buchstäblich a l l e s ist richtig. Laut um Hilfe zu schreien, ins Publikum zu rennen, die Königin der Nacht zu schmettern, Gurken zu schneiden, zu strippen, zu schippen, zu wippen, zu schälen, zu quälen, zu geigen, zu schweigen..., egal! Alles ist richtig. Sobald irgendetwas da ist oder n i c h t da ist, kannst du anfangen zu ergänzen, zu kopieren, weiterzuentwickeln, etwas völlig neues zu etablieren oder was auch immer man für die geeignete Antwort auf die Frage des Anfangs hält, um es mal so zu formulieren.
Die Haltung, die du dabei hast, wenn du anfängst, ist entscheidend. Man kann einen Anfang klar und entschieden hinstellen, 100-%ig dahinterstehen, das erleichtert das Anknüpfen natürlich ungemein. Weniger günstig ist es, dem Mitspieler (und auch sich selbst und dem Publikum) ein unsicheres, verwischtes Angebot zu machen, rumzueiern, und seine eigenen Zweifel zu zeigen.
Wenn du also mit dem Improvisieren anfängst, ist einer der ersten Schritte, dieses Prinzip zu verinnerlichen, dass wirklich alles richtig ist, um eine Szene zu beginnen. Das liegt an einem anderen Prinzip namens "Sag ja! " Weißt du, dass der Spielpartner tatsächlich A L L E S akzeptieren, zu allem ja sagen wird, was du am Anfang anbietest, ist der Bann der Unsicherheit und des Zweifels schon fast gebrochen. Das Wissen um diese beiden prinzipiellen Verabredungen (alles ist richtig und sag ja!) soll es dir ermöglichen, selbstbewusst und vertrauensvoll deinem ersten Impuls zu folgen.
Und trotzdem: obwohl es ja eigentlich egal ist, womit man anfängt, rate ich meinen Schülern mit dem Etablieren des Raums anzufangen. Zum Beispiel mit einer Handlung. Oder einer innere Haltung zu diesem Raum und/oder dieser Handlung zu finden. Entscheidest du dich, W O du die Szene ansiedelst, und W I E du dich fühlst, öffnet es die Phantasie für die Figuren, die dort auftauchen könnten. Natürlich ist diese Art des Anfangens keine unumstößliche Regel (einzige Improregel: no rules), aber es ist nie verkehrt, so zu beginnen, und für den Fall, dass man wirklich mal uninspiriert ist, gilt: erst mal handeln, erst mal nen Raum etablieren, erst mal ne innere Haltung finden, dann kommt die Inspiration schon von selber!
So, und jetzt fang ich mal langsam an aufzuhören...
Robert fängt aber gleich im Januar wieder an und unterrichtet die Games-Games-Games-Klasse. Und ab März an drei Wochenenden „Das Format“. Alles Impro4ever.
Allen ein gutes neues Jahr!!!
2016
Jahresende : Schluss aus Ende - Das wars!
geschrieben von Regina Fabian
Ein Titel mit Versprechen: etwas wird nicht mehr weitergeführt; etwas hört auf. Dieser Text hört nach 365 Wörtern auf.
Impro und Wissenschaft
geschrieben von Dominik Klarhölter,
der zusammen mit Lisa Rasehorn die psychischen Effekte vom Impro an der Uni Leipzig/TU Dresden erforscht
»Werden wir schlauer, schöner, glücklicher durch Impro?« Ja, definitiv! möchte jemand meinen, der/die selbst Impro spielt. Aber ist da wirklich was dran, also mal so aus Sicht der Wissenschaft gefragt? Klassische Musik soll ja auch schon Kinder schlauer, Regen schöner und Geld glücklicher machen. Wieso Impro dann nicht auch irgendwie was von alledem? Schließlich scheint ja jede Impro-Show wie ein famoses Gehirnjogging, eine rasante Achterbahnfahrt der Emotionen zu sein und es mutet wie eine unversiegbare Quelle von Kreativität und Frohsinn an.
Damit das Ganze nicht nur im Bereich des gefühlten Wissens bleibt, hatten wir uns vor einem guten Jahr entschlossen, Impro aus wissenschaftlich-psychologischer Sicht zu untersuchen. Viel wurde dazu noch nicht geforscht oder eben veröffentlicht. Das spornte uns weiter an, da wir im eigenen Improspielen so viele Facetten sahen – wie die ganze Rubrik Fokus des Monats eindrücklich zeigt -, die aus psychologischer Sicht sehr wertvoll zu untersuchen sind. Wir fragten uns schließlich, ob Improspielen achtsamer, stresswiderstandsfähiger, selbstwirksamer und selbstsicherer macht (die meisten Auswertungen dazu sind noch im Gange). Alles Grundlagen, die für eine erhöhte Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit sorgen.
Bevor wir unsere Forschungsfragen in wenigen Wochen beantworten können, an dieser Stelle der Versuch auf die Eingangsfragen einzugehen: Macht Impro also schlauer? Das müssten andere Studien klären, denn dazu wären gewiss reihenweise Intelligenztests nötig. Eine andere Frage in dieser Hinsicht wäre: Suchen sich vielleicht schlaue Leute Impro als Spielwiese aus, da sie dort vielfältig gefordert sind? Aber schöner, macht Impro schöner? Ja, also über den Umweg von Lachfalten sowie den dazugehörigen positiven Emotionen sicherlich. Bemerkenswert und nun wissenschaftlich fundiert wirkt Impro auch darüber, dass Improspielende nach einem mehrwöchigen Improkurs eine erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung zeigten - eine grundlegende, erlernte Eigenschaft überzeugt zu sein, das eigene Leben selbst in die Hand nehmen und auch schwierige zukünftige Situationen meistern zu können. So ist es denkbar, dass selbstwirksamere Menschen auch eher mal sagen: Ich hör jetzt auf meine Segelohren blöd zu finden, ich mag die ab heute. Punkt. Ganz im Sinne von: Ich verordne mir jetzt mal Akzeptanz und Selbstliebe. Klingt merkwürdig, klappt aber bei Menschen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung wahrscheinlicher. Denn sie erwarten eben, dass sie selbst wirksam sein können. So können sie erfolgreicher bewältigen, was auch immer da zukünftig kommen mag und was sie sich so vornehmen (beispielsweise auch: mit dem Rauchen aufzuhören, 10-Finger-Tippen oder eine weitere Zeitform in einer Fremdsprache zu erlernen ...). Und so ganz nebenbei macht diese erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung auch noch weniger anfällig für Ängste, Depressionen und erhöhtes Stresserleben. Kurz: In diesem Sinne macht Improspielen tatsächlich psychisch gesünder, zufriedener und sogar auch glücklicher, da unglückliche Menschen eher davon überzeugt sind, dass sie nichts oder nur wenig an ihrem Leben ändern können.
Wohingegen die moderne Wissenschaft bestätigt, dass klassische Musik (leider) nicht schlauer, Regen (leider) nicht nachweislich schöner und viel Geld (glücklicherweise) nicht wirklich glücklich macht, so ist am Improtheaterspielen was dran. Und wir vermuten noch mehr, als wir und andere bisher herausfinden konnten, da auch unsere Untersuchungsmöglichkeiten und -methoden begrenzt waren.
Die Forschung an und mit Impro geht also weiter und bis dahin heißt es: mal wieder selbst auf die Bühne, nicht wissen was gleich passiert, ja denken und handeln, vertrauensvoll Impulsen folgen, präsent sein und dann doch mal wieder heiter scheitern, damit wir alle noch schlauer, schöner und glücklicher werden - oder genießen, es einfach zu bleiben.
Dominik Klarhölter und Lisa Rasehorn und sind improbegeisterte Psychologiestudierende in Leipzig und widmen ihre Masterarbeiten den gesundheitsförderlichen psychischen Effekten vom Improtheater. Einige unserer Schüler der Gorilla-Improschule haben an der Forschung der beiden teilgenommen. Unter ihnen werden am 11.12.2016 auf der Winter-Open-Stage drei Gutscheine über je 50€ für die Improschule verlost. Und Dominik wird auch da sein und uns weitere Einblicke in seine Forschungsergebnisse geben. Für alle, die es verpasst haben aber interessiert sind, her geht’s zum Test: Impro-Studie
Auf dass Ihr noch schöner werdet und die Selbstwirksamkeit weiter steigt!
Über Reife
geschrieben von Thomas
„Und kam die goldene Herbsteszeit,
und die Birnen leuchteten weit und breit...“
Ja, nicht nur die Kinder aus dem berühmten Gedicht vom Herrn Ribbeck auf Ribbeck freuen sich über die reifen Birnen. Es geht doch wirklich nichts über eine vollreife Birne, Pflaume oder einen saftig roten Apfel direkt vom Baum gepflückt. Das ist die geschmackliche Perfektion. Was es dafür brauchte? Genug Sonne, genug Regen, guten Boden, keine Schädlinge und einfach genug Zeit zum Reifen. Alles Dinge, auf die wir Menschen nur sehr bedingt Einfluß nehmen können. Sicher, mit Hochleistungszüchtungen und Agrarchemie hat der Obstbauer eine gewisse Sicherheit für seine Ernte, aber erstens gibt es trotzdem bessere und schlechtere Jahre und zweitens schmeckt das Supermarktobst einfach nicht so gut wie ein reifer Apfel aus einem alten Obstgarten. Meist wird es ja auch nicht vollreif geerntet, um besser lagerfähig zu sein.
So, und was hat das jetzt alles mit Impro zu tun?
Am Anfang lernt der Improspieler, spontan zu sein, auf seine Impulse zu hören und ihnen zu folgen. Das ist toll und macht Spaß und es herrscht bald eine hohe Energie und Geschwindigkeit auf der Bühne. Der schnelle Lacher wird gesucht und bedient und am Ende fanden alle, dass es „total geil“ war.
Inhaltlich dagegen sind solche Shows leider oft dürftig. Sie kommen mir eher vor wie der gezüchtete Hochleistungsapfel: sieht toll aus, schmeckt aber immer gleich und genormt und nicht so wirklich lecker.
Wenn man beim Improvisieren Geschichten erfinden will, an die sich die Zuschauer (und Spieler) auch Tage später noch erinnern, dann braucht es Zeit. Vor allem braucht der Improspieler Zeit, um sich zu entwickeln. Fast jeder macht die Erfahrung, dass es nach dem ersten Rausch des Anfangs irgendwann mühselig wird. Erst heißt es einfach nur „Sag JA“, und plötzlich kommen dann doch alle möglichen „Regeln“ ins Spiel: Wie funktioniert eine Geschichte? Wo ist der Wendepunkt für eine Figur? Wie schaffe ich es überhaupt, eine Figur zu finden und nicht immer nur ich selbst zu sein? Ach ja, handeln statt nur reden, und den Raum nicht vergessen, in dem man spielt, und an Status denken, und und und...
Da hilft dann nur Gelassenheit. Nicht alles sofort und gleichzeitig machen wollen, legt mal eine Weile den Fokus auf das eine Thema, mal auf ein anderes und freut euch über jeden kleinen Fortschritt, jede Szene, die euch besser gelungen ist, die reifer war. Auch der junge Apfelbaum kann nicht sofort prachtvolle Äpfel wachsen lassen, selbst wenn er ständig bewässert, besonnt und gedüngt würde. Erst nach etlichen Jahren ist er groß und stark genug. Wir Gorillas improvisieren nun schon seit fast zwanzig Jahren und auch wir haben noch immer was zu lernen.
Was in Bezug auf „Reife“ für den Improspieler gilt, gilt im Übrigen auch für die Szene, die Geschichte. Eine gute Geschichte ist wie ein vollreifer Apfel. So wie dieser die richtige Mischung aus Süße und Säure hat, braucht die Geschichte die richtige Mischung aus interessanten Charakteren, heiteren und ernsten Momenten. Und die kann man auch nicht gentechnisch standardisiert in immer gleicher Qualität bringen und erzwingen. Es geht vielmehr darum, die Geschichte sich entwickeln zu lassen, sie quasi zu begleiten, mit all dem Improvermögen, das wir halt gerade haben (siehe dazu auch den Fokus Juli über „Führung“). Und dann ein gutes Ende zu finden (den reifen Apfel zu pflücken), was für viele Spieler sehr schwierig ist. Aber keine Sorge, auch das Gefühl für das richtige Ende kann reifen...
In diesem Sinne: bleibt dran (an unseren Kursen), nehmt euch, was ihr zum Reifen braucht, bleibt gelassen (mit euch und euren Mitspielern), plückt euch einen reifen Apfel oder eine Birne und genießt die goldene Herbsteszeit.
(übrigens: auf www.mundraub.org sind Obstbäume verzeichnet, die öffentlich „pflückbar“ sind)
Thomas Chemnitz unterrichtet die Morgenklasse für Anfänger zusammen mit Leon vom 31.10. bis 19.12.
Gibt es ein Leben nach dem Urlaub?
geschrieben von Barbara
Sommerzeit, für viele Reisezeit. Es tut gut und macht Spaß, sich auf Fremdes einzulassen und dem Unbekannten zu begegnen. Wir sind in der entsprechend offenen Stimmung, bereit, uns einzulassen auf ein gewisses Maß an Abenteuer. Und nun? Nach dem Urlaub, wieder rein in den Trott? Sich von schlecht gelaunten Kollegen die Laune verderben lassen? Verfliegt die eigene gute Stimmung so schnell wie die Sommerbräune? Kann man diese Stimmung länger haltbar machen? Sich mit Fremdem, Unbekanntem auseinanderzusetzen, ist ja ein Thema, das im Leben ständig an uns herangetragen wird. Klar, im Urlaub macht man das freiwillig und ist somit aufnahmebereiter für diese Herausforderung. Wir sind ja nur kurz da, müssen uns nicht wirklich und nicht dauerhaft einlassen und verändern. Aber sonst…?
In unseren Kursen bringen wir euch bei, „Ja“ zu sagen, zu dem, was euch auf der Improbühne angeboten wird. Das ist auch manchmal fremd, unbekannt, unbequem…
Führt man den Improgedanken weiter, so schleicht er sich auch ins Leben und auch da kann man üben, sich unvoreingenommen einem Thema, einer Situation, einem Menschen zu nähern. Ablehnung ist nicht im Sinne des Improgedankens, und Widerstand ist eine „Ablehnung einer Veränderung aufgrund befürchteter Nebeneffekte“, definiert Berekat Karavul in seinem "Handbuch Projektmanagement". Interessant wird es, wenn wir uns mit diesen "befürchteten Nebeneffekten“ befassen. Es ist spannend, was man da ans Licht befördert, wenn man sich einmal in einer stillen Stunde die Zeit nimmt, darüber nachzudenken und konkret zu formulieren, was man denn befürchtet.
Was kann ich also tun, damit die Situation sich verändert, wenn sie mir, so wie sie ist, nicht gefällt? Mach ein anderes Angebot, wie beim „Au ja-Spiel“. "Be the change you want to see in the world“, sagte Mahatma Gandhi. Das dient allzu gut für einen schönen Kalenderspruch. Wenn man das allerdings ernst nimmt und tut, dann bewegen sich die Dinge um einen herum.
Im Grunde genommen ist es das, was wir in den Kursen immer wieder auf verschiedenen Ebenen lehren und lernen. Und verändern können wir ja sowieso immer nur uns selber, und nicht die Umstände oder den Anderen.
Aber jetzt kommt erst mal wieder zu Hause an nach den Ferien, gießt euch ein Glas des mitgebrachten Weines ein, legt die Beine hoch, schwelgt in schönen Erinnerungen…
Und dann holt euch eure Lust auf das Unbekannte zurück! Vielleicht in unseren Kursen.
Barbara Klehr ist ausgebildete Schauspielerin und Jazzsängerin. In ihrer Arbeit als Therapeutin setzt sie die Mittel des Improtheaters ein. Barbara leitet das Schnupperwochenende am 24.+25.9., unterrichtet die Abendklasse für Anfänger vom 1.11. bis 20.12. und Impro4ever "Der Harold" mit Leon und Norbert vom 5.9. bis 19.12.
Impro und Buddhismus
geschrieben von Konstanze
Ich beschäftige mich seit geraumer Weile mit dem Buddhismus und seinen kontemplativen Praktiken. Nicht mit einem religiösen Ziel, um in einem Nirwana zu landen, oder so was, vielleicht ein klein wenig, um ein besserer Mensch zu werden, aber hauptsächlich weil es bei so fast ziemlich allem hilft. Modern heißt das heute Achtsamkeitstraining.
Der Buddhist möchte sein „Leiden“ verringern durch Bewusstheit. Im Meditieren, was zum Ziel hat, das Bewusstsein zu schulen, übt man anzunehmen was da ist, aber nicht daran kleben zu bleiben. Leiden, so heißt es, liegt im Widerstand oder den so genannten Anhaftungen. Meditation übt loslassen, sein lassen. Ge-lassen-heit eben.
Das bedeutet nicht, dass man nicht mal durchaus traurig, wütend oder nervös sein kann, aber man lernt dieses Gefühl sein zu lassen, es nicht weghaben zu wollen aber eben auch, sich nicht damit zu identifizieren, sich hineinzustürzen und es dadurch unnötig zu verlängern: Man lernt sich quasi bewusst kennen - sehr spannend übrigens: sich mal liebevoll zu betrachten während man z.B. gerade ein heulendes Elend hat, ohne es zu vermaledeien, zu bewerten, weghaben zu wollen... das kann zwar durchaus ein unangenehmer aber auch recht unterhaltsamer Moment sein...meist bleibt das Elend interessanter Weise dann gar nicht sehr lang. Ich bin nicht das, was ich fühle, ich bin die, die wahrnimmt, was da fühlt...oder so ähnlich...
Kontemplative Praktiken sind übrigens unheimlich spannend untersucht worden durch den Neuropsychologen Dr. Rick Hanson in dem Buch „Das Gehirn eines Buddha“. In dem Buch (eine sehr empfehlenswerte Lektüre) setzt er neueste neurowissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug zum Konzept des Buddhismus. Man trainiert durch Meditation sein Gehirn, so die Grundaussage.
Und was hat das alles mit Impro zu tun?
Impro ist, meines Erachtens nach ebenso ein Training fürs Gehirn, für Bewusstheit, mit vielen Parallelen zu den Grundaxiomen des Buddhismus und seinen Praktiken; spielerisch und lustvoll:
Im Moment sein, ja sagen, zuhören, nicht grübeln, nicht ablehnen, nicht bewerten, in Kontakt sein mit sich, mit dem Gegenüber, mitfühlen mit seiner Figur, nicht wissen, was als nächstes sein wird, sich nicht identifizieren, also sich nicht so in eine Fantasie zu verbeißen, dass man das nächste Angebot verpasst, sich nicht so in ein Gefühl stürzen, dass der präfrontale Kortex (der „bewusste Entscheider“) außer Gefecht gesetzt wird, sonst gäbe es nämlich ständig Unfälle auf der Bühne, sich nicht allzu lange damit aufhalten, eine Idee/Impuls zu bewerten, denn sonst ist der Moment verpasst sie auszuagieren. Ich bin nicht die Figur, ich führe sie. Ich entscheide bewusst die nächste Handlung, meinen nächsten Zug für die Geschichte...
Bewusstheit wird verdammt gut geschult durch die ständige geteilte Aufmerksamkeit. Um überhaupt all die tausend Dinge mitzubekommen, die da auf der Bühne passieren, MUSS ich wach sein. Mein Mitspieler - was hat der alles angeboten? Wie ist der Raum? Welchen Status hab ich? Ist meine Figur jetzt sauer oder froh? Stehe ich auch nicht mit dem Rücken zum Publikum? Spreche ich laut genug? Was braucht die Geschichte jetzt? Hatte ich nicht grade einen Impuls? ... und so weiter und so fort.
Nichts anderes tut man beim Meditieren. Man tut es nur innen, in sich:
Man verankert sich beim Atmen, versucht immer wieder dorthin seine Aufmerksamkeit zu lenken und nimmt wahr: aha Geräusch, aha Gedanke, aha es juckt mich am großen Zeh, aha es plant grade das Abendbrot, aha „Ich war gestern ein Arsch“- Gedanke, aha es riecht nach... keine Ahnung was... bewusst lasse ich es weiterziehen, was da so auftaucht an Wahrnehmungen, lasse es los, den Abendbrotplan, den „Ich war ein Arsch“-Gedanken, kehre zurück in den Moment, zu meinem Atem, bleibe im Fluss.
Also Leute, es ist Sommer! School's out! Auch wenn ihr gerade keinen Improkurs belegt, könnt ihr euer Gehirn täglich weitertrainieren.
Einfach versuchen, mal mitzubekommen, was gerade ist. Wo Du gerade bist. Einmal am Tag, irgendwo. Vielleicht sogar kurz mal Augen zu, sitzen und lauschen, was so kommt:
Was denkt es gerade in mir?
Was fühlt es gerade in mir?
Wärme, Druck, wie ist mein Kiefer?
Was höre ich?
Zwickt da meine Leber?
Kann ich mal meinen Atem spüren, ohne ihn zu verändern?
Drifte ich gerade in meine Gedanken ab?
Ich lenke immer wieder sanft meine Aufmerksamkeit auf den Atem und hole mich so immer wieder in den Moment zurück. In die Bewusstheit.
Viel Spaß beim völlig bewusst geschlotzten Eis.
Beim großen Zeh-Wackeln im Zug oder Sand.
Beim Einatmen, beim Ausatmen.
Die Hauptsache sind die Löcher an einem Sieb.
ATEMPAUSE
Konstanze Kromer ist leidenschaftliche Impro-Schauspielerin, spielt am Atze-Musiktheater, ist Sängerin und spricht Hörbücher ein. Vom 6.9. bis 25.10. unterrichtet sie zusammen mit Lutz Albrecht die Abendklasse Anfänger.
Führung
geschrieben von Thomas
Die Übung zeigt: Wenn man sich einfach nur auf seinen Partner und auf den Moment konzentriert, dann kommen die Impulse ganz von alleine, dann werden alle von allen geführt.
Spielt ein Schauspieler einen Charakter und taucht in diesen ein, macht er oft die Erfahrung, dass der Charakter ihm irgendwann „sagt“, wie er agieren/reagieren soll, es ist dann der Charakter, der den Schauspieler führt.
Ist man wach für eine Geschichte, hat alles genau mitbekommen, was bisher geschah und ist ganz im jetzigen Moment, dann weiß man oft intuitiv, welches Angebot man für den Fortgang der Geschichte machen muss. Es ist dann die Geschichte, die den Autoren führt.
Wir sagen als Lehrer manchmal:
„Gib der Geschichte, was die Geschichte gerade braucht.“
„Gib der (Haupt-)Figur das, was sie gerade braucht.“
„Alles was gerade passiert, sollte gerade passieren.“
Und in der Tat ist es für mich eines der beglückendsten Gefühle beim Impro, wenn manchmal etwas auf der Bühne geschieht, das für alle überraschend ist, von dem keiner der Spieler hinterher weiß, wo das genau herkam (auch derjenige, der das Angebot gemacht hat), aber von dem alle wussten: das war jetzt genau richtig.
Wovon wurde man da geführt? Von der Geschichte? Vom Moment? Von der Intuition? Vom Universum? Von Gott?
In der Tat ist das für mich so was wie der „Heilige Gral“ der Improvisationskunst, es sind solche Momente, die leider viel zu selten passieren, aber die eigentlich immer unser Ziel sein sollten.
Beim Improvisieren können wir tatsächlich lernen, uns von anderen Dingen führen zu lassen als von unseren Ego.
Das ist auch etwas, das eine wirklich gute Führungspersönlichkeit in Business oder Politik ausmacht: zu erkennen, was der Markt/das Land/die Firma/der Mitarbeiter/der Kunde/der Bürger gerade braucht und darauf zu reagieren (und im Wort „Reagieren“ steckt zwingend das „Agieren“, also konkretes Handeln).
Ich habe festgestellt, daß es Improspielertypen gibt, die gerne und schnell „starke“ Angebote machen und damit wichtige Entscheidungen für eine Szene treffen, um die Geschichte voranzutreiben. Meistens sind dies übrigens auch diejenigen Spieler, die lieber Hochstatus- als Tiefstatusfiguren spielen. Diese Spieler blockieren gelegentlich auch mal ein Angebot des Gegners oder kämpfen für ihr eigenes Angebot (sagen also „Nein, lieber...“ oder „Ja,aber dann...“). Sie lassen sich gern von ihrem Ego führen und sollten daran arbeiten, sich auch mal führen zu lassen und der Geschichte zu „dienen“.
Umgekehrt gibt es gerade unter Anfängern nicht wenige Spielertypen, die Verantwortung eher scheuen. Diese Spieler haben Angst, daß ihnen nichts Gutes (oder Richtiges?) einfällt, daher breiten sie den status quo weiter aus und geben die Verantwortung für den nächsten Schritt lieber ab. Dies sind folgerichtig auch die Spielertypen, die gerne und gut Tiefstatus-Figuren spielen. Sie blockieren nie, sagen immer JA, aber dann fehlt manchmal das UND. Diese Spieler sollten daran arbeiten, auch mal ein (starkes) Angebot zu machen.
Gute Impro braucht – wie gutes Teamwork – immer beides: Ausbreiten und Vorantreiben, Verantwortung abgeben und Verantwortung nehmen, „JA!“ und „UND!“
Das wird schon bei der „Ein-Wort-Geschichte“ deutlich: es gibt (grammatikalisch bedingt) wichtigere und unwichtigere Worte in einem Satz. Manchmal höre ich in Workshops so etwas: „Das-große-alte-runde-gelbe-und......“ Ja was denn nun, verdammt? Das Nomen ist ein Schlüsselwort für die Geschichte, ich will wissen, um was es geht, also bitte sprich es aus!
Wenn du also merkst, dass du mit so einem „Schlüsselwort“ dran kommst, dann nimm die Verantwortung wahr. Und sag im besten Falle das, was die Geschichte gerade braucht.
In diesem Sinne: Lenkt doch euren Focus in diesem Monat sowohl beim Impro als auch abseits der Bühne mal auf dieses Thema und erforscht euch selbst mit folgenden Fragen:
Nehme ich lieber Verantwortung oder gebe ich sie eher ab?
Bin ich lieber Hochstatus- oder Tiefstatusspieler?
In welchen Situationen fällt es mir leichter das eine oder das andere zu tun?
Und schließlich und vor allem:
Gebe ich der Geschichte und meinen Spielpartnern (auf der Bühne und im Leben) das, was sie jetzt gerade brauchen?
Viel Spaß dabei wünscht euch,
Thomas
Wer nichts zu sagen hat, hat auf der Bühne nichts verloren…
geschrieben von Michael
Wenn wir auf die Bühne gehen, gehen wir in die Öffentlichkeit, wir bleiben nicht anonym, wir verschwinden nicht in der Masse, wir gehen nicht grundlos. Wir treten vor das Publikum nicht aus therapeutischen Gründen, hierzu dient der Proberaum, der Workshop oder die Trainingseinheit. Wir gehen auf die Bühne, weil wir etwas zu sagen haben. Weil wir eine Haltung haben. Die Bühne erwartet dies von uns, das Publikum erwartet dies von uns!
Benutzen wir folgendes Beispiel:
Ein Schauspieler spielt einen Antifaschisten, der in seiner Wohnung einen Senegalesen versteckt. Jetzt genügt es nicht, dass wir als SpielpartnerInnen auf die Bühne gehen und deutlich machen, dass wir auch alle pc sind. Das Terrain ist abgesteckt. Wir brauchen einen Gegenspieler mit verführender Überzeugungskraft. Und wir haben die Aufgabe diesen Gegenpart zu übernehmen. Ihn (den Nazi) nicht zum Popanzen zu machen und nicht zur Karikatur, sondern (mit allen Mitteln der Schauspielkunst!) zum Menschen! Nur dann wird die Bedrohung wirklich zur Bedrohung.
Wir haben das Werkzeug, diesen Gegenpart zu übernehmen. Wir haben die Information, denn wir lesen Zeitungen, wir führen Diskussionen mit anderen und wir kennen die Nachrichten. Und wir brauchen diese Informationen, um eine Haltung zu entwickeln. Auch Sprachlosigkeit kann zur Aussage werden, nur muss diese Sprachlosigkeit begründet sein. Das bedeutet, dass die Figur, die ich spiele, sprachlos ist, hilflos etc. - nicht aber der Schauspieler hinter der Figur.
Wer als Mensch nichts zu sagen hat, als Mensch sprachlos ist, der hat auch auf der Bühne nicht zu sagen.
Michael Wolf arbeitet als Schauspieler, Autor und Regisseur. Er ist Gründungsmitglied der Gorillas. Michael wird das Schnupper-Wochenende 29./30.10. und die Montags-Abendklasse für Fortgeschrittene ab 31. Oktober unterrichten. Viel Spaß!
Fehler können Freunde sein
geschrieben von Leon
Wie wir alle wissen, gibt es in der Improvisation einige Richtlinien: Den Spielpartner wahrnehmen, akzeptieren, Focus geben und nehmen, Angebote machen, keine Fragen stellen, unsichtbare Gegenstände sichtbar machen, positiv beginnen...Und dazu kommen die Regeln der Impro- Games und Formate: Ein-Wort-Geschichte, Zwei-Kanal-Ton, Dreisatz-Szene, Vier Wände, Bei fünf sind alle auf dem Baum. Um nur Einige zu nennen.
Das klingt erst mal paradox: Improvisation ist doch der Umgang mit dem Nicht-Geplanten, steht für locker werden, im Moment sein und eben nicht für Nachdenken und Erfüllen. Anscheinend nicht ganz. Ein Glück für uns Gorillas, denn sonst hätten wir nichts zu unterrichten, dann gäbe es die ganze Impro- Schule nicht.
Aber warum gibt es in der Impro so viele Regeln? Tja, gute Frage, hier drei mögliche Antworten: Um die Spieler durch den Focus auf die Regeln von ihrer Unsicherheit abzulenken (so geschehen in den 1960iger Jahren im Royal Court Theatre bei Keith Johnstone). Um in der Begrenzung Freiheit zu erlangen (so geschehen in vielen Kunstformen wie Oper oder Ballett). Um beim Geschichten- Entwickeln zu wissen, was eine gute Story ausmacht (so oder so sehr wichtig). And last but not least: Um das Zusammenspiel zwischen zwei oder mehreren Personen durch Regeln zu Erleichtern. Das gilt für die Bühne UND für das richtige Leben. Die sogenannten Softskills. Denn anders kann ich mir nicht erklären, dass viele Kurs-Teilnehmer zu uns kommen, ohne unbedingt auf die Bühne zu wollen. Vielen Dank an dieser Stelle.
Und jetzt zum eigentlichen Thema: Fehler können Freunde sein, heiter Scheitern oder warum kündige ich drei mögliche Antworten an, um dann vier zu geben?
Aus meinen Kursen als Impro-Lehrer habe ich gelernt, dass der Mensch, wenn er eine Regel bekommt, sie auch erfüllen möchte. Und wenn das nicht gelingt, er enttäuscht ist und sofort damit beginnt, sich zu ärgern. Da sind der Selbstzerstörung keine Grenzen gesetzt. Immer wieder muss ich den Schülern sagen: „Spielregeln sind da um sie zu lernen und nicht um sie zu können. Überhaupt seid ihr hier um etwas zu lernen und nicht, um alles schon zu können!“ Wenn dann eine Schülerin nach einiger Zeit die Regel immer noch nicht verstanden hat, fliegt sie raus. Nee Quatsch, Fehler.
Fehler können Freunde sein, weil sie uns überraschen. Weil sie uns entlasten, etwas zu erfüllen. Weil sie einen neuen, nicht planbaren Weg aufzeigen. In der Improvisation muss es Fehler geben, denn sonst hätte niemand etwas riskiert. Und das ist das Wesen der Improvisation: etwas zu tun, von dem man nicht weiß, wie es wird.
Welche Fehler kann ich denn machen auf der Impro-Bühne? Hier einige gern gesehene Beispiele: Ich laufe durch einen Tisch, den mein Spielpartner etabliert hat. Ich spreche zu leise. Ich habe den Namen eines Charakters vergessen. Ich spiele unglaubwürdig. Ich habe die Geschichte durch ein kompliziertes Angebot durcheinander gebracht. Alles ist möglich. Doch Fehler können nur Freunde sein, wenn sie uns nicht aus der Story hauen oder komplett verunsichern. Man sollte sie aber auch nicht ignorieren, denn alle haben sie gesehen oder gehört. Hier einige Vorschläge, wie meine Partner in der Figur verbal reagieren könnten: „Und ich hätte schwören können, das da eben noch ein Tisch war.“/ „Du sprichst so leise, damit ich dich nicht verstehe!“/ „ Sag mir wie ich heiße, oder ich verlasse dich! / „Ich glaub dir kein Wort!“ / „Bitte erkläre mir mal, wie es jetzt weiter gehen könnte.“ All diese Momente könnten der Geschichte eine neue Richtung geben. Und deshalb wird es im besten Falle irgendwann keine Fehler mehr geben, denn alle sogenannten Fehler können die Geschichte, die Energie oder den Spaß steigern. Getreu dem Motto: Everything that happens is meants to happen (Alles was geschieht, soll geschehen).
Ausnahme der neuen Regel: Wenn es zu kompliziert wird, kann man mal ganz aussteigen. Das sollte aber nicht als Gag geschehen, sondern wirklich nur zur Klärung um überhaupt weiter spielen zu können. Denn wir stellen uns in den Dienst der Geschichte.
Fazit: Es ist normal, dass ihr alle Regeln und Richtlinien lernen wollt, das solltet ihr auch versuchen. JA GENAU! Wenn ihr dann spielt, müsst ihr aber nicht aktiv dran denken, denn „Fehler“ machen euch wieder spontan. Das sollte euch nicht verunsichern, denn ihr wisst, Fehler passieren immer und sind dann keine mehr. Und: Fehler können Freunde sein!
Lieber Improschüler: Finde den inhaltlichen Fehler (nicht Schreibfehler) im oben stehenden Text und schicke ihn mit Begründung an mich: leon.duevel@die-gorillas.de. Unter allen Antworten (auch den fehlerhaften) wird am 31. Mai 3x1 Freikarte für eine unserer Vorstellungen im Grünen Salon verlost. Die Gewinner werden per Mail darüber informiert. Viel Glück!
Leon unterrichtet ab 23. Mai den Anfängerkurs am Montagabend und fährt mit Euch, so Ihr wollt, vom 8. bis 10. Juli auf Sommer-Fahrt in die Schorfheide.
Beziehungen
geschrieben von Regina
Das Herz des (Impro-)Theaters sind die Geschichten, die wir erzählen- Geschichten von Beziehungen, die sich verändern.
Beim Improtheater entstehen neben den Beziehungen auf der Bühne auch Begegnungen im Zuschauerraum und zwischen Bühne und Zuschauern.
Jede oder fast jede Form von Beziehung ist schon mal dagewesen. Wir können nichts Neues erfinden. Trotzdem wollen wir, dass die Beziehungen, die wir improvisieren, frisch und lebendig sind.
Wie schaffen wir es auch nach fast 20 Jahren (ja- im kommende Jahr!), spannende Beziehungen zu kreieren?
Klar, die erste Begegnung, der Flirt, da knistert es, das ist spannungsvoll, egal was passiert. Ein Hauch von Aufregung, ein frischer Wind, Frühlingsgefühle!
Das erste Mal vor Zuschauern spielen, eine neue Beziehung mit den Zuschauern eingehen, welche freudige Aufregung da entsteht, ist bei den Improschulfesten spürbar.
Wie können wir den Flirt auf der Bühne und die Beziehungen immer wieder und auch unterschiedlich herstellen? Wie entwickeln wir diese Neugier aufeinander?
Keith Johnstone beschreibt in seinem Buch "Improvisation und Theater", wie er den Anstoß für die ersten Improübungen erhielt, als er mit Schauspielern am Royal Court Theatre in London arbeitete. Er vermisste in den Proben die Neugier aufeinander. Durch Improübungen sollten sie sich wieder dem Moment der Begegnung öffnen und in lebendige Beziehung treten.
Jetzt beim Festival während der "Metaimpro"- Show hat Rama Nicholas aus Australien den Beginn jeder Beziehung herausgestellt: der erste Blickkontakt. Sich wirklich ansehen. Offen sein für alles, was passiert, hinsehen, wirklich wahrnehmen, alles aufnehmen. Was macht mein Spielpartner da eigentlich? Wie sieht er aus, wie bewegt er sich, in welchem Tonfall spricht er?
Oft entsteht zwischen zwei Spielern eine Spannung im Spiel- durch Blicke, unerwartete Distanz oder Nähe, Körperberührung - und wir gehen schnell drüber hinweg. Wir begeben uns wieder ins Normale, Vertraute. Wir halten die Energie, die plötzlich entsteht, nicht, sondern lassen sie los, lösen die ungewohnte Distanz auf. Das Aushalten von dieser Spannung, sich hineinwagen ins Ungewissen einer Beziehung, das ist der erste Schritt und der sollte groß sein!
Bei der schon erwähnten "Metaimpro"-Show waren die Zuschauer eingeladen, persönlichen Monologen der Schauspieler auf der Bühne beizuwohnen. Es entstand eine intime Atmosphäre. Die Neugier sowohl der Mitspieler als auch des Publikums war für mich spürbar, greifbar im Raum. Für mich sind die Schauspieler auf der Bühne einen großen Schritt auf uns Zuschauende zugegangen. Sie haben sich gezeigt und haben es zugelassen, dass wir sehr genau hinsehen konnten. Sie haben etwas gewagt- nicht nur Rama hat den Flirt mit dem Zuschauer eröffnet.
Mein Frühlingsmotto daher: Reinschmeißen in die Begegnung, flirten was das Zeug hält!!!
Regina unterrichtet ab 24.5. den Anfängerkurs am Dienstagabend. Ihr gelebtes Beziehungswissen gibt sie gern bei der Sommer-Fahrt ins Umland (26.-28.8.) weiter. Und zwar zusammen mit ihrem Gorilla-Mann Christoph.
Aktuell sein
geschrieben von Christoph
Wie in so vielen Bereichen, sind der Impro auch inhaltlich keine Grenzen gesetzt - d.h. worum es auf der Bühne geht, ist naturgemäß völlig offen. Ich mag es, wenn sich die Akteure trauen, aktuell zu sein - denn aus meiner Sicht ist eine große Stärke von Improtheater die unmittelbare Spiegelung aktueller Ereignisse. Es erhöht die Kraft des Bühnengeschehens, wenn ich den Spielerinnen und Spielern anmerke, dass sie sich dessen bewusst sind, was auf der Welt geschieht, dass sie informiert sind über politische, soziale, gesellschaftliche Geschehnisse und Strömungen. Wenn Du einen Arzt beim Operieren des Herzens spielst, erwarte ich von Dir nicht, dass Du alle medizinischen Fachbegriffe kennst. Wenn Du aber einen Menschen verkörperst in einer Szene, die im Lageso spielt, interessiert mich Deine Figur mehr, wenn Du weißt, wie z.B. die Vorsitzende der AfD heißt und der Berliner Sozialsenator, als wenn Du es nicht weißt - eben weil ich dann merke, dass Du wahrnimmst, was um Dich herum geschieht und ich Deiner Figur eine höhere Authentizität zugestehe (und wenn Du einen unwissenden Charakter spielst, der in der Rollenprosa die beiden nicht kennt, merke ich trotzdem, ob Du als DarstellerIn weißt, wer sie sind).
Unser diesjähriges Festival will diesem Gedanken Rechnung tragen, und so ist ein Schwerpunktthema des diesjährigen Jahrgangs, sich mit Grenzen und Freiheit auseinanderzusetzen. Das große Thema unserer Tage ist also auch bei der IMPRO angekommen, und es ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance für uns, sich dem zu stellen und es in unser Bühnengeschehen einfließen zu lassen. Dass es dabei vielleicht auch mal ernster wird als sonst, dass vielleicht auch Szenen misslingen, weil sie ggf. dem Thema nicht gewachsen sind - das ist nicht nur möglich, sondern sogar zu hoffen, denn nur wenn wir etwas riskieren, werden wir dazulernen, werden wir unsere Theaterform weiterentwickeln.
Christoph ist Festivalleiter der IMPRO, die vom 11.-20.3.2016 stattfindet und das Motto „Borders. Limits. Liberty" trägt. www.improfestival.de
Christoph unterrichtet ab 23. Mai die Fortgeschrittenen-Klasse und Ende August das Impro-Sommer-Camp zum Thema Liebe und Beziehung, letzteres zusammen mit seiner Frau Regina
Being interested in your partner
written by Inbal
Für die deutsche Version bitte nach unten scrollen!
So here’s what I have learned from watching great improvisers playing: it’s not all about them.
In fact what makes their impro personal, real, flowing, funny and touching, is the amount of care and focus they give to their partners and their characters.
The audience might enjoy seeing us fighting, but I can promise you, they will care for us more if we actually like each other. The show may be amazing with this cool, extraordinary character you just found. but it will be more enjoyable and can go much further if you help us know what’s up with your partner as well.
So how much do we really see our partners when we are up there?
What gifts are we giving them by asking their characters questions like: “How are you since the divorce?” or “Looking good, is that a new hair cut? “(Tim Orr, BATS)
How much focus do we give them when they have a monologue that can truly affect us and them?
Unless you're having a one woman show, impro is never all about you. be it failures or success, it’s always team work. And that means that a lot of our focus should go towards our partners and their characters, to see who they are and then understand what they need.
Inbal teaches our English improv classes (alternating with Lee). Next dates: March 8th - May 10th (Beginners English) and March 3rd - May 19th (Morning Beginners English).
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Interessiert sein am Partner
geschrieben von Inbal
Das ist es, was ich vom Beobachten toller Improspieler gelernt habe: Es geht nicht nur um sie! Vielmehr wird ihre Impro persönlicher, echter, fließender, lustiger und berührender, weil sie mehr Mühe und Fokus auf ihre Partner und deren Charaktere verwenden.
Dem Publikum gefällt es vielleicht, uns zuzusehen, wie wir uns gegenseitig die Aufmerksamkeit stehlen, aber ich kann Euch versichern, sie werden sich mehr für uns interessieren, wenn wir nett zueinander sind. Die Show ist vielleicht super mit diesem coolen, außergewöhnlichen Charakter, den Du gerade gefunden hast, aber sie wird viel unterhaltsamer sein und kann sich besser entwickeln, wenn Du uns hilfst, auch Deinen Partner zu verstehen.
Wie sehr nehmen wir unsere Partner überhaupt wahr, wenn wir einmal in der Szene sind? Welche Geschenke können wir ihnen anbieten, wenn wir einfache Fragen stellen wie „Wie geht es Dir seit Deiner Scheidung?“ oder „Du siehst gut aus, warst Du beim Friseur?“ (Tim Orr, BATS). Wie viel Fokus geben wir unserem Partner, während sie einen Monolog hält, der sich sowohl auf sie als auch uns auswirkt?
Sofern Du keine One-Woman-Show hast, geht es beim Improvisieren niemals nur um Dich, sei es Scheitern oder Erfolg. Es ist immer Teamwork. Und das bedeutet, dass eine Menge Deines Fokus Deinen Partnern und ihren Charakteren gelten sollte, um zu sehen wer sie sind und dann zu verstehen, was sie brauchen.
Inbal unterrichtet abwechselnd mit Lee unsere englisch-sprachigen Impro-Klassen. Nächste Termine: 8.3.-10.5. (Beginners English) und 10.3.-19.5. (Morning Beginners English)
Vertrauen
geschrieben von Urban
Herzlich willkommen im neuen Jahr! Die meisten von uns haben kürzlich mehr oder weniger heftig auf das Jahr 2016 angestoßen.
Wir tun das, weil wir darauf vertrauen und hoffen, dass in einem neuen Jahr neue Chancen auf uns warten und Wünsche wahr werden können.
Das neue Jahr liegt vor uns wie eine Ebene mit unberührtem Schnee. Alles ist noch möglich! – So ist es auch auf der Improbühne.
Zuerst ist da eine völlig unberührte, leere Theaterbühne. Dann gibt es den Titel der Geschichte vom Publikum, dann tritt die erste Figur auf, die ersten Worte werden gesprochen, die Geschichte entwickelt sich. Später schauen wir, welche Spuren wir auf der Bühne hinterlassen haben. So wie man auf das Schneefeld zurückschaut, das man gerade durchlaufen hat.
Auf den Weg machen kann sich ein Impro-Ensemble nur, wenn es sich vertraut! Wenn die Angst überwiegt, was alles auf dem Weg schief gehen könnte, wage ich nicht mal den ersten Schritt.
Als Improspieler wissen wir, dass eine Szene plötzlich ins Stocken geraten kann. Wir vertrauen aber darauf, dass die Kollegen uns beispringen, und dass wir dann gemeinsam den Karren aus dem Dreck ziehen können. Und wenn das nicht klappt, werden wir alle gemeinsam grandios scheitern! Dann schütteln sich alle einmal, und auf geht’s zur nächsten Szene – zu neuen Ufern.
Lebenszeit in solch einer vertrauensvollen Atmosphäre zu verbringen ist etwas Besonderes. Wem vertrauen wir in diesem Leben eigentlich wirklich? Unserem Lebenspartner? Dem Bio – Siegel? Ärzten? Unseren Lehrern? Politikern? Unseren Eltern? Der Zukunft? Uns selbst?
Egal ob im „echten Leben“ oder auf der Improbühne: Vertrauen kann nur im echten Kontakt entstehen. „Meet somebodys eyes“ ist ein schönes Impro – Mantra. Wann haben wir zuletzt solch einen echten, fast intimen Kontakt mit unserem Spielpartner gehabt? Ihm/Ihr wirklich in die Augen geschaut!? Dazu gehört Mut und Vertrauen darauf, dass der andere auch diese echten Momente sucht. Und wie herrlich ist es, wenn man sie auf der Improbühne erleben darf.
Wenn man Improtheater spielt, bekommt man dieses Vertrauen fast geschenkt. Es entsteht von selbst. Sicher, es gibt auch „Vertrauensübungen“ in den Workshops wie z.B. „Blind geführt werden“. Aber meinen Ensemble-Partnern vertraue ich blind, weil ich so oft erlebt habe, dass sie meine Angebote annehmen, dass ich mich über ihre Angebote freue, dass im entscheidenden Moment jemand in die Bresche springt, dass wir Niederlagen gemeinsam eingesteckt haben und dass wir Erfolge gefeiert haben! Wir arbeiten nicht am „Vertrauen“. Wir arbeiten daran, „Ja“ zu sagen, im Moment zu sein, Verantwortung zu übernehmen und abzugeben, wir arbeiten daran zu reagieren, unseren Impulsen zu vertrauen und ihnen zu folgen. Daraus entsteht Vertrauen. Zu anderen und zu sich selbst. Im neuen Jahr kann man viele von diesen Tugenden gut gebrauchen!
Zu Silvester wird angestoßen. Auch dort ist der Augenkontakt sehr wichtig. Wer den verpasst, hat 7 Jahre schlechten Sex. Wer den Augenkontakt beim Improtheater verpasst, hat 7 Minuten schlechtes Schauspiel. Mindestens! Prosit Neujahr!
2015
Jedes Angebot ist ein Geschenk
geschrieben von Robert
Eine der Grundregeln des Improvisierens sagt mir, dass jedes Angebot eines Spielpartners ein Geschenk ist. Aber schon nach kurzer Zeit habe ich bei mir selbst bemerkt, dass ich selbst bei gutem Willen manche Angebote nur schwer annehmen kann. Ich verstehe sie inhaltlich nicht. Oder verstehe sie zwar, finde sie aber daneben. Vielleicht sind sie auch zu undeutlich oder schwach. In diesen Fällen landet das Geschenk quasi im Müll. Was tun?
Ich denke, es gibt nur eine Lösung: Mehr Demut, weniger Ego. Nicht bewerten, akzeptieren! Das klingt einfach, ist aber nur möglich, wenn man sich wirklich in jedem Moment auf der Bühne öffnet und es schafft, den Zensor wirklich abzuschalten.
Dabei steht mir z.B. manchmal mein persönlicher Geschmack im Weg. Ich mag das Angebot einfach nicht. Aber es geht eben nicht darum, dass ich es mag, sondern dass ich vertrauensvoll mitgehe und mich auch gegen meine eigene Erwartung überraschen lasse. Der große Vorteil bei dieser Herangehensweise ist, dass man zusammen weiterspielt, während man beim Blockieren des Angebots stehen bleibt und nicht mehr an einem Strang zieht. Ja, vielleicht erkennt die Mitspielerin sogar, dass man sich kurz dazu aufraffen musste, mit ihrem Angebot mitzugehen und tut das Gleiche für einen selbst, wenn man selbst mal ein unklares oder ungeschicktes Angebot macht.
Vielleicht halte ich mich auch für schlauer als den Mitspieler und habe das spontane Bedürfnis, ihn zu "verbessern". Aber auch um Korrektheit geht es eben nicht beim Improvisieren, sondern darum, Fehler zu umarmen. Mal sehen, wohin sie uns führen. Die Französische Revolution in der Szene um einige Jahrzehnte verschieben? - Pourqoui pas?
Jeder Spieler hat so seine Eigenheiten, die ihn daran hindern, wirklich immer das Angebot des Partners zu akzeptieren. Man muss sich auch als erfahrener Spieler immer wieder daran erinnern, weniger klug sein zu wollen und mehr an den Fluss der Szene zu denken, weniger zu bewerten und mehr zusammen zu entwickeln. Und wenn das dann wirklich klappt, stehen die Chancen sehr gut, eine gute Szene zu spielen, etwas zu entdecken, zu schenken und beschenkt zu werden!
Tiefe
geschrieben von Michael
Das Jahr geht langsam zu Ende und wir nehmen das Tempo etwas raus. Die Bäume verlieren ihr Laub, der erste Schnee fällt und die Welt scheint etwas stiller zu werden. Die Zeit der Besinnung und Reflektion wird eingeläutet und wir verlassen die Oberfläche um in unsere Tiefen abzutauchen.
Beim improvisierten Theater vermisse ich oft diese Tiefe. Ein Improvisations-Schauspieler scheint immer unter Druck, immer auf dem Prüfstand der Schlagfertigkeit zu stehen. Schnell, schnell, schnell , mir fällt da noch etwas ein. Wir bleiben auf Speed, auf der Überholspur und haben keine Chance etwas von links und rechts mitzubekommen. Keine Möglichkeit für die sensiblen Angebote, sie gehen im lauten Brausen des Fahrtwindes unter.
Gekrönt wird diese Art zu spielen von der Reaktion des Publikums: „Mein Gott sind die schnell, sind die schlagfertig!“ Die Oberflächlichkeit bekommt ihre Legitimation. Soll uns das wirklich Zufrieden stellen? Geht es nicht um mehr? Wollen wir nicht Geschichten erzählen, die es zu erzählen lohnt?. Natürlich gelingt uns das bei der Improvisation nicht immer, Abstürze sind vorprogrammiert. Wer aber einmal Reakionen erfahren hat wie „Diese Szene, oder diese Figur hat mich gerade sehr berührt, an etwas erinnert oder nachdenklich gemacht.", der begibt sich folgerichtig auf den Weg, die Tiefe auszuloten.
Eine gute Geschichte benötigt Zeit, Zeit für den Gedanken. Es sind die stillen Momente, zwischen Aktion und Reaktion, die Gedanken gefüllten Pausen, die unser Schaffen wertvoll machen. Opfern wir unsere Zeit nicht länger dem verschwenderischen Schlagabtausch.
Ich wünsche euch Mut zur Stille, auf der Bühne, wie im Leben.
Euer Michael Wolf
Oder wie heißt es so schön. Einfach mal die Schnauze halten.
Loslassen
geschrieben von Billa
„Die Dinge annehmen heißt loslassen“ sagte mir mal eine sehr schlaue Frau. Ich konnte damals nichts damit anfangen, wollte ich doch daran festhalten, weil es mir doch wichtig ist, ich kann es doch nicht einfach aufgeben und es einfach vergessen. Gut, dass ich über das Thema „Loslassen“ schreiben darf und darüber nachdenken muss, was es denn bedeutet und vor allem, was es für die Improvisation bedeutet. Ich habe die Erkenntnis, dass ich Situationen, Lebensabschnitte, nicht ändern kann, sie passieren und wenn ich das akzeptiere, dann macht es mich leichter und ich gräme mich nicht weiter, warum es ausgerechnet mir passieren musste. Ich akzeptiere es und vertraue darauf, dass alles seinen Sinn hat und neue Dinge passieren werden.
Loslassen heißt also Akzeptieren. Dinge geschehen ohne mein Dazutun. Vertrauen, dass alles aus gutem Grund geschieht, ich akzeptiere den Verlauf einer Szene und lasse los. Ich lasse los von meiner Idee, von meiner Vorstellung einer Geschichte, lasse los von meinem typischen Verhalten und lasse mich auf was Neues ein und entdecke ungeahnte Fähigkeiten. Vielleicht gefällt es mir nicht, aber Impro ist Zusammenspiel und die Interaktion mit meinem Partner/in, mit dem Publikum, mit mir selbst. Ich kann keine Kontrolle haben! Vertrauen, dass wir gemeinsam eine Fantasie schaffen, heißt loslassen. Nicht Festhalten an dem Gedanken, das was man glaubt, sei das Richtige. Bei der Impro erlebe ich oft, dass die Schüler Kontrolle behalten wollen, obwohl man den Zustand des Loslassens anstrebt. Lass ich los, habe ich dann keine Kontrolle mehr über mich selbst? Und was passiert dann?
Sich fallen zu lassen, wenn man denn dann los gelassen hat, Vertrauen haben, dass die Dinge sich fügen, den Reiz auf das Neue und Unbekannte zu haben, die Neugierde zu feiern, auch die auf meinen Partner/in, zu meiner Phantasie, frei zu sein und den inneren Zensor zu überwinden, und die Fantasie bekommt Flügel.
Billa unterrichtet den „Format“-Kurs im Impro4ever-Level ab Januar 2016.
Vor der Show ist während der Show
geschrieben von Barbara
Wie wärmt ihr euch auf? Wie bereitet ihr euch auf die Show vor? Das werde ich manchmal gefragt. Nun, wir erfinden alberne Silbengedichte, spielen Taramtamram, Assoziieren... Eigentlich ist es völlig wurscht, was für Spielchen vorher gemacht werden um "zusammen zu kommen". Und natürlich gibt es Rituale. Für die Frauen ist das häufig das Schminken und dabei wird natürlich geredet. Auch das Wechseln der Kleidung und Schuhe hilft, sich in eine Auftritts-Spannung zu begeben.
Meiner Meinung nach ist das Wichtigste, in dieser Zeitspanne die innere Haltung zu überprüfen. Die Offenheit und das Interesse, was ich meinen Kollegen in der Garderobe privat entgegenbringe, spiegelt sich auf der Bühne wider in der Art, wie sehr oder wie wenig ich mit den Ideen der anderen mitgehen kann.
Besonders herausfordernd sind natürlich negative Gefühle, die ein Mitspieler in mir auslöst. Was im Gespräch zu klären ist, sollte man in einer ruhigen Minute unter vier Augen ansprechen, nicht kurz vor der Show. Hab ich das versäumt, hilft nur, es zu akzeptieren und für die Zeit der Show wegzupacken. Sind beide gewillt, eine gute Show zu spielen, wird das stärker sein als die private Uneinigkeit. Schaut Euch in die Augen, lächelt Euch im Wissen um Euer gemeinsames Handicap an und spuckt Euch über die Schulter. Versucht es, auch das ist ein stetiges Üben von Toleranz und Akzeptanz. Und mancher Unmut löst sich beim Spielen wie von selbst auf.
Also: seid offen und warmherzig miteinander, das ist die beste Voraussetzung für eine gute Show! Und für die Zeit danach. Denn das ist die Zeit vor der übernächsten Show.
Barbara ist eine der LehrerInnen im „Showtime“-Kurs im Impro4ever-Level, betreut die Impro-Session am 3.11. und unterrichtet gemeinsam mit Micha die lange Impro4ever-Klasse ab Januar zum Thema „Biographie als Input“.
Der Unterschied zwischen Darstellen und Schauspielen
geschrieben von Bjørn
Ich werde oft gefragt, wo denn der Unterschied zwischen Darstellern und Schauspielern liegt. Ich habe lange darüber nachgedacht, die Worte auseinanderklamüsert und bin dann zu einer für mich befriedigenden Antwort gekommen.
Darsteller besteht aus „dar“ und „stellen“, was soviel bedeutet wie hinstellen.
Das heißt, es wird etwas hingestellt, was danach regungslos so stehen bleibt. Und genau das ist es, was Darsteller machen, sie schlüpfen in eine Figur und stellen sie mit einer Haltung, mit einer Emotion und mit einer einzigen Dynamik dar. Das erscheint oft schnell lustig, aber es bleibt an der Oberfläche und wird irgendwann eintönig und langweilig.
Schauspieler besteht aus „Schau“ und „spielen“, was soviel bedeutet wie etwas Zusehendes bewegen.
Das heißt, dass das, was gesehen wird, bewegt wird. Die Figur, welche von einem Schauspieler gespielt wird, ist dynamisch in ihren Emotionen und Haltungen. Dadurch wirkt die Figur weniger behauptet und viel lebendiger. Es gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, mit der Figur mitzuleiden, sich für sie zu freuen oder zu weinen. Es ist die Grundlage einer jeden Geschichte, da Geschichten nur durch Veränderung entstehen.
Ich möchte alle SchülerInnen auffordern sich zu trauen mehr Schauspieler als Darsteller zu sein.
Björn unterrichtet die Fortgeschrittenen-Klasse vom 27.10. bis 15.12.
Gute Vorsätze
geschrieben von Luise
Ich habe lange überlegt, was könnte denn mein »Fokus des Monats« sein? Was ist denn gerade dein Fokus? Ich habe mir immer gerne vor jeder Vorstellung beim Improvisieren etwas vorgenommen: Heute sei ein guter Supporter! Spiel doch mal Charaktere X/Y heute, die du so ungern machst! Heute hast du Spaß auf der Bühne! Heute achtest du mal darauf »körperlich« zu spielen! Nimm die Stimme mit! Heute setzt du mal dieses und jenes um, was du im Workshop bei X/Y gelernt hast! Heute sei doch einfach mal mutiger! ... Beim Improvisieren gibt es so viele tolle goldene Regeln und Tipps, um dein Spiel auf der Bühne zu bereichern und die Kunst von Impro wirklich zum Strahlen zu bringen. Nach Jahren der »Gewohnheit« ist es gut, sich diese von Zeit zu Zeit und immer wieder in Erinnerung zu rufen!
Aber nicht nur dort: Ich habe 200 Mal den »Zille« am Kurfürstendamm gespielt, und auch da hab ich mir für jeden Abend einen anderen Fokus gegeben. Ich habe an meiner Ausrichtung arbeiten wollen und viel ausprobiert. Ich habe verschiedene Textstellen überarbeitet und am richtigen »Sitz« des Gags gefeilt. Ich bin stundenlang Dialogzeilen durchgegangen und habe nach der Haltung gesucht, der Motivation und dem Untertext und habe auch da jeden Abend versucht, einen anderen Schwerpunkt zu setzen und mich wieder neu für die Vorstellung zu motivieren und herauszufordern.
Was ist es also, das dich gerade besonders herumtreibt? Welchen Fokus hast du?
Mein Fokus momentan ist es, so fiel es mir dann ein, mir nichts vorzunehmen. Ohne Vorsatz sozusagen. Ich erwarte nichts Bestimmtes, weder von mir, noch von den anderen. Ich erwarte nichts von der Szene, von dem Abend an sich, von mir oder vom Publikum. Ich versuche, mich und die Situation nicht zu bewerten. Ich versuche nur, offen zu sein für den Abend, meine Kollegen und für alles, was da auch immer später auf der Bühne geschehen wird. Ich bin einfach nur da. Ich versuche, dem Zustand von Leere und Offenheit innerlich so nah wie möglich zu kommen. Ich stelle meinen Regler auf Null und versuche, auch wirklich »nichts« zu wollen.
Warum? Ich glaube, weil wir dann in der Lage sind, uns wirklich ganz und gar auf das einzulassen was uns entgegenkommt, egal was. Ich glaube, wir hören besser zu, reagieren und entwickeln daraus unsere Haltungen ganz situativ und im Moment – lebendig, flexibel und wach.
Ich empfinde daraus viel Spaß und Glück auf der Bühne. Ich fühle mich frei, vielleicht sogar auch »befreit«.
Es ist Frühling und ich wünsche allen den Mut und die Freude, mal wieder ganz auf Null zu stellen, neu und frisch zu starten und an Herausforderungen heranzugehen. Auf ins Abenteuer – viel Spaß!
Luise unterrichtet vom 1.9.-20.10. die Anfänger (dienstags)
Raum
geschrieben von Sonja
Als Improspieler konzentrieren wir uns sehr stark darauf, die Geschichte durch Beziehungen zu den anderen Mitspielern und durch Charaktere aufzubauen. Nicht selten bewegen wir uns dabei im leeren Raum.
Dass das klassische Impro normalerweise auf einer leeren Bühne stattfindet, heißt noch nicht, dass die Bühne auch leer bleiben muss. Theater ist, unter anderem, auch ein sehr visuelles Medium. Genauso wie durch Reden und Körpersprache, können auch visuelle Elemente den Zuschauern etwas erzählen, wenn nicht noch viel stärker.
»Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«. Visuelle Elemente aus einer improvisierten Darstellung herauszulassen heißt, mindestens ein Drittel der Ausdruckskraft von Theater zu opfern.
Was sind also diese »visuellen Elemente«? Wenn wir das Licht und die Kostüme außer Acht lassen, weil wir sie bei den Proben und Workshops selten benutzen, dann bleibt uns alles andere: welche Gegenstände befinden sich an dem Ort, wo unsere Szene stattfindet? Wie sehen sie aus? Haben sie besondere Merkmale, Details?
Ein Schrank ist nicht nur ein Schrank. Es ist vielleicht ein sehr alter, sehr schöner Schrank aus feingeschliffenem Mahagoniholz. Weil ihm ein Bein fehlt, steht er vielleicht nicht mehr gerade und eine Tür öffnet sich immer von alleine. Drinnen stehen vielleicht Gegenstände, die der Besitzer lieber versteckt hätte. Eine Leiche? Ein riesiger rosa Teddybär?
Alle Bühnenelemente, die wir auf der Bühne als Improschauspieler definieren können, geben uns und den Zuschauern Hinweise zum Charakter und zu der Situation, in der sich ein oder mehrere Spieler in der Szene befinden.
Dazu kommt auch etwas vielleicht noch weniger Sichtbares - die Atmosphäre. Die Atmosphäre ist nie neutral. Sie wird nur oft nicht bespielt und bleibt dabei unsichtbar. Ist es heiß oder kalt? Windig? Stürmisch windig, oder ist es nur eine leichte Sommerbrise? Wie spät ist es? 3.15 Uhr mitten in der Nacht, 8 Uhr morgens oder Mittag? Ist es dunkel oder hell? Riecht es nach Blumen oder kann man kaum atmen?
Ein Spieler, der sich in eine spezifische Atmosphäre einlebt, erzeugt sofort Präsenz und stellt automatisch eine Stimmung, eine Situation und einen Charakter dar. Die Geschichte kommt (fast) von alleine.
Also: Gestaltet, spürt und spielt mit dem Raum. Die Szene und die Zuschauer werden sich freuen.
Sonja stellt ihr gerade erschienenes Buch »Collective Improvisation: From Theatre to Film and Beyond« am 5.6. um 16.30 Uhr in der ufa Fabrik in Berlin-Tempelhof, Viktoriastraße 10-18 im Rahmen unseres Impro-Film-Festivals »Should I stay or should I go« vor. Für mehr Informationen hier klicken.
Teamplay - Du bist nicht allein
geschrieben von Christopher
Würde man alleine losziehen und einen Berg besteigen? Proviant und Kletterausrüstung einpacken, Routen festlegen, Hindernisse überwinden, Nachtlager aufschlagen und am Ende ohne Mitstreiter auf dem Gipfel stehen? Vermutlich nicht, denn es gibt zwei wesentliche Gründe, die dagegen sprechen: Es ist gefährlich. Und es macht in der Gruppe viel mehr Spaß.
Mit dem Improspielen ist es ähnlich: Ein Alleingang ist zwar nicht lebensbedrohlich, dennoch würde sich kaum jemand ohne Mitspieler auf die Bühne stellen. Warum auch, wo sich doch die Freude am Spiel und die Faszination des improvisierten Theaters erst im Miteinander wirklich entfalten kann. Zug um Zug, Schritt für Schritt, Wort für Wort.
Jede Improszene beginnt mit dem ersten Impuls, den ein Einzelner setzt. Bis ein Anderer folgt und den Impuls aufgreift, verändert oder weiterentwickelt. Bis ein Wechselspiel entsteht, das Synergien freisetzt. Wie ein Bergsteiger muss sich der Improspieler auf seine Gruppe verlassen und darauf vertrauen, dass man sich gegenseitig hält, nach oben hilft und auffängt, wenn man abzustürzen droht. Das erfordert ein Mindestmaß an Mut, aber man wird mit dem Gefühl von Sicherheit belohnt, sobald man spürt, dass es funktioniert.
Die Angst, mit leeren Händen vor das Publikum zu treten, kennt wahrscheinlich jeder Improspieler aus seinen Anfängen. Doch die Angst lässt sich überwinden durch die Gewissheit: Du bist nicht allein! Du hast deine Mitspieler, dein Team, das deine Bälle entgegennimmt und sie dir wieder zuspielt. Selbst wenn deine Kollegen dich mal hängen lassen sollten, gibt es noch den Musiker. Und falls sogar dem nichts einfällt, gibt es noch das Publikum. Auch das kannst du dir zum Mitspieler machen, denn Improvisation ist und bleibt Interaktion. Es gibt immer einen doppelten Boden. Und es gibt immer Mitstreiter, die mit dir zusammen das gemeinsame Ziel haben, den Gipfel zu erklimmen. Vertraue dir und deinem Team!
Christopher unterrichtet ab 21.5. den Impro4ever-Kurs »Songs/Stilistiken/Szenen«.
Neugier
geschrieben von Christoph
Komisch, das Wort »gierig« hat einen sehr negativen Klang, »neugierig« ist dagegen vorwiegend positiv besetzt. Man könnte also schlussfolgern: Gier an sich ist nichts Schönes, es sei denn, man giert nach dem Unbekannten. Das trifft auf Impro eigentlich immer zu, denn die Lust darauf, etwas neu zu entdecken, ist Voraussetzung fürs Spielen vom Theater mit offenem Ausgang, und je mehr ich mich aufs Glatteis wage, desto mehr Erfahrungen werde ich machen.
Diese Neugier kann sich auf sich selbst beziehen - ich gehe auf die Bühne und bin mal neugierig, wie ich reagiere, obwohl ich gar nicht weiß, was kommt. Und auf den Partner - was hast Du da in der Hand? Wie lange studierst Du schon Mathe? Deine Neugier bringt die Geschichte voran!
Bei unserem internationalen Festival, der IMPRO (13.3.-22.3.), haben die Kolleginnen und Kollegen, die aus 12 Ländern anreisen, quasi gar keine Chance, nicht neugierig zu sein. Mut ist dabei der ständige Begleiter der Neugier, denn auch ein erfahrener Spieler und eine erfahrene Spielerin brauchen Mut, z.B. in einer fremden Sprache zu improvisieren. Also MUSS die Neugier größer sein als die Angst, denn nur dann kann eine Kommunikation mit den anderen Akteuren, die ja zu 3/4 vor demselben Problem stehen, nämlich keine English Native Speaker zu sein, stattfinden. Neugier braucht aber auch das Publikum: darauf, einem kolumbianischen Improspieler ohne Worte oder einer italienischen Kollegin mit besonders vielen Worten zuzusehen.
Also: seid gierig auf Neues, bei anderen und bei Euch.
Kritisieren
geschrieben von Urban
Wie kann man etwas Kritisieren, was frei improvisiert ist?
Das erste, was man beim Improvisieren lernt, ist ja, dass es kein »Richtig oder Falsch« gibt! Impro ist reine Intuition und Freiheit. Und trotzdem kommen irgendwann Momente der Unzufriedenheit, wenn eine Szene nicht gut gelaufen ist und man das Gefühl bekommt, besser sein zu wollen.
Ist es denn nicht ein genereller Widerspruch, wenn Impro-Leute auf der einen Seite die Tugenden von »Feier Deine Fehler« und »Fuck the rules« zelebrieren, und auf der anderen Seite, Unzufriedenheiten mit sich rumtragen, ständig »besser« werden wollen und Frust empfinden und gegenseitig Kritik üben?
Dieser Widerspruch ist vorhanden, und macht es tatsächlich auch recht schwierig, konstruktive Kritik in Improkreisen zu üben.Dazu kommt: Improspieler sind faul. Disziplin, Ausdauer, Konzentration auf Verbesserung von Schwachstellen und klare Konsequenzen, wenn Verabredungen nicht eingehalten werden, gehören nicht zu den Stärken von vielen Improgruppen, die ich kenne. Wie oft gehen lange Diskussionen und Auswertungsrunden über die Qualität einer Show nicht mit einem klaren Maßnahmenplan zu Ende, sondern mit dem Zitieren des über allem stehenden Allheilmittels: »Ist eben Impro!« Das erzeugt auf die Dauer aber erst recht Frust. Und es braucht viel Vertrauen in seine Impropartner, um sich darüber kritisch auseinanderzusetzen. In einer vertrauensvollen Atmosphäre ist Kritik konstruktiv, und sie folgt drei goldenen Regeln: Die Kritik erfolgt zeitnah, sie ist konkret, und sie dient dazu, den anderen zu stärken, und nicht den anderen klein zu machen oder zu verletzen.Der Teufel steckt im Detail. Wenn man sich die Mühe macht, genau hinzuschauen, an welchem Detail man denn arbeiten will, um seine Qualität zu verbessern, sind die Chancen deutlich höher, seine persönliche Entwicklung zu kontrollieren.
Für eine Improgruppe, die sich entwickeln will, ist es auf jeden Fall angebracht, sich mit derlei Zusammenhängen auseinanderzusetzen, um zu sehen, ob man denn die gleichen Ziele hat.
Ich kenne Impro-Gruppen, die so lange am Storytelling gearbeitet haben, dass sie automatisch bei Minute 70 der Show bei der »größten Krise des Helden« angelangt waren! Aufschrei: »DAS ist doch kein Impro mehr!«
Da kann man sich lange streiten, aber klar ist: Je besser man die einzelnen Qualitäten des Improspiels beherrscht und trainiert hat, und je genauer man in der Gruppe weiß, dass auch die Partner dieselbe Vorstellung von »Storytelling«, »Status«, »Emotionaler Wahrhaftigkeit« usw. haben, umso vertrauensvoller kann ich mich auch bei der Aufführung fallen lassen und auf den Moment vertrauen! Und da funktioniert Impro wieder, wie jede andere Kunst auch: Wenn ich auf der Bühne stehe, und der Vorhang aufgeht, zählt nur die Intuition und der Moment und ich muss mich auf meine Vorbereitung verlassen, und ich darf nicht über das Reflektieren, was ich gerade tue – sonst ist jede Kunst tot: Sei es ein Klavierkonzert, Ballett, klassisches Schauspiel oder Impro. Und wie leicht oder ernst man die Kunst des Improvisierens auch nimmt, nach jeder Kritik sollte man sich an die weisen Worte von Randy Dixon erinnern: »If you had a good show – you should go with your friends and have a beer – If you had a bad show, you should go with your friends and have a beer.«
Prost!
Anfang vom Ende
geschrieben von Billa
Wann ist etwas zu Ende? Wenn Silvester die Korken knallen und ein neues Jahr beginnt? Wann ist eine Impro-Szene auserzählt? Man fängt sie an, entwickelt sie weiter und will irgendwann ein Ende. Arbeitet regelrecht drauf hin. Eigentlich wollen wir Impro-Spieler doch im Moment sein (auch im Leben, also nicht ans Ende denken, denn das Ende kommt sowieso und alles hat ja bekanntlich ein Ende). Impro-Spieler lieben das Ungewisse, behaupten sie. Lieben es, nicht zu wissen was sie tun, behaupten sie. Wollen am Ende aber doch alles fertig erzählt haben, und zwar genau so, wie sie denken, dass das das Ende ist.
Spannend ist, wenn man es sich zur Aufgabe macht, das Ende so stehen zu lassen, dass es kein Black und keine wilde Geste (»…und black«) von außen braucht. Es als Spieler mitzubekommen: hier ist Ende, und dann selbstbestimmt auszuhalten, dass es das war. Vielleicht bleibt manches unerzählt. Aber lieben wir nicht die Enden, die offen sind und ist es nicht schön, wenn man dem Zuschauer seine eigene Phantasie lässt?
Ich sage nicht: lass alles laufen, das Ende kommt von selbst. Ich sage: wenn es kommt, sieh es und setze dich dafür ein, dass es kommt. Akzeptiere das Ende und schenk ihm Aufmerksamkeit und Respekt. Halte es aus, dass nichts mehr zu tun ist. Das erfordert Mut. Und Vertrauen in die eigene Intuition, mitzubekommen, dass etwas vorbei ist. So entstehen in der Improvisation oft überraschende Enden, mit denen keiner gerechnet hat. Autoren sitzen oft jahrelang daran, ein solches überraschendes Ende zu kreieren. Bei einer Impro passieren uns diese magischen Momente manchmal einfach so. Sie als solche zu erkennen, setzt viel Wachheit und Akzeptanz im Spiel voraus. Und wie gesagt, Mut.
In diesem Sinne: bringt die Sachen mutig zu Ende, schon zum Jahresanfang! Alles Liebe!
Ende vom Ende
2014
Geschichtenerzählen
geschrieben von Michael
Ich stamme aus dem Süden Deutschlands, einer ländlichen Gegend mit fast mediterranem Klima, vielen kleinen Dörfern, Bauernhöfen und Weinbergen. In der Weihnachtszeit liegt meist viel Schnee und die Abende verbringt man oft mit frischen Walnüssen, Linzer Torte, Zwiebelkuchen und einem Glas Gutedel, dem hiesigen Wein. Dabei werden Geschichten erzählt, Geschichten von früher, wahre Geschichten von Erlebtem, von schon oft Erzähltem.
Dieses Geschichtenerzählen muss gelernt sein. In der heimischen Stube genauso wie auf der Bühne.
Doch wie tun wir das? Erst wenn wir eine Ausgangssituation erschaffen, die das Erzählte mit dem Zuhörer verbindet, ist eine Grundlage für das gemeinsame Empfinden gegeben. Erst wenn es uns als Erzähler gelingt, die Distanz zum Zuhörer aufzulösen, wird er für unsere Geschichte empfänglich und berührbar.
Das kann durch in der Geschichte vorkommende Charaktere ebenso wie durch das Erschaffen eines Schauplatzes geschehen oder durch detailliertes Beschreiben einer Situation, in der sich der Zuhörer wiederfindet.
Wir schaffen also bei der Eröffnung einer Geschichte ein Wiedererkennen, eine Verbundenheit, ein heimeliges Gefühl. Und je sorgfältiger und detailverliebter wir in dieser Phase des Geschichtenaufbaus vorgehen, umso stärker ziehen wir den Zuschauer/Zuhörer in unsere Geschichte hinein.
Er wird selbst zu einem Teil der Geschichte, die Freude des Protagonisten wird seine Freude werden, so wie die Hoffnung zu seiner Hoffnung und die Liebe zu seiner eigen Liebe wird. Die Geschichte ist auf den Weg gebracht.
Wenn wir als Erzähler nun diese Freude, Liebe, Hoffnung ins Wanken bringen, wird auch die Freude, Liebe, Hoffnung des Zuschauers ins Wanken gebracht. Er begibt sich gemeinsam mit dem Protagonisten hinein in die Gefahr, gemeinsam mit ihm auf fremde Planeten, in eine Märchenwelt oder geht mit ihm auf einen Abgrund zu. Er folgt uns in die Apokalypse oder ins Paradies oder ins Verderben. Unser Zuschauer wird zum Liebenden oder zum bestialischen Mörder. Freude und Schmerz werden zu seiner Freude und zu seinem Schmerz. Unsere Geschichte ist seine geworden, seine Phantasie wird das übrige tun.
Wir Darsteller und Erzähler sind zum Stellvertreter des Zuschauers geworden und es liegt jetzt an uns, ob wir den Ausgang der Geschichte ins Happyend führen, in die Hoffnungslosigkeit oder ob wir das Ende offen lassen. Der Zuschauer wird die Geschichte mit nach Hause nehmen, darüber nachdenken, vielleicht weitererzählen, etwas hinzutun… Nur vergessen sollte er sie nicht.
In diesem Sinne: Schöne Weihnachten!
Behaupten
geschrieben von Konstanze
Wann haben wir eigentlich angefangen unsere Stirn in Falten zu legen, wenn wir etwas nicht verstehen? Wenn man sich kleine Kinder anschaut, für die die ganze Welt neu und unbegreiflich sein muss, sieht man selten ein Stirnrunzeln. Ich beobachte oft, vor allem in den sogenannten Warm-up-Spielen, die ja eigentlich dafür da sind, sich warm zu machen und nicht eloquent zu sein, dass da die Stirn in Falten gelegt wird, die Augen nach oben verdreht werden oder panisch mit dem Kopf geschüttelt wird.
Irgendwas scheint nicht »richtig« sondern voll doof zu sein, irgendwas wird da abgelehnt: »Ich habe keine Ahnung was ich sagen soll, ich habe keine Ahnung was Du meinst, oh Gott, bin ich schlecht, ich komm nicht hinterher!«…
Schade, dass wir da unseren Erforscher-Geist anscheinend verloren haben, der sagen würde: »Ich habe zwar keine Ahnung, was ich da sage, ich habe zwar keine Ahnung was Du meinst, wo das ganze noch hinführen soll, aber hey, es ist voll spannend.«
Müßig zu erklären, dass in einer Welt voller Reglementierung und Rügen - wenn’s nicht die Eltern erledigt haben, dann spätestens die Schule - wir uns selber irgendwann reglementieren und rügen. Inzwischen signalisieren wir selbst: »Ich verstehe dich nicht, also bist du komisch /seltsam/ spinnert.« Meist meinen wir: »Ich verstehe Dich nicht, bin ich zu blöd?«
Aber Unverständnis wird eben oft mit Ablehnung gleichgesetzt. Theater ist Behauptung. Hurra!
Und so kann man, selbst wenn innen drin die kleine Panik tobt, einfach behaupten, man finde das alles geil. Auch wenn man nur »Bulb« sagt oder »Schronk« hört.
Man muss nicht mal dran glauben, dass man das toll findet. Es reicht völlig, wenn man erst mal äußerlich so tut. Du setzt Dir einfach ein staunendes Lächeln auf und schwellst ein bisschen Deine Brust mit Stolz und ich garantiere dir, das Warm-Up-Spiel wird wesentlich besser flutschen.
Denn Deine Mitspieler werden sich unterstützt fühlen, wenn Du sie freudvoll anschaust, bei dem was sie von sich geben und sie werden Dich toll finden, weil Du das, was Du von Dir gibst, so lustvoll verkaufst. Und irgendwann findest Du Dich vielleicht wirklich für einen Moment mal wieder so genial, wie Du es warst als Kind und »Bulb und Schronk« werden die Helden einer großartigen Fantasy-Geschichte....
Der Körper folgt zwar einerseits den Gefühlen: wenn Du was toll findest, strahlt dein Gesicht. Aber die Gefühle folgen genauso dem Körper: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass nur durch die rein mechanische Bewegung der Mundwinkel nach oben, Glückshormone ausgeschüttet werden. Diese Tatsache eröffnet einen Schauspielweg, der frei von dem ganzen Authentizitäts-Druck »Ich- muss-das-jetzt-aber-ganz-authentisch-fühlen« macht. Ein klarer Ausdruck, eine klare Behauptung –vor allem auf der Bühne- ist oft wichtiger als ein tiefempfundenes Gefühl, was sich aber nicht im Körper veräußert. Michael Tschechow hat sich sehr mit dieser Schauspieltechnik beschäftigt und ganze Bücher mit Übungen dazu verfasst. Lohnenswert.
Im Übrigen gilt dieses Behauptungsprinzip für alle Emotionen. Stell Dich mal in eine Pose der Wut: und? Bist Du schon ein bisschen wütend?
Momente der Stille
geschrieben von Lutz
rasant, turbulent, spontan! überwältigende spielfreude und energie. ein impuls, noch einer und dieser erst - zack und los! wie das sprudelt!
improtheater begeistert durch geschwindigkeit, kreativität, schnelle ideen aus dem vermeintlichen nichts. kurzweilig, knackig, kernig. vielleicht so wie das leben in berlin mit seinen vielen angeboten und seinem tempo.
eine metropole braucht aber auch ruhezonen, orte zur besinnung, nischen in die man sich zurückziehen möchte, um mal einen gang runterzuschalten, um zu spüren, einen moment innehalten zu können. ohne diese räume, wäre das leben in einer solchen stadt wahrscheinlich viel zu anstrengend und aufreibend.
wie wohltuend können solche räume, momente in einer pulsierenden improshow auf der bühne sein. sie brechen den möglicherweise zu gleichförmigen rhythmus. sie geben dem publikum raum, zu spüren, was gerade ist, nachzuspüren was gerade war. eine andere atmosphäre entsteht. neue emotionen tauchen auf oder bestehende prägen sich stärker aus. leises, sanftes, feines bekommt eine chance, vielleicht um so mehr, wenn für einen moment die sprache ausbleibt. nun wird die seele »angesprochen« und der intellekt darf ruhen.
eine facette der kunst des improspielens ist es vielleicht, mal einen moment still zu halten und nicht in die nächste atempause des mitspielers reinzugretschen, sei der spieltrieb auch noch so groß.
es braucht diese momente der stille, um das turbulente und deinen mitspieler zum glänzen zu bringen!
Tu was! (engl.: Act)
geschrieben von Robert
Was bis in den Profibereich hinein immer wieder vernachlässigt wird beim Improvisieren ist das Handeln auf der Bühne. Wie oft sieht man die Spieler stehen und quatschen. Das kann eine Weile tragen, aber früher oder später wird das Fehlen von Aktion, Körperlichkeit, Raum und Atmosphäre, die erst durch das Handeln und Interagieren entstehen, immer deutlicher.
Daher ist eine der hilfreichsten Faustregeln für Akteure: Etabliere den Raum! Beginne damit!
Über das Etablieren des Raumes, was am besten durch Handeln passiert, findet man auch unweigerlich zu einer Figur, einer Stimmung, einem Hoch- oder Tiefstatus und: Der Spielpartner, der offstage beobachtet, hört nicht nur, wie jemand etwas erzählt, sondern er sieht eine Figur enstehen, die geschickt oder ungeschickt ist, träge oder flink, leise oder laut etc. Zudem ist plötzlich ein Raum da: ein Schiff, ein Bäckerladen, ein Strand, eine Disco... kurz: ein starkes Angebot, eine Inspiration.
Auch für den Zuschauer ist es spannend, diesen Charakter plus Raum beim Enstehen zu beobachten, und der handelnde Spieler ist den Druck los, sofort die ganze Geschichte erzählen zu müssen.
Eine gute Variante des reinen Etablierens durch Handeln ist das Stagepainting: Das Beschreiben des Bühnensettings. Das geschieht meistens durch eine neutrale Erzählerfigur, die dabei über die Bühne geht und bei jedem Element der imaginären Kulisse kurz verweilt. Es kann aber auch - wie z.B. beim Domino-Reigen - schon in der Figur geschehen.
Die wichtigsten Aspekte beim Handeln sind: die körperliche Bewegung des Spielers und die Welt der (imaginären) Gegenstände als Ergänzung zur verbalen Ebene. Alles zusammen erst gibt der Szene Tiefe, den Spielern vielfältige Inspiration und dem Zuschauer den vollen Genuss der Möglichkeiten von Improtheater.
Über Faulheit, Perfektion und das Pareto-Prinzip
geschrieben von Thomas
Endlich Ferien, endlich Urlaub, endlich mal faul sein!
Aber warum gönnen wir uns eigentlich nicht viel mehr Faulheit im Alltag?
Weil wir meistens perfektionistisch orientiert sind und das Gefühl haben, immer 100% bringen zu müssen.
Auch hier kann man vom Improvisieren was lernen. Denn wenn wir improvisieren, wissen wir ja, daß wir nicht perfekt sein können und es geht uns auch gar nicht darum. Wäre ansonsten ein Wahnsinn, denn theoretisch müsste der perfekte Improspieler das absolute Universalwissen haben, um zu jedem Raum, jedem Beruf, jedem Genre, jeder historischen Epoche, jeder Situation mehr als nur Klischees abzurufen.
Klar: wenn es beim Klischee bleibt, wird es irgendwann öde. Und daher ist es toll, wenn man als Improspieler neugierig ist; Menschen über ihre Berufe ausfragt, Filme schaut, die man vielleicht sonst nicht schaut, weiß, was gerade los ist, wer oder was in ist oder out. Aber ein gesundes Halb- oder 3/4-Wissen ist da völlig ausreichend.
Übrigens kommt uns da auch das sogenannte »Pareto-Prinzip« zu Hilfe. Vilfredo Pareto untersuchte die Verteilung des Bodenbesitzes in Italien und fand heraus, dass ca. 20 % der Bevölkerung ca. 80 % des Bodens besitzen. Diese 80/20 Regel findet sich auch in statistischen Untersuchungen aus anderen Bereichen (so sind 20% der Konsumenten für 80% des Umsatzes verantwortlich). Im Zeitmanagement ist es so, daß man oft nach 20% der Arbeitszeit bereits 80% des gewünschten Ergebnisses erreicht hat. Wenn ich mich also mit 80% Ergebnis zufrieden gebe, brauche ich nur 20% der Zeit, die ich für die Aufgabe bräuchte, wenn ich perfektionistisch bin (das sollte man als Herzchirurg vielleicht nicht so tun, aber in vielen Aufgaben reichen 80% durchaus).
Impro im gesellschaftlichen Kontext
Geschrieben von Prof. Dr. Wolfgang Nickel, ehemals Professor an der Universität der Künste Berlin und Autor von »Improvisationstheater. Ein Überblick: Das Publikum als Autor«
1. Historische Texte (zur gegenwärtigen Problematik)
2. Spiel- (Trainings-)Vorschläge zum Problem der Entscheidung
Dennis Meadows: Die Grenzen des Wachstums.
Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit (1972)
Es gibt grundsätzlich nur die Alternative zu warten, bis die Kosten technologischer Lösungen die Kraft der Gesellschaft überschreiten oder bis die Nebenwirkungen der Technologie selbst das Wachstum unterdrücken oder bis Probleme auftreten, für die es keine technologischen Lösungen gibt.
Dann aber wird es zu spät sein, um noch zu wählen. Das Wachstum wird dann durch Lasten abgewürgt, die sich dem menschlichen Einfluss entziehen und, wie das Weltmodell erkennen lässt, sehr viel schwerwiegender sein könnten als die, welche sich die Gesellschaft selbst auferlegen müsste. 139
Wir sind überzeugt, dass eine klare Vorstellung über die quantitativen Grenzen unseres Lebensraums und die tragischen Konsequenzen eines Überschießens seiner Belastbarkeit dafür wesentlich ist, neue Denkgewohnheiten zu entwickeln, die zu einer grundsätzlichen Änderung menschlichen Verhaltens und damit auch der Gesamtstruktur der gegenwärtigen Gesellschaft führen. 170 Wir vertreten in der Tat die Ansicht, dass soziale Innovation nicht mehr länger hinter der technischen zurückbleiben darf, dass die Zeit für eine radikale Reform institutioneller und politischer Prozesse auf allen Ebenen einschließlich der höchsten, der Ebene der Weltpolitik, reif ist. Wir vertrauen darauf, dass schon unsere Generation die Herausforderung annehmen wird, wenn sie nur die tragischen Konsequenzen weiterer Tatenlosigkeit richtig einschätzt. 173
Eppler: Ende oder Wende.
Von der Machbarkeit des Notwendigen 1975
Für jeden Monat, in dem im Süden die Bevölkerungsexplosion ungehindert weitergeht, die Zahl der Arbeitslosen weiter wächst, tropische und subtropische Wälder rücksichtslos abgeholzt werden, fruchtbare Böden erodieren, verkarsten oder - bei uns - durch Überdosen von Pestiziden vergiftet werden, knappe Rohstoffe oder Energieträger vergeudetet, Meere vergiftet und Landschaften mit Beton überzogen werden, muss spätestens die nächste Generation bezahlen. 60
Gibt es eine Möglichkeit, das mittel- und langfristig Nötige dem Bürger so nahe-zubringen, dass es auch das kurzfristig Verständliche und Akzeptable werden kann?
Mit wievielen längerfristigen Aufgaben darf man den Bürgern konfrontieren, ohne dass er kopfscheu sein Heil in der Reaktion sucht?
Wieviel an Risiko für die kurzfristige politische Legitimation muss der Politiker auf sich nehmen, wenn er seiner längerfristigen Verantwortung einigermaßen gerecht werden soll? 61
Wenn es eine Tendenzwende gibt, kann sie nach Carl Friedrich von Weizsäcker ‚nicht die Rückkehr zu einer unwiderruflich versunkenen Vergangenheit« bedeuten. Im Gegenteil: sie »verlangt eine weniger oberflächliche und insofern radikalere Form des Fortschritts«. 125
Club of Rome: Bericht für die achtziger Jahre.
Das menschliche Dilemma. Zukunft und Lernen, Hg. von Aurelio Peccei (1979)
Da sie (die Menschen unserer Zeit) sich der Veränderungen, die sie an ihrer Umwelt und ihren eigenen Lebensbedingungen vornehmen, nicht bewusst sind, wird der Zwiespalt zwischen Mensch und realer Welt immer größer. Diesen Zwiespalt bezeichnen wir als menschliches Dilemma, dessen Ausmaß, obwohl jetzt bereits weltläufig und gefährlich, sich nahezu unvermeidbar vergrößern wird. 11
Primäres und grundlegendes Ziel ist das Überleben der Menschheit. ... Überleben beginnt mit der Vorsorge für adäquate Nahrung, Schutz und Gesundheit. 37
Partizipation heißt, eine aktive Rolle übernehmen. Um zu vermeiden, dass man eine Rolle zugewiesen bekommt, ist es notwendig, auf eine möglichst große Anzahl von Rollen vorbereitet zu sein. 62
Werte sind von entscheidender Bedeutung für die Entscheidungs-findung. Der Entscheidungsfindungsprozess basiert auf der Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen und die künftigen Folgen gegenwärtiger Entscheidungen zu prüfen. 73
... Lernen der Bereich ist, der zweifellos die größte Bedeutung für unsere Zukunft haben wird ... 165
Wo die Wissenschaft am nötigsten gebraucht wird, ist sie am wenigsten verfügbar; und am leichtesten verfügbar ist sie im Rüstungswettlauf. ... Sie wird auch in der Erforschung des Weltraumes eingesetzt, die jedoch weniger dringlich ist als Forschung im sozialen Bereich. 178
Zum Abschluss: Betrachtet man die heute sichtbaren Tendenzen auf dem Gebiet der Energieversorgung, in den verschiedenen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, im Rüstungswettlauf und bei vielen anderen Konflikten, so entsteht ein düsteres Bild für das Jahr 2000 und später. ... werden wir mit der Möglichkeit eines katastrophalen Irrtums mit unvorstellbaren Konsequenzen konfrontiert. 189
Entscheidungsfindung
Die unterschiedlichen Strebungen (Shakespeare: To be or not to be), Angst und Lust, »Soll ich oder soll ich nicht?«, die inneren Diskrepanzen, die Unentschiedenheit, die Suche nach einer Entscheidung ... werden von Philosophen, Psychologen mit unterschiedlichen Termini benannt, in unterschiedlichen Modellen verbildlicht.
Antike Vorstellungen (Platon, Aristoteles, später auch bei Goethe z.B. im Egmont): die Leidenschaften als Pferde, der Mensch als der Wagenlenker, der die Zügel hält und den Wagen steuert.
Freud: Ich, Es, Über-Ich
bzw. Transaktionsanalyse (Eric Berne): Eltern-Ich, Kind-Ich, Erwachsenen-Ich
bzw. Schulz von Thun: Das innere Team (ebenfalls uralt: »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust ...« – heute sind es ein paar mehr).
All diese »Vorstellungen« lassen sich als »Rollen« realisieren, gegeneinander diskutieren, miteinander spielen.
Präsent sein
geschrieben von Regina
Wir können gedanklich schnell vor und zurück springen, Pläne schmieden, so ganz nebenbei an etwas völlig anderes denken. Wenn ich für zehn Minuten versuche nur das wahrzunehmen, was gerade in diesem Moment passiert, ist das nicht ganz einfach. Schon flitzen meine Gedanken zu dem Treffen heute Vormittag oder ich sehe mich im Zug sitzen, da morgen mein Urlaub beginnt. Diese gedankliche Flexibilität ist eine unglaubliche Fähigkeit, warum also im Moment sein, wenn’s auch viel komplexer geht?
Wir improvisieren mit dem ersten wahrgenommenen Angebot, weil wir für alles offen sein wollen, was kommt. Mit dieser Offenheit und Aufmerksamkeit kann ich darauf vertrauen, dass etwas geschieht, ohne dass ich etwas vorplane oder –denke. Gleichzeitig hellwach sein und ganz gelassen. Das ist für mich ein Bild von Präsenz.
Ein Moment, ein Angebot – daraus entwickle ich mit meinen Spielpartnern eine Geschichte. Beim Improvisieren auf der Bühne und beim Unterrichten lenken wir unsere Konzentration auf alles, was gerade passiert. Welche Angebote gibt es? Was wird geäußert, welche Stimmung entsteht im Raum? Alle Wahrnehmungsantennen sind ausgefahren - auch für mein eigenes Befinden, wo stehe ich gerade, was äußere ich? Das Angebot kann ein Schulterzucken meines Partners oder mein Schmunzeln oder ein umgefallenes Weinglas im Zuschauerraum sein. Wenn diese drei Ereignisse- mein Partner zuckt, ich muss schmunzeln, das Weinglas fällt um- unabhängig und gleichzeitig geschehen, was nehme ich als Angebot auf? Ich fokussiere und treffe eine schnelle vielleicht auch intuitive Entscheidung. Wie die Entscheidung gefällt wird, hängt auch davon ab, was mich - beim Impro- gerade beschäftigt, worauf wir als Gruppe gerade den Fokus legen, was mich gerade anspricht. Aber auch davon, was mich gerade verunsichert oder aufregt und dann vermeide ich das Angebot. Diese schnelle Entscheidungsfindung hat mit meiner Erfahrung und aktueller Befindlichkeit zu tun.
Es ist wie ein Kitzel, wenn wir auf der Bühne plötzlich gemeinsam dieselbe Entscheidung treffen, unseren Fokus auf dasselbe Ereignis legen. Wenn wir diese Aufmerksamkeit für uns und den Moment gemeinsam spüren, dann ist das einfach ein tolles Gefühl. Etwas nicht Alltägliches entsteht, mit voller Konzentration auf meine Umgebung und mich. Es hat für mich etwas sehr verbindendes, wenn ich spüre, dass wir alle gerade gemeinsam offen sind für den Moment. Etwas geschehen lassen, loslassen, absichtslos spielen. Gedanken, Bewertungen, Erwartungen fallen lassen und einfach vertrauen, dass wir alle wach füreinander sind, das sich eine Idee entwickeln wird. Diese Offenheit und Gelassenheit schaffen wir immer wieder von Neuem- auf der Bühne, im Unterricht, im Leben. Mal klappt’s, mal nicht. Mal schauen, was passiert!
Wieso schreibst Du eigentlich nicht selbst was über Konflikte?!?
geschrieben von Lee White, CRUMBS
Mann, ich hasse Konflikte in meinem Leben. Ich halte einiges aus um sie zu vermeiden. Streits und Spannungen – wer braucht das schon?
Tja, Geschichtenerzähler brauchen sie. Jeder Film hat einen. Interne, externe – selbst im Weltraum! Konflikte sind überall. Also warum nicht auch in unseren Improszenen? Wenn ein menschliches Element im Leben existiert, dann sollte es auch auf der Bühne Platz haben. Ihr sagt vielleicht, ihr möchtet keine Streitereien auf der Bühne sehen. Doch Improspieler verwechseln Streitigkeiten und Konflikte gerne mal: Sie sind nicht dasselbe. Sich darüber auszulassen, wer nun besser im Golfen ist, das ist nicht der Punkt. Ich denke, meistens kommt sowas davon, wenn ein Spieler als Gewinner aus einer Geschichte hervorgehen will, unabhängig davon, worum es in der Geschichte geht. Jeder will gut aussehen. Jeder möchte, dass der eigene Charakter besser aussieht, lustiger ist und das schlagkräftigste Argument hat. Deshalb kämpft man um Status und Lacher. Es geht ums Ego.
Deshalb sagen Lehrer manchmal »kein Konflikt!“ zu neueren Improschülern, damit sie besser zusammenspielen. Lieber eine neue Regel aufstellen, als kleinteilig zu erläutern wie es funktioniert und wie wir Konflikte nutzen können. Oder?
Ich weiß nicht, wie es bei Euch ist, aber wenn mir jemand sagt »tu niemals dies« oder »das wird nie funktionieren«, dann versuche ich umso mehr, einen Weg zu finden.
Konflikte können ein großartiger Weg sein, um Charaktere und ihre Motive zu etablieren. Wenn eine Mutter und ihr Teenager in einer Szene ein Problem miteinander haben, kann man dieses nutzen, um eine Basis für ihre Beziehung zu legen. Wir können diesen ewigen Kampf zwischen Teenager und Eltern als Grundlage nehmen für ihr spezielles Problem, die jeweils andere Sichtweise einzunehmen und einen Perspektivwechsel einzugehen. Wenn sie in jeder Szene gut auskommen, wird es sehr, sehr schwer, eine komplexe Beziehung aufzubauen. Sollten zwei Charaktere immer einen Konflikt miteinander haben? Nein. Manche? Ja. Und manchmal muss dieser Konflikt auch von Beginn an aufgezeigt werden. Ein Superheld und Bösewicht können am Anfang Freunde sein und dann langsam eine Hassbeziehung wachsen lassen. Aber manchmal sind die Bösewichte eben auch einfach böse und haben keine gemeinsame Geschichte mit dem Helden.
Sollte ihre erste Szene dann besser keinen Konflikt haben? Um Himmelswillen nein: Nur weil zwei Charaktere einen Konflikt miteinander haben, heißt das nicht, dass sie nicht für dasselbe Ziel eintreten können. Zwei Mitglieder einer Armee oder eines Teams können damit beginnen, sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen, über verschiedenste Themen anderer Meinung sein. Am Ende sind sie aber trotzdem zusammen im Einsatz. Konflikt kann es auch sein, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen, auch wenn man sich eigentlich liebt. Man kann dazu unendlich viele Beispiele und Szenarios finden, denn »Konflikt« hat viele variierende Abstufungen.
Also lass Konflikte für Dich arbeiten. Du musst es schlau anstellen. Schrei nie jemanden auf der Bühne an, den Du noch nie getroffen hast oder der Deine Spielweise nicht kennt. Dein Mitspieler muss sich wohlfühlen und ihr müsst das »Konflikt-Spiel« beide beherrschen. Wer zu schnell einknickt oder den Szenenverlauf nicht absehen kann, lässt die Szene leiden und sieht vielleicht am Ende aus wie ein aufdringlicher Idiot. Ein guter Improspieler erkennt, mit wem er arbeitet und passt sich entsprechend an. Wir können auf der Bühne schnell schlechte Zuhörer sein, umso mehr wenn wir schreien. Stelle sicher, dass, je mehr Dein Charakter außer Kontrolle ist, Du umso mehr Deinem Partner zuhörst. Manchmal wird Dir Dein Partner mit dem, was der Charakter sagt, Hinweise geben, wie er sich gerade als Schauspieler fühlt.
Nicht alle Konflikte beginnen bei 100%, nicht alle starten bei 0,01%. Abwechslung ist wichtig. Gib mir die Freiheit oder gib mir den Tod.
Du (und Dein Szenenpartner) sollten den Unterschied kennen zwischen dem Konflikt der die Beziehung zweier Charaktere begründet und dem übergreifenden Konflikt der Geschichte. Sie haben vielleicht Verbindungen, aber sie sind nicht dasselbe.
Also empfehle ich Konflikte und Streits? Nur auf der Bühne.
Why don't YOU write something about conflict?!
written by Lee White, CRUMBS
Man I hate conflict in my life. I go through great pains to avoid it. Arguments and tension. Who needs it? Well, story tellers do, I guess. Every movie I see has got one. Internal, external, even in space. Conflict is everywhere.
So why not have one in our improv scenes? If some human element exists in life it should exist on stage. You may say you don’t want to see an argument on stage. Well yes, sometimes improvisers confuse arguments for conflict. Arguments and conflicts are not the same. Rambling on about whose car is faster or whose better at golf. This is not the point to conflict. I think mostly it comes from actors trying to come out as the winner, regardless of what the story is. Everyone wants to look good. Everyone wants their character to look better, be funnier and have the winning argument. So they fight for status and laughs. Its all ego.
So teachers sometimes say „no conflict“ to newer students of improv, to help them play nice together. Better to make up a rule than find the way to explain how it works and how we can use it.
Right?
I don’t know if you are like me but when I hear someone say »never do this« or »this will never work«, I like to try to find a way to make it work.
Conflict can be a great way to establish characters and their motivations. In a scene a mom and teen have problems: It can be used to lay a base for their relationship. We can use that eternal struggle between teen and parents as a way to establish their over all conflict of understanding each other's view. If they get along in every scene, it's hard, really, really hard to establish their complex relationship. Should every two characters have a conflict? No. Should some? Yes. And sometimes their conflict needs to be established from the start. A superhero and villain could be friends to start and then one can grow to hate the other but sometimes villains just are evil and have no prior history with the hero. So should the first scene between them have no conflict? Hell no. Just because two characters are having a conflict it still means they can be fighting for the same thing. Two members of an army or a team could start with aggravating or annoying each other, disagreeing on a rainbow of topics. In the end they come together. Conflict can just be two characters giving each other a jokingly hard time when they really love each other. We could find who knows how many examples and scenarios to illustrate this, as conflict has so many varying degrees.
So make the conflict work for you. You got to play it smart. Never start yelling at someone you have never met on stage or isn’t familiar with the way you play. Making your scene partner comfortable is important. You both have to know the conflict game. If they give in too soon or don’t see the trajectory of the scene, the story will suffer and you may look like a pushy jerk. A good improvisor sees who they are working with and adapts accordingly. We can be terrible listeners in scenes and much worse when we scream. Make sure the more out of control your character is the more you listen to your partner. Sometimes your partner might give you a big clue of how they are feeling as an actor by what they say as a character. Not all conflicts start at 100%, not all start at 0.01%. Variety is the spice of life. Give me liberty or give me death.
You (and your scene partner) have to know the difference between a conflict to establish two characters relationship and the over all conflict of the story. They may have connections but they are not the same thing.
So do I recommend conflict and arguments? Only on stage.
Ziele
geschrieben von Leon
Was will ich? Wo möchte ich hin? Wie stelle ich mir meine Zukunft vor?
Schwierige Fragen, die wir im Leben nicht immer beantworten können. Auf der Bühne aber sollten! Jeder Charakter braucht ein Ziel, ein »Need«, eine Richtung. Es ist besser, etwas zu wollen als etwas nicht zu wollen. Erst dann kann es Helfer, Gefährten und Feinde geben. Für die Impro-Szene ein Riesenvorteil, denn jedem spannenden Konflikt liegt ein unerfüllter Wunsch, ein unerfülltes Ziel zugrunde. Das wissen wir von der Heldenreise (siehe: Joseph Campbell »Der Heros in tausend Gestalten« und Christopher Vogler »Die Odyssee des Drehbuchschreibers«) und vielen interessanten Geschichten.
Aber wie finde ich auf der Bühne die Antworten und damit ein Ziel?
Indem ich mich auf meinen Charakter einlasse und dann schaue, was mir noch fehlt, um vollkommen zu werden. Das wäre ein inneres Ziel. Es kann auch äußere Ziele geben. Es kann aber auch sein, dass mich das äußere Ziel in Bewegung bringt, um das Innere zu erreichen. Es können kleine Ziele für kleine Geschichten oder große Ziele für abendfüllende Storys sein. Wer auf der Bühne ein Ziel findet, wird automatisch zum Helden. Wenn du das Ziel nicht findest, findet es vielleicht dich oder dein Mitspieler für dich. Du musst es nur suchen.
Und welches Ziel sollte der Spieler in der Szene haben?
Das muss jeder für sich herausfinden, denn es hat mit den eigenen Stärken und Schwächen zu tun. Diese Ziele sollten aber nicht stärker als der Wunsch nach guter Zusammenarbeit sein, denn sonst sind wir nicht mehr offen für den Moment. Geh frei in die Szene und finde ein Ziel für den Charakter und die Geschichte.
April steht für Aufbruch, Neues und Verlockung – Es ist Frühling und Zeit für neue Ziele.
Say yes
geschrieben von Christoph
»Say yes - sag ja« ist das Motto der diesjährigen IMPRO, des internationalen Festivals, das wir Gorillas seit dem Jahr 2001 veranstalten. »Sag ja« ist die vielleicht knappste Zusammenfassung von Improvisationstheater, denn das ja-sagen, das Akzeptieren dessen, was da ist, ist die Grundlage allen Zusammenspiels. Manchmal entsteht das Missverständnis, dass ja sagen heißt, Konflikte bzw. Auseinandersetzungen zu vermeiden. Das ist mit »sag ja« aber nicht gemeint, sondern vielmehr das offen sein für Unbekanntes, die aktive Neugierde auf Unvorhergesehenes und eben die Bereitschaft, sich einzulassen auf DIE Mitspielerinnen und Mitspieler, die da sind, auf DAS Angebot, das gemacht wurde, auf DEN Raum, in dem man improvisiert.
Und das internationale Festival bedeutet für mich die beglückendste, die schönste Form des ja-sagens, die ich kenne. Denn die Faszination des Verständnisses über Länder- und Sprachgrenzen hinweg, die Begegnung zwischen Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt geht über das hinweg, was die Mühen der Ebene des Impro-Alltag ansonsten bieten, denn es verlässt die Routine des Vertrauten und des manchmal doch schon allzu Bekannten und eröffnet verstärkt die Möglichkeit, ja zu sagen zum Neuen, zum Fremden, es fördert die Lust zur Suche nach der Überraschung. Und es erhöht die Chance und die Wahrscheinlichkeit zu scheitern, denn natürlich gilt bei der Impro: aus dem Scheitern lernen wir noch mehr als aus dem Gelingen.
Sag also ja in diesem Monat nicht nur vielleicht zu einem Besuch eines Impro-Formats im Rahmen des Festivals, das Du nicht kennst, sondern sag ja könnte für Dich in diesem Monat beim Besuch von Kursen der Impro-Schule auch heißen: ich geh in die Szene, ohne zu wissen, was ich machen werde...
Wie Impro-Regeln unsere Einstellung beeinflussen können
geschrieben von Barbara
In der Improwelt üben wir uns an Regeln zu halten, z.B.: Akzeptiere die Ideen der anderen und auch deine eigenen, Lass deinen Partner nicht hängen, Geh rein auch ohne Idee, Ja genau und… und vieles mehr. Damit beeinflussen wir unsere Einstellung zum Positiven! Wir üben uns im Ja sagen zu allem, was auf der Bühne geschieht, im "da sein" und die Spielpartner zu unterstützen, Verantwortung zu übernehmen und Geschichten weiter zu entwickeln oder auch zu helfen, wenn andere uns brauchen.
Unsere persönliche, ganz private Einstellung (zum Tagesgeschehen, zu bestimmten Personen, Situationen, letztlich zum Leben) hängt oft zusammen mit unserer aktuellen Befindlichkeit oder mit Dingen, die wir (früher oder kürzlich) erlebt haben. Sie beeinflusst, wie wir unseren Kollegen und Spielpartnern begegnen. Wir haben für unsere Einstellung unsere guten Gründe. Wichtig ist, sich selber auf die Spur zu kommen, zu erkennen, was für Gefühle und Gedanken wir im Bezug auf (Ort, Person, Situation) haben. Man muss nicht alles veröffentlichen, aber überprüfe mal, mit welcher Einstellung du zum Spielen kommst…
Auja?
War das ein Scheißtag…?
Ich bin besser als…?
Andere sind besser als ich?
Ich hab keine guten Ideen?
Hoffentlich kommt xy heute nicht…?
Ich werde heute…?
Überprüfe dich, und übe dich zuallererst im Akzeptieren. Das sagt sich so leicht, und es wird anstrengend sein solange du es nicht einfach tust, sondern denkst: »Klingt anstrengend«. Neue, unerwartete Erfahrungen machen wir nur, wenn wir JA sagen. »Ja aber dann könnte ich doch auch einfach mich akzeptieren, wie ich alles scheiße finde…?!« Das ist auch die Voraussetzung, dass du das akzeptierst. Und dann gehe einen Schritt weiter und entscheide dich dafür, es zu ändern.
Die optimale Einstellung zum Improvisieren ist: offen sein für alles, was um dich herum geschieht, alles könnte ein großartiges Angebot sein. Hierfür ist es notwendig und wichtig, nicht nur bei dir selber zu sein mit der Aufmerksamkeit, sondern auch offen und neugierig für das, was von außen auf dich zukommt.
Impro fordert von dir eigenverantwortliches »Schrauben« an der eigenen Einstellung zur Spielsituation, die kannst du nur selber ändern oder beeinflussen! Offenheit »an« oder »aus« ist so simpel wie Datenroaming am Mobiltelefon »ein« oder »aus« zu schalten! Damit übernimmst du die Verantwortung für deine Befindlichkeit. In der heutigen Zeit, wo es auf allen Ebenen darum geht, Verantwortung nicht mehr abzuschieben, sondern zu übernehmen, kann Impro ein wertvoller Beitrag sein, wo man das auf spielerische Weise üben kann.
DU hast es in der Hand! Und dann wird viel Neues passieren.
Anfänge
von Ramona
Der Impro-Spieler sagt: fang einfach an.
Egal womit. Hauptsache, du fängst an. Verschwende deine Zeit nicht mit Abwägen, tu einfach den ersten Schritt. Du musst eine ganz bestimmte Arbeit schreiben? Lass facebook aus und tippe den ersten Satz. Du träumst von einer Beziehung? Erhebe dich vom Sofa und geh in eine Bar. Du willst eine Impro-Szene in einer Kirche spielen? Sink auf Deine Knie. Oder küsse die Braut oder sag »Liebe Gemeinde«. Ganz egal wie und wo, fang einfach an.
Einfach bedeutet auch einfach im Sinne von klar wesentlich, fast schon radikal. Je einfacher die Ausgangssituation ist, umso komplexer kann das Spiel danach werden. Für dreifache Saltos braucht man einen undramatischen sicheren Absprung. Einfach zu sein ist viel schwerer als es kompliziert zu machen. Man muss dafür entscheiden können, was das Überflüssige ist und was das Wesentliche. Das ist sehr individuell und man muss regelmäßig trainieren, um zu erkennen: was ist wichtig in der Geschichte, im Leben, für mich? Beim Versuch, Anfänge einfach zu gestalten, also »leer« auf die Bühne zu gehen und zu schauen, was von selber kommt, liefert man sich dem eigenen Innenleben voll aus und es hilft, sich darin auszukennen. Man erfährt natürlich auch viel darüber, wenn man es immer wieder praktiziert. Lawrenz Krauss ist amerikanischer Kosmologe und erforscht den Anfang aller Anfänge, den Urknall. Er hat (sinngemäß) geschrieben, dass sich der Volksmund irrt, wenn er sagt »Von nichts kommt nichts«, dass es vielmehr auf die Definition des Nichts ankommt. Und beim Impro, wo wir mit Nichts auf die Bühne gehen, lernen wir, dass Nichts ne ganze Menge ist.
Einfach anfangen bedeutet auch, dass man es sich selber einfach macht, leicht. Denn dann kommen Spaß und Lust. Und dann ist alles einfach. Deshalb sagt der Impro-Spieler: Fang positiv an. Das kann ein verliebter Augenaufschlag sein, wenn die Bäckersfrau ihren Kuchen einpackt oder ihre Freude daran, wie das Brot duftet… Dabei kann sie auch »negativ« ihre Nase direkt ins Brot bohren, zu langsam arbeiten oder alles selber aufessen… Sie kann sogar in einer vollends »negativen« Situation sein: am Rande des Ruins stecken, weil sie nicht backen kann, übel riecht oder ihre Kunden selbst zu Mehl verarbeitet… so lange sie als Spielerin positiv und verspielt damit umgeht, wird sie und damit die Geschichte im Fluss bleiben. Wenn man negativ guckt, bleibt man immer außen und guckt von da AUF die Spielsituation. Das macht den Blick enger. Wenn man positiv auf etwas blickt, ist die Abwehr weg und man lässt sich sofort involvieren. Das öffnet die Pforten zur eigenen Kreativität und die Spielmöglichkeiten werden unendlich. Eine abwehrende Haltung führt zum Stillstand, eine positive lässt es immer weiter gehen. Und das ist es ja, worum es bei Anfängen geht: Sie sind nur der Anfang, es wird nicht so bleiben, es wird immer weiter gehen. Man weiß nur noch nicht wie.
In diesem Sinne: einen positiven und einfachen Jahresanfang!